Hausprojekt Rigaer94 in Berlin: Polizei macht, was sie will
Im Innenausschuss verteidigt Senator Henkel den Einsatz. Ein Polizeijustiziar erklärt, dass er den Hausverwalter der Rigaer94 beraten hat.
Der Polizeieinsatz in der Rigaer Straße hatte vom 22. Juni bis 13. Juli gedauert. Bei der Sondersitzung am Donnerstag verteidigten Henkel und sein Staatssekretär das Vorgehen wie gehabt: Der Polizeieinsatz in dem autonomen Wohnprojekt sei keine Räumung gewesen. Deshalb sei auch kein Räumungstitel erforderlich gewesen.
Die Polizei sei im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig geworden, um die Bauarbeiter zu schützen, die im Auftrag der Hausverwaltung tätig werden sollten. Es habe berechtigen Anlass zur Sorge um die Unversehrtheit der Bauleute gegeben. Von manchen Bewohnern des Hauses gehe seit Längerem Gewalt aus. In der Vergangenheit habe es auch immer wieder Angriffe auf Polizisten gegeben.
SPD, Grüne, Linkspartei und Piraten sind wie das Landgericht der Meinung, dass der Hauseigentümer einen Gerichtsbescheid gebraucht hätte, um die Räume – gegebenenfalls auch mit Polizeiunterstützung – wieder in Besitz zu nehmen. In der Sitzung hatten die Oppositionsparteien einen langen Fragenkatalog vorgelegt. Die Diskussion fokussierte sich zunehmend auf die Aufgabenteilung zwischen Innensenator und Polizeiführung.
Henkel erklärte nun in der Sondersitzung, erst am Abend des 21. Juni von Polizeipräsident Klaus Kandt über die geplante Maßnahme informiert worden zu sein. „Der Einsatz war richtig, selbst wenn ich ihn nicht entschieden habe“, so Henkel.
Frank Henkel
Die These des innenpolitischen Sprechers der Piratenfraktion, Christopher Lauer, ist: Die Polizei habe sich die Grundlage für den Einsatz selbst konstruiert. Lauer hatte am Vortag der Sondersitzung ebenso wie andere Abgeordnete die Polizeiakten zum Vorgang Rigaer Straße studiert. Aufgefallen sei ihm dabei, dass die Polizei seit dem ersten Großeinsatz im Januar 2016 großes Interesse an einer neuerlichen Begehung des Hauses Riager94 gezeigt habe. In der Korrespondenz sei es immer wieder um fehlenden Brandschutz in dem Haus gegangen. „Die Polizei hatte ein massives Eigeninteresse.“
Bestärkt in seiner Vermutung sah sich Lauer am Donnerstag durch den Bericht von Polizeijustiziar Oliver Tölle. Am 20. Mai hatte sich Tölle eigenen Angaben zufolge mit dem Hausverwalter der Rigaer94 getroffen und ihm erklärt, ob und wie Polizei zum Schutz der Bauarbeiten im Haus tätig werden könnten. Eine weitere Prüfung, ob der Eigentümer überhaupt Zugriff auf die Räume nehmen kann, habe er nicht angestellt. Das sei auch nicht nötig gewesen, so Tölle: „Es gab kein verfestigtes Besitzrecht.“ Das schriftliche Ersuchen des Hausverwalters zum Schutz der Maßnahmen erreichte die Polizei laut Tölle dann am 31. Mai.
„Die Polizei in Berlin hat sich vollständig verselbstständigt“, so Lauers Fazit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge