Hausgeburten versus Klinik: Entbindung de luxe
Trotz des Protests der Hebammen bleibt Klinikarzt Klaus Vetter dabei: Frauen sollten ihre Hausgeburten selbst zahlen. Er kritisiert jedoch, wie die Kliniken sparen.
BERLIN taz | Die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) hat einen ihrer Beiräte, den Berliner Hebammenausbilder Klaus Vetter, harsch kritisiert. Der hatte in einem taz-Interview Geburtshäuser und Hausgeburten als „Luxus“ bezeichnet. QUAG reagierte darauf „bestürzt und sehr irritiert“ mit einem offenen Brief.
Die außerklinische Betreuung, wie Vetter, als „Abenteuerlust“ zu bezeichnen, ignoriere die Wünsche der Frauen nach alternativen Geburten. Doch Vetter bleibt bei seinem Standpunkt: „Das Sozialsystem ist für alle da“, sagt er „das ist kein Wunschprogramm.“
Die Debatte um die staatliche Unterstützung für freischaffende Hebammen hatte sich Anfang der Woche nach der Einigung zwischen Hebammenverbänden und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) entzündet.
Die Krankenkassen zahlen Geburtshelferinnen nun insgesamt 1,7 Millionen Euro mehr im Jahr, um deren höheren Ausgaben für Haftpflichtversicherungen auszugleichen. Denn Hebammen, die nicht bei einem Krankenhaus angestellt sind, tragen das Risiko selbst, bei der Geburt Mutter oder Kind zu verletzen – und müssen sich entsprechend teuer versichern. Die Krankenkassen federn dies jetzt ab. Zu Unrecht, findet Klinikarzt Vetter: Frauen, die Privatgeburten wünschten, sollten diese auch selber zahlen.
Die QUAG-Gesellschaft widerspricht: Auch viele der Hebammen, die frei für Krankenhäuser arbeiteten, müssten sich auf eigene Kosten versichern. Sie seien also auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen.
Auch Hebammenausbilder Vetter meint, dass viele Kliniken ihre Budgets auszugleichen versuchen, indem sie die Arbeit der Hebammen outsourcen. Dennoch seien Klinikgeburten und jene zu Hause oder im Geburtshaus nicht miteinander zu vergleichen.
Ohne ein Krankenhaus in der Nähe, das für Notfälle bereit stehe und laufende Kosten trage – etwa für Blutkonserven und Bereitschaftspersonal –, seien individuelle Geburten nicht zu machen. Auch wenn, wie von QUAG argumentiert, im Schnitt nur rund 15 Prozent der Frauen während ihrer Geburtshaus- oder Hausgeburt in die Klinik verlegt werden müssen.
„Wo fängt Ihrer Meinung nach der Luxus rund um die Geburt an?“, fragt QUAG in ihrem offenen Brief. Vetter antwortet: „Beim Wirtschaftlichkeitsgebot.“ Fehlende Einzelbetreuung in Krankenhäusern ist für ihn natürliches Ergebnis der Gesundheitsökonomie.
Dass diese Form des Geburtenmanagements kein Muss ist, zeigt ein Blick in die Niederlande. Dort sind Klinikgeburten Luxus – und Hausgeburten die Regel. Rund dreißig Prozent der Entbindungen sind laut einer GKV-Studie Hausgeburten und werden von nur einer Hebamme betreut. In Deutschland hingegen werden nur knapp zwei Prozent der Kinder nicht in der Klinik geboren.
„Das hat vor allem kulturelle Gründe“, sagt Ute Wronn vom Deutschen Hebammenverband: „In den Niederlanden sind Hausgeburten historisch gewachsen und üblich.“ Entbindungen im Krankenhaus sind dagegen aus eigener Tasche zu bezahlen, sofern keine Risiken vorliegen. Niederländische Krankenversicherungen übernehmen 225 Euro – den Rest zahlt die Frau. Eine reguläre Geburt kostet rund 300 Euro, bei Komplikationen wird es teurer. Trotz der vielen Hausgeburten sei die Kindersterblichkeit in den Niederlanden kaum höher als in Deutschland, sagt Wronn.
„Abenteuerlust oder nicht“, sagt Klaus Vetter: Wer hierzulande etwas Besonderes möchte, müsse eben draufzahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“