Haushalt in Großbritannien: Das Füllhorn bleibt voll
Die konservative Regierung verlängert Coronahilfen und will Investitionen fördern. Firmen, die nicht investieren, zahlen drauf.
Erst einmal gibt es neue Coronahilfen. Das Kurzarbeiterprogramm für Coronabedingte Arbeitsplatzverluste wird bis Ende September verlängert, ebenso die wegen der Pandemie geltende Erhöhung des Mindestsatzes der individuellen Sozialleistungen um 20 Pfund (23 Euro) pro Woche. Für Einzelhandel und Tourismus, wegen der Pandemie lädiert, stehen zusätzliche 5,78 Milliarden Pfund bereit. Auch an Theater und andere Kultureinrichtungen sowie den Sport gingen weitere Hilfsgelder. Gleichzeitig wurde die Unterstützung für Selbständige ausgeweitet.
Bis Juli verzichtet die Regierung auf die Grunderwerbsteuer für die ersten 500.000 Pfund einer Immobilie und für Personen, die sich beim Kauf eines Eigenheims nur fünf Prozent Anzahlung leisten könnten, gibt es für den Rest ein staatliches Garantieprogramm.
Mit „einer der größten und großzügistgen Reaktionen irgendeines Landes auf die Pandemie,“ wie es Sunak selbstlobend nannte, sollten coronabedingte Schocks gemildert werden und ein zu hohes Anwachsen der Arbeitslosigkeit vermieden werden.
Das bedeutet aber auch einen weiter wachsenden Schuldenberg. Sunak zufolge wird sich die Staatsverschuldung auf 96,8 Prozent des britischen BIP erhöhen und sich bei diesem Level stabilisieren. Sunak, seit etwa einem Jahr im Amt, hat inzwischen nach eigenen Angaben über 407 Milliarden Pfund neue Schulden gemacht, die britischen Gesamtschulden bewegen sich insgesamt in Richtung von umgerechnet 2,66 Trillionen Euro.
Doch all dies, so Sunak, habe bereits jetzt dafür gesorgt, dass die Wirtschaftslage besser sei als die Prognosen des Rechnungsprüfungsamtes OBR. Statt bei 11,9 Prozent wie prognostiziert liegt die Arbeitslosenquote bei nur 6,5 Prozent.
Unternehmenssteuern steigen
Um sich all dies leisten zu können, müssten die Brit*innen nun mit Maßnahmen rechnen, die die Finanzen der Regierung langfristig wieder in Ordnung bringen, bekannte Sunak – am besten noch vor den nächsten Wahlen 2024. Die Einkommenssteuern und Sozialversicherungsbeträge von Arbeitnehmern bleiben gleich, aber die Unternehmenssteuer steigt für Unternehmen mit einem Gewinn von über 250.000 Pfund bis zum Jahr 2023 von 19 auf 25 Prozent. Für Unternehmen mit einem Gewinn zwischen 250.000 und 50.000 Pfund steigt die Steuer stufenweise, bei unter 50.000 Pfund bleibt sie gleich. Unternehmenssteuererhöhungen waren für die Konservativen im Wahlkampf 2019 gegen Labour noch Gift gewesen. Aber auch mit dieser Erhöhung hätte Großbritannien immer noch die niedrigste Unternehmenssteuer der G7.
Für verlustmachende Unternehmen gibt es einen Steuererlass von bis zu drei Jahren, und Unternehmen, die investieren, können vorübergehend ihre Investitionen zu bis zu 130 Prozent abschreiben. Dies soll einen Anreiz bieten, Profite zu investieren. Es soll zudem eine neue nationale Infrastrukturbank im nordenglischen Leeds gegründet werden.
Weniger stattlich sehen Sunaks Investitionen in die grüne erneuerbare Wirtschaft aus. Es soll eine grüne Bank geben und einen grünen Investmentfonds und neue Offshore-Windenergieparks – aber gefördert mit Geldern in Millionenhöhe, nicht Milliarden. Spezielle Einreisevisas sollen die besten Köpfe ins Land locken. Wirtschaftlich will Sunak obendrauf acht neue Freihäfen schaffen lassen.
Extraberäge gehen außerdem an schottische, nordirische und walisische Projekte, mit explizitem Verweis auf den Zusammenhalt der des Vereinigten Königreichs. Vielleicht gab es deswegen auch noch als britisches I-Tüpfelchen 22 Millionen Pfund für landesweite Feiern zum 70. Jubiläum der Krönung von Queen Elizabeth 2022.
Kritik von Labour
Trotz der großen Zahlen war Labour-Oppositionsführer Keir Starmer nicht begeistert. Der Parteichef übernahm die Antwort seiner Partei persönlich, statt sie seiner Schattenfinanzministerin Anneliese Dodd zu überlassen, und begründete das damit, dass Sunak die eigentlichen Entscheidungen für die Regierung Johnsons treffe.
Fehler der Regierung im vergangenen Jahr hätten überhaupt erst das Land in die schwerste Krise unter den global wichtigsten Wirtschaften geführt, so Starmer. Sunaks Haushalt beweise, dass dessen Regierung das nicht verstehe. Letztlich fehlten auch Maßnahmen, um das Land sozial auszugleichen, wie es die Konservativen bei den Wahlen 2019 versprochen hatten – während die verarbeitende Industrie, der Finanzsektor und die Fischerei immer noch auf einen Brexit warteten, der auch für sie funktioniere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste