Hausbesuch Köln mit seiner Reizüberflutung war Sebastian Polmans zu viel. Jetzt lebt er auf dem Dorf, schreibt Bücher, komponiert Musik, zeichnet. Und unterrichtet Kinder im Fröhlichsein: Vom Mann, der das Kindsein hütet
von Eva-Lena Lörzer (Text) und Andreas Fechner (Fotos)
Zu Besuch bei Sebastian Polmans in Waldnieler Heide, einem 500-Seelen-Ort nahe der Gemeinde Schwalmtal an der holländischen Grenze. Tal der Mühlen sagen manche zur Gegend.
Draußen: Im Vorgarten des Backsteinhauses sind Lavendel- und Hagebuttensträucher, auf der Fassade stehen die Kreidezeichen der Heiligen Drei Könige: „20 C + M + B 17“. Außer den Schreien eines Bussards ist es still, nur für kurze Momente trägt der Wind das Rauschen der entfernten Autobahn herüber.
Drinnen: Im Flur des Einfamilienhauses döst eine Katze. Sebastian Polmans lebt hier mit einer 52-jährigen Musiklehrerin – fast wie eine Mutter-Sohn-Konstellation. „Aber es ist eine WG.“ Sein Zimmer im ersten Stock nennt er „Werkstatt“: ein Bett, eine Bank und eine Bauernkommode. Außerdem Regale aus Backsteinen, in denen Tierfiguren und Kinderbücher stehen. Auf dem schmalen Schreibtisch ein aufgeschlagenes Heft mit der Zeichnung eines Pandabären und Notizen über die heilende Wirkung von Bambus.
Kleine Palme:Auf der Fensterbank leuchtet eine gebastelte Laterne mit Zeichnungen eines kleinen Mädchens darauf. „Das ist Sara, die Tochter von Maria Magdalena und Jesus, die Erzählerin meines gerade entstehenden Romans: Kleine Palme.“ Es soll eine Fluchtgeschichte werden, eine in der Maria Magdalena und Sara von Jerusalem nach Südfrankreich fliehen. Er erzählt es aus der Perspektive des Kindes, aber ein Kinderbuch werde es nicht. Auch sein erstes Buch „Junge“ ist kein Kinderbuch. Bei Suhrkamp kam es heraus; Suhrkamp, das klingt nach Erfolg. Der Anspruch überforderte ihn, er zog sich zurück.
Junge sein: Geboren wurde Polmans 1982 in Neuwerk-Mitte bei Mönchengladbach. Das ist nicht weit vom Dorf, wo er jetzt lebt. Als Jugendlicher gründete er mit Freunden die HipHop-Band Summsemann. „Ihr kennt meine Träume, Fremde und Freunde“ – so fing einer der Songs an. Später studierte er literarisches Schreiben, Philosophie, Musik in Hildesheim. Zuletzt veröffentlichte er den Gedichtband „Unser Tattoo“. Darin Zeilen wie diese: „Unser Tattoo, das ist / der Schatten vom Rauch / aus dem Schornstein.“ Gedankenverloren spielt er beim Erzählen mit Bauklötzen, die er eigentlich für seinen Neffen gekauft hat. Als im Hintergrund die Bundesliga übertragen wird, springt er auf und ruft: „Fußball, da läuft Fußball!“ Polmans lässt sich schwer greifen – Kindlichkeit und Ernst sind eins bei ihm.
Glück: Angesprochen auf den Hype nach dem Debütroman, sagt er: „Ich wollte bei mir bleiben und meinen Weg gehen.“ Deshalb der Rückzug aufs Dorf. Und die Konzentration aufs Spirituelle. Nicht alle, die ihn kannten, konnten es nachvollziehen, einige machten sich Sorgen, andere wandten sich ab. Er zuckt mit den Achseln: „Dabei geht es mir gut, ich bin glücklich.“
Engel: Schwierig nachzuvollziehen ist das: „Ich kann Dinge sehen und hören, die andere nicht vernehmen.“ Er weiß, dass ihn deswegen manche für einen Spinner halten. Aber für ihn sei es natürlich, „mit Engeln und Naturwesen zu reden“.
Natur: „Wenn man mich besuchen möchte, muss man mit mir in die Natur gehen“, sagt er, greift zu seiner Gitarre und spielt seine neueste Komposition – „Honey“, ein ruhiges Gitarrensolo. Weil er Köln, wo er mit seiner damaligen Freundin lebte, als dauernde Reizüberflutung empfand, zog er zurück in seine Kindheitsregion. Zuerst zu seiner 93-jährigen Oma.
Die Oma: „Meine Oma hat ihr Herz auch maximal auf.“ Er habe viel von ihr gelernt. „Aber dann war klar, dass ich weiter muss in die Welt, wenn ich noch eine Familie gründen will.“ Demnächst will er mit der Oma aber verreisen. Ans Meer.
Der Supermarkt: Als ein Supermarkt auf einer Wiese im Landschaftsschutzgebiet geplant wurde, fühlte er sich herausgefordert. Er fand, die Entscheidung ging zu sehr über die Köpfe der Menschen hinweg. Das wollte er nicht. Er intervenierte, schrieb Briefe, ging hin, er kann hartnäckig sein. „Einige wirkten überfordert von mir.“ Am Ende wurde der Supermarkt auf einem Acker statt auf der Wiese gebaut.
Die andere Welt: 2015 wurden Flüchtlinge im Nachbarort untergebracht. Er fuhr hin, gab Deutschunterricht, ging mit den Flüchtlingen zu Behörden, spielte mit den Kindern, wollte schützen, beschützen. „Einmal ist die AfD in der Nähe marschiert, da habe ich dort übernachtet.“ Er wollte auch einen Gemeinschaftsgarten auf öffentlichem Gelände initiieren. Weil der Antrag lange nicht bearbeitet wurde, überließ ein Ehepaar seinen Garten und einige der Geflüchteten begannen, dort mit Polmans Kartoffeln zu pflanzen. „Vor ein paar Monaten aber“, erklärt er, „wurde es mir zuviel. Ich habe gemerkt, dass ich wieder mehr Raum für mich brauche.“
Gegenwart: Gerade hat er „Friede, Freude, Family“, ein Kinderbuch, geschrieben und gezeichnet und sucht einen Verleger. Seit einem Jahr komponiert er Lieder für das Bandprojekt „Leo and the Lilytree“. Geld verdient er auch mit seiner Arbeit an einer Grundschule. Was er dort macht? Die „Fröhlichsein-AG“ – er singt, tanzt, schreibt und malt. Mit den Kindern.
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