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Heimat Vor fünf Jahren explodierte das Kernkraftwerk Fukushima. Die Anwohner wurden evakuiert. Wie ist es, zurückzukehren? Eine ReportageVorher, nachher

Die Spiegel sind heil, die Föhns noch da: „Ich hatte gerade Haare fertig geschnitten, als die Erde bebte“, sagt Michiko Otaki. Sie und ihr Mann leben heute vierzig Kilometer südlich des AKW

Von Geraldine Oetken

Der Boden eine Welle: Kanoko Sato in ihrer alten Turnhalle. Bis sie hier fotografiert wurde, hatte sie die No-go-Zone, ihre Heimat, nur im Fernsehen wiedergesehen Foto: Alle Fotos: Guillaume Bression und Carlos Ayesta

Ein Mädchen steht, die Schuluniform an, in seiner alten Turnhalle. Die Säulen sind gerade geblieben, die Fenster intakt – als könne dort Softball gespielt werden. Bloß der Boden ist aufgerissen und gewellt, er ist eine Welle. Er hat den Tsunami aufgenommen, der einen zehn Kilometer breiten Streifen an der Ostküste Japans verwüstete, etwa 20.000 Menschen tötete und vier Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Fukushima I zerstörte – am 11. März 2011.

Ungefähr 150.000 Menschen wurden evakuiert; nur wenige kehren in die jetzt zugänglichen Gebiete mit geringer Strahlenbelastung zurück. Guillaume Bression und Carlos Ayesta sind mit einigen Bewohnern von damals wieder hin: Sie haben sie in Supermärkten von damals fotografiert, in ihren früheren Wohnungen, im Café, am Kiosk. Manche waren das erste Mal wieder am altvertrauten Ort.

Kazuhiro Onuki in seinem Haus, in das er nicht zurückziehen wird. Mit seiner Familie lebt er heute in Tokio

„Wenn etwas Neues in Fukushima beginnt, wird auch das mit Atomenergie verbunden sein“, meinen die Fotografen. Ihre Serie „Retrace your steps“ zeigt die Nuklearkatastrophe anders, als man sie aus den Nachrichten kennt. Mit müden Blicken, mit Stillhalten statt Weglaufen. Statt Schiffen, die über Landstriche geschoben wurden, sieht man hier die Aufnahme einer Frau, wie sie Haare schneidet: schüttere, weiche Haare – um sie der getrocknete Schlamm ihres Friseursalons.

Spinnweben und Kirschblütendeko: In Namie, sieben Kilometer vom Fukushima-Reaktor entfernt, liegen die Waren noch im Supermarkt. „Frische Produkte” steht auf einem Werbebanner

Es sind zarte Momente inmitten der Zerstörtheit. Ein Vorher, das sich mit dem Nachher vereint hat, gebannt auf Bildern. Sie erzählen von einer Gegend, die schon vor der Katastrophe viele Junge verließen – weil sie strukturschwach war und Arbeit dort oft Arbeit im Atomkraftwerk bedeutete. Heimgekehrt sind vor allem die Alten, und die Evakuierten bilden eine neue gesellschaftliche Gruppe: vom Staat betreut und finanziell abhängig.

Mikaze Sato und Risa Kumakura in einer Karaokebar. Das Plakat kündigt eine Veranstaltung im April 2011 an

Heute, fünf Jahre später, arbeiten rund 7.000 Menschen in Fukushima, um zu dekontaminieren und die havarierte Anlage zu sichern. Noch vierzig Jahre muss aufgeräumt werden. Und die Angst vor der Strahlung: gibt es, gab es. „Das ist ein Risiko, für das man sich entscheidet“, sagt Bression. Einen Weg in die Normalität sieht er nicht. Nicht in den kommenden zehn Jahren.

Die Serie „Retrace your steps“ und weitere Fotografien zu Fukushima sind zu sehen unter: fukushima-nogozone.com

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