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"Hedda Gabler" im TheaterDie Eisprinzessin

Landauf, landab steht Henrik Ibsens "Hedda Gabler" auf den Theaterspielplänen. In Oldenburg strafft Ronny Jakubaschik es zu einem rasanten Psychodrama.

Abgründige Selbstzerstörung: "Hedda Gabler" in Oldenburg. Bild: Andreas J. Etter/Oldenburgisches Staatstheater

HAMBURG taz | So verschieden geht das: Ein seine Exzentrik feiernder Vamp ist Patrycia Ziolkowska, eine fidel sein wollende Partygöre, hochschwanger und todeslustig, badend in der Heimtücke gewordenen Traurigkeit einer Enttäuschten. Eine ihre Schönheit ausstellende Primadonna gibt dagegen Eva Maria Pichler, eine oberschlaue Frustzicke, scheinschwanger und todesmutig, badend in der Weltekel gewordenen Verzweiflung einer Übersättigten.

Ziolkowska am Hamburger Thalia Theater und Pichler am Staatstheater in Oldenburg: Beide spielen die Titelfigur in „Hedda Gabler“, Henrik Ibsens scheiternde Emanzipationsheroine. Augen, Herzen und das Denken sollte die dafür öffnen, dass Frauen nicht auf Männer angewiesen sind und nicht auf die von ihnen geprägte Gesellschaft. Ohne irgendwen um Erlaubnis zu fragen, hat diese Hedda, jung und attraktiv, das Leben gefeiert mit dem Reichtum ihrer Eltern und sich dabei „müde getanzt“, wie sie sagt. Mehr aus Versehen heiratet sie als Versorger eine promovierte Trantüte, den Möchtegernprofessor Jørgen Tesman. Statt rauschender Feste und Boheme-Leichtsinn gibt es fortan nur noch Abendessen mit Kollegen des Gatten, die ehelichen Pflichten der Monogamie und alltägliche Rituale der Wohlanständigkeit.

Klar, 1890 lohnte Ibsens Hinweis, dass das Konzept der herkömmlichen Ehe – mit männlichem Ernährer und weiblichem Schmuckstück – für beide Beteiligte einengend ist, langweilig und zum Scheitern verurteilt. Aber heute? Die bürgerlich-patriarchalischen Zwänge sind hinlänglich bekannt, ebenso die Möglichkeiten, andere Lebensmodelle zu gestalten. Warum also taucht „Hedda Gabler“ trotzdem jahrein, jahraus auf in den Theaterspielplänen allerorten? Zumal sich doch Interpreten längst die Finger wund geschrieben haben und alles psychologisch, soziologisch, privatmythologisch gedeutet?

In Oldenburg, wo „Hedda Gabler“ am 29. Januar Premiere hatte, führt die Dramaturgie raunend Hugo von Hofmannsthal ins Feld: Der nahm das Stück wahr als „voller phantastischer Schatten und schwarzer Seen“, voller stiller Spiegel, „in denen man sich selbst erkennt, gigantisch vergrößert und unheimlich schön verwandelt“. Wohingegen man in Hamburg – die Premiere war im November vergangenen Jahres – konkreter behauptet, das Stück handele das „Dilemma der Bürgerlichkeit“ ab: „Zwischen vermeintlicher Sicherheit und der Verführungskraft des sogenannten wahren Lebens entfalten sich Destruktivkräfte, die sozial und ökonomisch in den Abgrund reißen können.“

Erstaunlicherweise funktionieren die Inszenierungen genau andersherum: In Hamburg feiert Jan Bosse eine Salonkomödie, bleibt knapp drei Stunden lang höchst amüsant – und inhaltlich vage. Er ermöglicht ein Fest für Schauspielvirtuosen, so wie überhaupt viele Häuser das Drama zumeist als Kraftfutter nutzen: für die Stars im Ensemble und damit für die besten Auslastungszahlen der jeweiligen Spielzeit.

Ronny Jakubaschik in Oldenburg geht anders vor: Er modelliert in den knapp 90 Minuten einer sezierenden Strichfassung eine nüchtern-präzise, moderne Hedda-Analyse. Schon die Bühne ist hier kein Wohnzimmer von über ihre Verhältnisse lebenden Spießern und keine Schickeria-Designermöbelhölle, sondern eine schwarz-weiß gemusterte Spirale, die optische Illusion endloser Bühnentiefe, kühler Schwung, dunkler Sog ins schwarze Nichts – den Tod. Dem entsprechen auch die Kostüme: Hedda erscheint als strahlendweißer Schwan, ihre Spielgefährten sind mehr oder weniger grau gewandete Eminenzen der Mittelmäßigkeit oder, als Todeskandidat, in existenzielles Schwarz gehüllt.

Wobei Heddas Schulfreundin Thea (Sarah Bauerett) mit feuerrot leuchtenden Haaren noch Lebensglut zur Schau trägt. Einst war sie mit Tesman (Bernhard Hackmann) liiert, hat dann Heddas Ex-Lover, den genialischen Ejlert Løvborg (Henner Momann), von den Drogen weg und zurück zu seiner wissenschaftlichen Arbeit gelotst – und spielt nun die aufopfernde Muse im klassischen Dienstleistungsstil. Hinreißend verdruckst gestaltet Bauerett den zwanglos ins Hier und Heute verlegten Kampf, einerseits zu den eigenen Gefühlen zu stehen und dennoch an die schönen, falschen Verheißungen bürgerlichen Glücks zu glauben.

Aber welcher Teufel treibt nun Hedda Tesman, geborene Gabler an, von der frisch vermählten Ehefrau zur Selbstmörderin zu werden? Die Aufführungsästhetik gibt einen Hinweis: stilvolle Leere. Die Sehnsucht nach der Schönheit radikaler Taten behauptet Hedda noch, die äußere Schönheit ihrer Erscheinung pflegt sie damenhaft, wirkt gleichwohl völlig haltlos. Ihre Gefühlsblindheit überspielt sie mit intellektuellem Scharfsinn, ist aber unfähig zu Liebe und Empathie. Eine Eisprinzessin.

Mit fröstelndem Ekel entwindet Hedda sich den Berührungen ihres Ehemanns. Umarmt dieser aber Thea, geht sie wieder dazwischen. Die großbürgerliche Generalstochter füllt die Degradierung, nur noch kleinbürgerliche Ehefrau zu sein, mit einem eisigen Willen zur Macht. Und verfällt dem Wahn, alle und alles steuern zu müssen. Die daraus resultierenden Taten sind nicht mutig, nur rücksichtslos: Eine einsame Narzisstin probiert Rollen aus, weil sie keine eigene hat. Überkontrolliert und berechnend lockt Hedda die Menschen an, weidet sie aus, stößt sie weg oder hetzt sie aufeinander. Eine zerstörerische Persönlichkeit, die mit Selbstzerstörung endet.

Diese Hedda könnte sich und andere in jeder TV-Serie zugrunde richten, weil sie alles hat, was heute so verlangt wird für den städtischen Nahkampf, zum erotischen und beruflichen Erfolg. Piekfeine Garderobe schmeichelt dem sportlich modellierten Körper, cool auf Macht, Autonomie und Konsum bedacht ist das Handeln. Wäre sie nicht doch von Ibsen, hätte Hedda auch ihren Michel Houellebecq gelesen.

Nun aber resümiert sie: „Alles, was ich berühre, wird klein und lächerlich! Es ist wie ein Fluch.“ Oder eben die Konsequenz einer tadellosen Selbstverwirklichung. Die Oldenburger Zuschauer erleben einen Psychothriller, der keine Entwicklung nachzeichnet, sondern eine Persönlichkeitsstörung beschreibt. Hedda Gabler ist unter uns.

nächste Vorstellungen: 20. Februar, 11. + 21. März, Oldenburgisches Staatstheater

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