Heiler im Härte-Test: Ein Gladiator des Übersinnlichen
Seher, Heiler und Wünschelrutengänger treffen sich an der Uni Würzburg. Sie wollen ihre übersinnlichen Fähigkeiten beweisen – und scheitern. Alle.
WÜRZBURG taz | Natürlich ist Herr Tanner zuversichtlich. Schon einmal hat er gewettet, mit einem Freund im Wirtshaus. Auch der wollte ihm erst nicht glauben. Es liegt an Strahlen, meinte Johann Tanner. An Schwingung. Deswegen wollen sich deine Hunde nicht auf den Teppich legen, der für sie gedacht ist. Schmarrn, meinte der Freund. Tanner besuchte ihn, verteilte kleine Pappkärtchen im Raum, die drei sich kreuzende Ringe zeigen. Im Fünfeck legte Tanner sie aus. Ließ das Muster wirken. Sammelte die Kärtchen wieder ein. „Seitdem bleiben die Hunde auf dem Teppich.“
Kein Schmarrn. Schwingung. „Alles ist Schwingung“, sagt Tanner, 50 Jahre, Lagerist aus Kitzbühel. Und deswegen hat er, daheim an der Drechselbank im Keller, eine spezielle Scheibe entwickelt. Tellergroß ist sie, aus hellem Ahorn, darauf im Relief drei konzentrische Kreise. Wie die Wellen, die ein Stein im Wasser schlägt. Wenn man diese Scheibe unter die Decke hängt, ist schlechte Schwingung neutralisiert. Behauptet Tanner – und will es beweisen.
Seit 2004 lädt die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) jährlich zum sogenannten Psi-Test ins Biozentrum der Universität Würzburg: 10.000 Euro verspricht sie demjenigen, dem es gelingt, übersinnliche Fähigkeiten nachzuweisen. Da war einmal ein Herr da, der mittels Gedankenkraft Gegenstände bewegen wollte. Ein anderer pilgerte nach Würzburg, weil er glaubte, mit einem Pendel Bioeier identifizieren zu können. Über 30 Kandidaten haben sich schon dem Test gestellt, drei, vier sind es jedes Jahr im Schnitt. Und alle scheiterten.
In diesem Jahr hatte sich für die zwei Testtage Anfang dieser Woche ein Heiler angemeldet, der behauptet, Wasser erspüren zu können. Ein weiterer, dem dasselbe mit elektrischer Spannung gelingen will. Eine Frau will beweisen, dass sie schweben kann. Und dann ist da natürlich noch Herr Tanner. Hörsaal A 106: Hier soll Tanner zeigen, was seine Scheibe kann. Martin Mahner von der GWUP legt das Protokoll an. „Hat Ihr Gerät einen Namen?“ „Tanner-Energiewelle“, sagt er, die Arme in die Hüfte gestemmt.
Er hat sich vorab Lagepläne schicken lassen, um sich auf den Ort einzustimmen. „Haben Sie vielleicht eine Leiter?“, fragt Tanner. Die Scheibe soll unter der Decke hängen, ganz gerade muss sie hängen und auf der richtigen Höhe, wenn Tanner gleich im Nebenraum testet, ob sie die negativen Schwingungen ausgleicht.
Engelsgeduld mit dem König
Rainer Wolf, ein pensionierter Biologe, ist ein Versuchsleiter mit Engelsgeduld. „Sie sind heute der König“, sagt er. Ein paar Helfer stellen das Stativ auf, richten die Videokamera direkt auf die Welle. Damit man hinterher vergleichen kann, ob die Scheibe wirklich so hing, wie Tanner es im Nebenraum mit seiner Wünschelrute vermutet und zu Protokoll gegeben hatte. „Wir könnten Sie ja beschummeln“, sagt Wolf. Tanner lacht.
Über Schwingungen denkt Tanner schon seit über 20 Jahren nach. Es begann damit, dass seine Mutter plötzlich einen Herzinfarkt erlitt, mit 42 Jahren. „Uns konnte niemand erklären, woher das kam.“ Geraucht hatte sie nicht, auch nicht getrunken. Nur gelegentlich schlecht geschlafen, das wohl. Tanner belas sich – und fand auch eine Erklärung: Strahlen aus der Erde. Krankmachende Schwingungen.
Er ließ sich zum Geistheiler ausbilden, er lernte den Umgang mit der Wünschelrute. Und lange hat er auch sinniert, wie die Holzscheibe beschaffen sein muss. Wie weit die Rillen auseinanderliegen müssen. Wie hoch die Wogen im Holz aufragen sollen. Wie sie aussieht, die perfekte Welle. Als er sie nach drei Jahren Tüftelei gefunden hatte, hat er sie direkt patentieren lassen.
Engels-Piktogramme gegen Elektrosmog
„Hilft diese Welle gegen alle Arten von Strahlen?“, fragt Wolf. „Nur gegen Erdstrahlen“, sagt Tanner, die Hand in die Hüfte gestützt, die Füße gekreuzt. „Gegen Elektrosmog nicht.“ Gegen Elektrosmog würden aber Piktogramme von blauen Engeln helfen, die ihm ein Heiler aus einer anderen Welt gechannelt habe.
Tanner hat sie dabei. Er öffnet seine schwarze Lederaktentasche, sucht nach einem Umschlag, darin ein ganzer Bogen Engelaufkleber. Drei davon in einem Stromkasten aufkleben – er zeichnet es auf, ein Dreieck, ein Engel oben, zwei unten – fertig. In sein Handy habe er auch einen Engel geklebt, Hinterklappe Innenseite über dem Akku. „Damit ich beim Telefonieren keine heißen Ohren bekomme.“
Seine Welle ist hingegen noch nicht ganz über das Teststadium hinaus. In zweigeschossigen Häusern funktioniere sie schon. Für höhere Gebäude lägen noch keine Erfahrungswerte vor. Im Moment hängt sie in Altenheimen, Kuhställen, der Schulklasse seines Neffen. Den Senioren gehe es besser, sagt Tanner, die Kühe gäben mehr Milch, die Schüler seien ruhiger. „Es hat nicht lang gedauert, da kam die zweite Lehrerin und ich durfte wieder eine aufhängen.“
Wenn seine Scheibe diesen Test an der Uni besteht, dann will er mit der Welle in Serie gehen. Für 350 Euro das Stück würde er die Scheibe vermarkten. „Dann gehe ich da groß rein“, sagt Tanner, Schnauzbart, weißes T-Shirt, Jeans, silbern gestreifte Turnschuhe. Der Psi-Test. Die Welle hängt im Nebenraum. Die Tür ist zu. Dahinter lost Mahner aus, wie herum die Scheibe hängen soll. Waagerecht wie eine Lampe von der Decke, sodass die Welle in den Raum streut. Oder senkrecht, sodass sie wirkungslos ist, wie Tanner erklärt. An oder aus. Null oder eins. Fünfzig Durchgänge.
Wünschelrute für den Psi-Hit
Wie oft wird Tanner richtigliegen und erspüren, ob die Welle ein- oder ausgeschaltet ist? Liegt er so oft richtig, dass man es durch Zufall alleine nicht erklären könnte, wäre es im Jargon der Parawissenschaftler ein Psi-Hit. Dann hätte seine Drechselarbeit den Test bestanden. Tanner lässt die Arme baumeln. Damit die Hände nicht verschwitzen. Damit die Wünschelrute beim Testen nicht rutscht. Dann läuft Tanner an der Wand entlang, hinter der die Welle hängt. Die beiden L-förmigen Drähte in seinen Händen bewegen sich auseinander. „Eins“, sagt Tanner. Das heißt: Die Welle ist eingeschaltet. Wolf notiert. Er hält Tanner den Protokollbogen hin. „Sie sehen, dass ich das richtig eingetragen habe?“
„Passt schon“, sagt Tanner, ohne hinzuschauen. Wie ein Boxer im Ring schreitet er zwischen den Durchgängen auf und ab, lässt die Arme baumeln, wirft in der Kurve einen lauernden Blick in den Raum. Ein Gladiator des Übersinnlichen. Der letzte Durchgang, jetzt fehlt nur noch ein Kreuzchen von Tanner: „Ich bestätige, dass der Test in einwandfreier Weise durchgeführt wurde.“ Dann erst vergleicht Rainer Wolf das Versuchsprotokoll mit dem, das Mahner im Nebenraum geführt hat. Beim ersten Mal lag Tanner falsch. Nervosität vielleicht? Unter den ersten zehn Durchgängen hat er siebenmal danebengelegen, dreimal richtig. In allen 50 Durchgängen erzielt Tanner 30 Treffer.
„Das ist zu wenig“, sagt Rainer Wolf und steckt den Kugelschreiber in die Brusttasche seines Hemdes. „Zu wenig“, wiederholt Tanner. Als wollte er sich vergewissern, dass er richtig gehört hat. Vierzig Treffer hätten es sein müssen, damit die Wissenschaftler zumindest die Vermutung nicht mehr für ganz abwegig hielten, dass Tanner und seine Welle über Fähigkeiten verfügten, die über reines Raten hinausgingen.
Zuversichtlicher Bauer
„Sie können mit der Rute nichts feststellen“, sagt Wolf. „Es spielt keine Rolle, ob das Holzteil hängt oder nicht.“ „Spielt keine Rolle“, wiederholt Tanner. Aber die Kühe? Sogar den Kühen ginge es doch besser in ihrem Stall! „Das kann ich mir nicht erklären.“ Kann man erklären, sagt Rainer Wolf. „Auch bei Tieren gibt es Placebo-Effekte. Sie bekommen mit, wenn der Bauer zuversichtlicher ist, weil das Holzding im Stall hängt. Auch wenn hinter der Sache nichts steckt.“
„Placebo-Effekt“, sagt Tanner. Und mit einem Mal hat man den Eindruck, Tanner fühle sich bestätigt, obwohl die Wissenschaftler ihn gerade vom Gegenteil überzeugen wollten. „Ja, das ist so. Bewegen tut sich das Ganze vor allem im Kopf.“ Gedanken. Schwingungen. „Sie können die Welle wegwerfen“, sagt Wolf erbarmungslos. Er dreht sich zu seinem Kollegen. „Ich habe dem nichts hinzuzufügen“, sagt Mahner, so trocken, dass Tanner lacht. Denn natürlich bleibt Johann Tanner zuversichtlich.
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