: Heimat am Wannsee
Özdamar, Dörrie und andere: Das LCB startet die Reihe „Deutschland neu lesen“
Gleich wird es hier um kulturelle Vielfalt gehen. Zunächst aber muss gesagt werden, dass auch kulturelle Einfalt beeindrucken kann – wenn sie denn so ausfällt wie Mittwochabend am Wannsee. Der Blick von der Terrasse des Literarischen Colloquiums aus übers Wasser war an diesem verfrühten Hochsommertag Anfang Mai geradezu blöde schön.
Der abfallende Hang, die wiegenden Bäume, der glitzernde See; beinahe automatisch meldeten die Synapsenverbindungen im Hirn sowohl Romantik- als auch Kitschsignale. Und da das LCB mit seinen Autorenseminaren zurzeit eines der Hauptrekrutierungsbecken für unseren hoffnungsvollen literarischen Nachwuchs ist, kann man sich fragen, warum es unter unseren neuen Büchern nicht mehr Idyllen gibt. An so einem Tag kann man in einem der Autorenzimmer mit Seeblick im ersten Stock bestimmt nichts anderes schreiben.
Aber es gibt ja auch andere Tage. Und zum Glück in der deutschsprachigen Literatur auch große Vielfalt. Ihr noch ein bisschen mehr aufzuhelfen, hat sich nun das LCB vorgenommen, indem es im Rahmen der „Heimatkunst“-Reihe des Hauses der Kulturen der Welt (siehe taz vom 8. 4.) eine Lesereihe veranstaltet; und das ist möglicherweise doch ein brisanteres Vorhaben, als man zunächst denkt.
Denn natürlich wird man einerseits niemanden finden, der gegen kulturelle Vielfalt wäre. Andererseits aber ist es erst wenige Büchersaisons her, dass es Mode war, den Berlin-, den Gesellschafts-, den Gegenwartsroman zu fordern. Irgendwo im Hinterkopf gibt es also noch die Vorstellungen von dem einen, endgültigen Roman, der alles richten soll. Befriedigt lässt sich konstatieren, dass Dieter Stolz, der die Reihe mit dem Titel „Deutschland neu lesen“ konzipierte, nicht zu dieser Fraktion gehört.
Zum Auftakt lasen also am Mittwoch Emine Sevgi Özdamar und Doris Dörrie, und die vertreten schon mal Literaturauffassungen, wie sie verschiedener kaum sein können. Sigrid Löffler, die Moderatorin, meinte, Emine Sevgi Özdamar benutze Deutsch als „Adoptivsprache“, diese Sprache „trage noch deutlich Spuren der Aneignung“, ihr Deutsch habe sich „orientalisiert“. Auch wenn sie noch so viele Klischees über die Sinnlichkeit, Anekdotenhaftigkeit und Direktheit orientalischer Erzählweisen transportieren sollte, leuchtet diese Aussage beim Zuhören der Lesung doch ein. Der Roman „Die Brücke vom Goldenen Horn“, in dem Emine Sevgi Özdamar durchaus autobiografisch die Ankunft eines türkischen Mädchens im Berlin der Sechzigerjahre beschreibt, schlägt Töne an, die man in Dörries am amerikanischen Realismus geschulter Erzählweise nicht hört – und umgekehrt.
Nun ist allerdings Verschiedenheit festzustellen kein abendfüllendes Ergebnis. Wäre schön gewesen, hätte Sigrid Löffler konkret nachgefragt, worin sich nun Dörries Roman „Was machen wir jetzt?“ von der „Brücke vom Goldenen Horn“ wirklich unterscheidet und warum das so ist. Hat sie aber nicht, und so konnte man nur noch erfahren, dass Emine Sevgi Özdamar, die auch Schauspielerin ist, schon mal in einem Dörrie-Film mitgespielt hat: Sie war die problembeladene türkische Mutter in „Happy Birthday, Türke“.
Es gibt aber noch ein paar Gelegenheiten, detaillierter zu werden. Im weiteren Verlauf der Lesungsreihe werden unter anderem Herta Müller, Yoko Tawada und Marcel Beyer, Terézia Mora und Julia Franck sowie Doron Rabinovici und Zafer Șenocak lesen.
DIRK KNIPPHALS
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