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Heimatgeschichte der schwierigen ArtHollywood war schneller dran

Die Wewelsburg ist ein beliebtes Ausflugsziel. Allerdings ist die ehemalige „Ordensburg“ der SS auch Pilgerort für Nazis.

Jugend­herberge und „Kultstätte“: Die Wewelsburg bei Paderborn ringt mit ihrer NS-­Geschichte Illustration: Jeong Hwa Min

Büren taz | „Das ist die Heimat“, sagt der Typ in Fleck­tarn­hose zu seinem Sohn, und kurz hat es den Anschein, als finge er vor Rührung an zu weinen. Sein ebenfalls in Militärklamotten gehülltes Kind bekommt vom Schniefen nichts mit, von der Heimat aber offenbar schon. Jedenfalls guckt er sich mit großen Augen um auf dem kleinen Parkplatz – zwischen Bäumen und Softeiswagen – und scheint ganz angetan von diesem Ausflugsziel. Ganz besonders natürlich von der imposanten Burg da drüben hinter den Mauern und dem kleinen Park.

Die Wewelsburg in Büren bei Paderborn ist immer gut für Heimatgefühle, ganz besonders für ambivalente. Am ehemaligen SS-Wachhaus zum Beispiel huschen Vater und Sohn eher zügig vorüber. Hier liegt heute die Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933–1945, in der von jenen Menschen die Rede ist, die den aufwendigen Umbau der Burg mit dem Leben bezahlten. Mindestens 1.285 Inhaftierte starben hier im KZ Niederhagen an Hunger, Entkräftung oder direkter Gewalteinwirkung. Auch so ein Stück Heimatgeschichte.

Doch die Nazis haben die Wewelsburg nicht gebaut. Die Anlage mit dem eigenwilligen dreieckigen Grundriss ruhte auch vor dem „Dritten Reich“ schon über dem Almetal und war Schauplatz anderer Ereignisse. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte ein Blitzeinschlag sie fast zerstört, und tatsächlich hat man eine Weile darüber nachgedacht, sie als romantische Ruine verwildern zu lassen. Einfach weil die gerade in Mode waren und der Nutzen des Bauwerks ohnehin eher überschaubar war. Ein Hexenverlies gibt es auch, in dem heute eine Ausstellung über Folter und Frauenmorde der frühen Neuzeit informiert.

Und weil die Wewelsburg nun mal eine Burg ist, schlummert noch etwas tiefer in der Vergangenheit auch eine mittelalterliche Vorgeschichte, an der gerade besonders intensiv geforscht wird. Ein Modell in der Burg macht anschaulich, welche Teile des alten Gemäuers noch stehen und wie der Rest drumherum wuchs. Es ist fast ein bisschen tragisch, dass man am Ende immer wieder bei den Nazis ankommt.

Die Burg sollte burgiger wirken

wochentaz

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Als Heinrich Himmler die SS nach pseudomittelalterlich-­my­tho­logischem Vorbild zum „Orden“ aufblies, hatte er die Wewelsburg als eine Art geistiges Zentrum im Sinn. Darum auch dieses KZ und die Umbauten: Freigelegtes Mauerwerk und tiefere Gräben sollten die Burg burgiger wirken lassen. Was genau Himmler mit der Burg vorhatte, ist nicht abschließend geklärt, scheint sich über die Jahre aber auch gewandelt zu haben: irgendwas zwischen Wochenendseminaren in verkorkster Heimatkunde des „germanischen Ahnenerbes“ und dem me­ga­lo­ma­nischen Drive, das umliegende Tal zu fluten und droben ein riesiges Gebäude in Form des „Schicksalsspeers“ zu errichten – mit der dreieckigen Wewelsburg als Spitze.

Genau weiß man’s nicht. Um die Nazi-Esoterik ist selbst eine Art Mythos erwachsen, auch weil man hierzulande lange nicht darüber sprach. Ob der Heidenfimmel den Wirtschaftswunder-Altnazis nun peinlich war – oder weil man Angst hatte, die Jugend könnte noch mal drauf reinfallen auf den Hokuspokus.

Abgesehen von den ehrenwerten Bemühungen weniger Historiker und noch weniger Historikerinnen trieb das Thema seine Blüten eher in Trivial- und Subkultur. Das Bild vom Nazischloss im Fackelschein ruht in „Indiana Jones“-Filmen, „Wolfenstein“-Videospielen und Comics. Bei „Green Lantern“ heißt die Nazifestung sogar tatsächlich Wewelsburg.

Während international also die Kulturindustrie längst mit dem Thema spielte, gingen in Deutschland lange nur Nazis und Okkultisten mit einer Art Ernsthaftigkeit an die Sache. Bis heute haben Jugendherberge und Gedenkstätte mit pilgernden Neonazis zu tun. Und sie sind darauf vorbereitet: Das Personal kennt die Nazisymbole in- und auswendig, und selbst ihr Ziel hat man den Nazis verbaut: Im Nordturm der Burg liegen mit „Gruft“ und „Obergruppenführersaal“ die deutlichsten Spuren der SS-Zeit, inklusive dem berühmten „Schwarze Sonne“-Ornament, das ein beliebtes Symbol und Hakenkreuzersatz in der Naziszene ist. Diese Räume sind über Jugendherberge und allgemeines Burgmuseum nicht erreichbar, sondern ausschließlich über die KZ-Gedenkstätte.

Hier gibt es kein schauriges Nazipathos und auch keinen faschistischen Todeskitsch zu gucken, ohne auch die Folgen zu ertragen. Und das ist ganz sicher nicht die schlechteste Form für deutsche Heimatkunde.

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7 Kommentare

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  • Die Gedenkstätte Wewelsburg bietet seit seit Jahren ein vorbildliches und attraktives Bildungsangebot.

    www.wewelsburg.de/...staette-1933-1945/

    Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sich bis zu einem Jahr im Voraus mit Schulklassen für Projekttage anmelden muss, wenn man aus einer Bielefelder Schule anreist.

    Eine weitere Bildungsstätte an einem historischen Standort mit ähnlicher Attraktivität ist in Ostwestfalen dringend geboten. Umso trauriger, dass die CDU in Gütersloh das Erinnern an Stalag 326 blockiert hat:

    taz.de/NS-Gedenkst...bb_message_4604418

    Zwar gibt es inzwischen eine Petition, aber die kommt nur sehr schleppend voran, ist mein Eindruck, zuletzt äußerte sich Britta Haßelmann dort nur sehr ,,wischi-waschi", und das obwohl sie doch selbst Bielefelderin ist:

    www.change.org/p/s...nne?redirect=false

  • Neben der Gedenkstätte enthält die Wewelsburg noch das katholische Paderbornmuseum, und bis 2010 auch die Gedenkstätte "Deutsche im östlichen Mitteleuropa. Flucht – Vertreibung – Integration".

    Und neben der Wewelsburg ist "Bumm Bumm"-Büren den Kundigen auch bekannt für das dortige Abschiebungsgefängnis (kürzlich mal wieder in den Nachrichten www.nw.de/lokal/kr...ge-in-Bueren.html).

    Es gibt wohl keinen Ort auf der Welt, an dem sich "Deutschland" dermaßen in seinem schizoiden Wesenskern kristallisiert, wie in und um diese 21.500-Einwohner*innen-Mittelstadt ziemlich genau 100 km entfernt von der geographischen Mitte der BRD.

    Die Externsteine - diese angebliche "germanische Kultstätte", an der die SS weit und breit alles metertief umgraben ließ, ohne irgendeine Spur germanischer Kultaktivität zu finden - und das (nach Westen drohende, also gegen Rom, LOL nein, gegen Frankreich natürlich!) Herrmannsdenkmal sind auch in der Nähe.

    Und wenn man sich ein verlängertes Wochenende Zeit nimmt, kann man auch in dem Geburtsort von "Gecht" Schröder vorbeischauen.



    Und beim Landgut von Alfred Hugenberg.



    Und in dem Wald, wo Felix Fechenbach von den Nazis ermordet wurde.



    Und die Stelle "wo die Weser einen großen Bogen macht (zwo! drei! vier!) / wo der Kaiser Willem seine Kinder macht / wo man trinkt die Halben in 2 Zügen aus".

    "Oh-weh-ell - du bist jott-weh-deh; du bist DEUTSCHLAND! Da is iuse heimat, da sün wir to hus!"

    ANTITHESE: das einzig Gute an der Gegend ist der Hauptbahnhof Bielefeld.

    • @Ajuga:

      Ich glaube ich sollte mir wirklich mal ein paar Tage Zeit nehmen und Paderborn besuchen. Je mehr dagegen gewettert wird, desto interessanter wird die Stadt für mich als Sightseeing-Ziel.

  • Merkwürdiger Zufall: Aus einem öffentlichen Bücherschrank fischte ich neulich den amerikanischen Reisser "The Black Sun" von James Twining. Heute morgen las ich das Kapitel, das in der Wewelsburg spielt, und die ganze Nazi-Mystik verwurstet. Ist das jetzt ein Algorythmus, der bewirkt, dass ich diesen Artikel sehe, weil ich Wewelsburg gegoogelt habe?

  • "Genau weiß man’s nicht. Um die Nazi-Esoterik ist selbst eine Art Mythos erwachsen, auch weil man hierzulande lange nicht darüber sprach. Ob der Heidenfimmel den Wirtschaftswunder-Altnazis nun peinlich war – oder weil man Angst hatte, die Jugend könnte noch mal drauf reinfallen auf den Hokuspokus."

    Diesen SS-Esoterik-Kitsch hat ausser Himmler und ein paar Archäologen niemand im Land ernstgenommen. Nicht mal Hitler selbst, der hat sich darüber bei seinen Tischgesprächen köstlich amüsiert.

    • @SeppW:

      @SEPPW



      Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass die SS-Esoterik immer wieder verniedlicht wird.



      Waren Sie mal in der Gedenkstätte?



      Haben Sie mal die „Stammbäume“ gesehen, die sich Himmler und seine arischen Übermenschen zusammengeschmiert hatten?



      Im Artikel kaum behandelt: Die Burg war SS-Internat für die Führungskräfte der nächsten Generation. Inklusive eigenem Übungs-KZ für den blonden Jugendaufseher.

      Und nur aus Neugier: Dass Hitler sich darüber „lustig gemacht“ haben soll, stand wo? In den Hitler-Tagebüchern? Oder in den „Mein Führer und ich“ Memorieren seiner Klofrau?



      Solche Anekdoten sind iaR verniedlichende Lügen aus eher NS-affinen Kreisen.

      • @BenLawers:

        Weshalb wundert Sie das ? In der Reichskanzlei hat das Thema, mit Verweis auf "Hitlers Tischgespräche" von Henry Picker, niemand wirklich ernstgenommen. Für Bormann war dieser ganze Himmlersche Germanenkult eine "Spinnerei von Jenseitsaposteln".

        Und innerhalb der SS war die Resonanz auf diesen Firlefanz so gering (selbst SS-Offiziere zogen es vor lieber Bierabende der Wehrmacht zu besuchen) das die sich darauf beziehenden Schulungskurse wegen mangelndem Interesse schon 1939 inhaltlich umgebaut und die Leitung dem RuSHA weggenommen und dem Hauptamt übertragen wurde.



        Deutlich weniger Esoterik, deutlich mehr geschichtliche Themen (u.a. Caesar). Genutzt hat aber auch das Nichts. Nachzulesen in "Der Orden unter dem Totenkopf - Die Geschichte der SS" von Heinz Höhne (Standardwerk über die Geschichte der SS).

        Aber eine Frage hätte ich an Sie: Ein "Übungs-KZ" in der Wewelsburg ? Donnerwetter ! Haben Sie dazu mehr Informationen ?