Haushaltsstreit und Klimakonferenz: Hände hoch, Sprachpolizei!
Wenn Politik schon deprimierend ist, sollte sie wenigstens ehrlich sein. Eine Analyse der neuesten Floskeln der Bundesregierung.
H ände hoch! Hier spricht die Sprachpolizei. Wir haben diese Kolumne umstellt. Nein, es geht nicht um unerlaubtes Gendern, wir sind hier ja nicht in Bayern. Es geht um zwei andere sprachliche Vergehen in dieser Woche, bei denen der Anfangsverdacht der Irreführung und grober Floskelei besteht.
Da ist zunächst der Abschluss der Klimakonferenz COP. Die COP, das ist dieses jährliche globale Rhetorikseminar mit 100.000 Teilnehmenden ohne materielle Folgen. Da wird dann gestritten, ob über einen „Ausstieg“ aus den fossilen Energien geschrieben wird oder von einem „Übergang weg von“ denselben. Im Abschlusspapier hat sich natürlich die weniger verbindliche Formulierung durchgesetzt. Schwerer wiegt, dass kaum klare Zeitpläne, Zahlen, Ziele beschlossen wurden, bis auf die Verdreifachung der Erneuerbaren bis 2030. Währenddessen steigen die Emissionen weiter, und der Run auf Öl- und Gasfelder bleibt ungebrochen. Es gibt da eine Metapher, sie wäre ein guter Name für Form und Inhalt von Klimakonferenzen: heiße Luft.
„Heute ist ein Tag der großen Freude“, sagte dagegen Außenministerin Annalena Baerbock, nachdem das Abschlussdokument beschlossen worden war. Wie wohltuend es gewesen wäre, wenn sie gesagt hätte: „Wir sind enttäuscht, wir haben für ein anderes Ergebnis gekämpft. Das reicht nicht, um die Klimakrise aufzuhalten.“ Sie hätte nichts verloren, nur an Glaubwürdigkeit gewonnen.
Nun zum zweiten Einsatz für die Sprachpolizei in dieser Woche, dem Haushaltsstreit. Nach einer Nachtsitzung stellten sich der Finanzminister, der Vizekanzler und dieser dritte Mann, der angeblich ihr Vorgesetzter sein soll, vor die Presse und redeten das Ergebnis schön. Bundeskanzler Scholz, so heißt der dritte Mann, sagte: „Wir stärken den sozialen Zusammenhalt“, und man konnte sich fragen, ob er damit die Einsparung bei der Solarförderung, die bei der Weiterbildung von Bürgergeldbeziehenden oder die steigenden Preise für Benzin und Heizung meinte.
Politik als olympische Disziplin
Aber über all diese Einsparungen sprach Scholz nicht. Er erfand lieber ein neues Wort: „Überschreitungsbeschluss“. Ein Wort, das von meiner Rechtschreibprüfung rot unterkringelt wird. Scholz tat das, weil er nicht sagen wollte: „Kann sein, dass wir nächstes Jahr die Schuldenbremse doch nicht einhalten.“ Wichtiger als die Öffentlichkeit verständlich zu informieren, war ihm zu betonen, wie „konstruktiv“ und „lösungsorientiert“ die Gespräche waren, als wären Haushaltsverhandlung eine olympische Disziplin, in der es um Haltungsnoten geht.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Scholz sagte dann noch einen Satz, der leider nicht stimmt: „Klar ist aber: Wir müssen mit deutlich weniger Geld auskommen.“ Richtig lautet er: Wir wollen mit weniger Geld auskommen. Und es wäre schön gewesen, wenn er ergänzt hätte, was alle wissen: In dieser Koalition gibt es keinen Konsens dafür, die Schuldenbremse auszusetzen. Scholz hätte sagen können: „Über Neuwahlen freut sich nur die AfD, deshalb haben wir uns auf diesen Kompromiss verständigt, der allen weh tut. Im Übrigen halten wir ein paar Euro mehr für Benzin und Heizen für verkraftbar.“
Es ist natürlich Zufall, dass in dieser Woche eine Studie veröffentlicht wurde, nach der deutsche Milliardäre, hups, 500 Milliarden Euro reicher sind als bisher angenommen. 500 Milliarden, das ist mehr als ein Bundeshaushalt, das sind fünf Sondervermögen für die Bundeswehr oder 16-mal das Finanzloch der Bundesregierung.
Nun ist die Öffentlichkeit nicht naiv. Sie weiß, dass sie von dieser Bundesregierung keine Vermögensteuer zu erwarten hat. Aber man könnte besser mit dieser Regierung leben, wenn sie wenigstens ehrlich wäre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP