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Hausbesuch Antonia Duende zeichnet live bei Konzerten. Angefangen hat sie damit, als sie Hausbesetzerin in Berlin war. Häuser besetzt sie nicht mehr, aber mit ihrer Kunst hat sie ErfolgDer Mauerfall, das Tacheles und der Jazz

Antonia Duende in ihrem Wohnzimmer vor einigen ihrer Bilder. Wenn sie in einem Konzert zeichnet, sei das für sie, als mache sie auch Musik

von Luciana Ferrando (Text) und Piero Chiussi (Fotos)

Zu Besuch bei der Malerin und Performerin Antonia Duende in Berlin Wilmersdorf.

Draußen: Mit Regen sieht alles grau aus, obwohl manche Gebäude creme- oder lachsfarben sind und an Balkonen Lichterketten leuchten. Ruhig wirkt die Gegend, weit weg vom Hip anderer Viertel. Die Straße runter zum Eck: Blumenladen mit dreckigen Schaufenstern, „Privat-Restaurant“, Schönheitssalon, Luxus-Discounter. Und die Betonadler der Hohenzollern, die den Eingang der U-Bahnhof bewachen.

Dazwischen: Das Gebäude, in dem Duende wohnt, ist beige. Zwei Messingschilder von Anwaltskanzleien hängen am Eingang. Acht Stufen, dann kommt ein schweres Tor. Und dann Dunkelholz, Marmor. Es riecht nach Alt, und nach Schneider, sagt der Fotograf, dessen Oma Schneiderin war. Das Licht auf dem Weg in den dritten Stock ist düster blau.

Drinnen: Das Wohnzimmer des Altbaus ist riesig, 60 Quadratmeter? Genau weiß Duende es nicht. Abgesehen vom Kronleuchter und einer imposanten Lichtinstallation der Künstlerin, dem „B“ des glagolitischen Alphabets, der alten slawischen Schrift, wirkt ihr Zuhause spartanisch: ein langer Tisch, eine Bibliothek, Reisesouvenirs, Plakate, die ihr Mann gestaltet hat. An zwei Wänden hängen einige der vielen Porträts von Jazzmusikern und -musikerinnen, die Duende seit Anfang der neunziger Jahre bei Jazzkonzerten „wie besessen“ live zeichnet.

Ihre Fotoalben: nicht nur Bilder, sondern Gefühle, Gesichter, Stimmen

Erinnerungen: Am liebsten würde Antonia Duende ihr Leben als Künstlerin in Berlin chronologisch erzählen, deshalb liegen alte Originale und ein Ordner mit Fotos, Zeitungsartikeln, Briefen schon auf dem Tisch und werden immer wieder durchblättert. „25 Jahre erlebe ich gerade wieder“, sagt Duen­de, wenn sie sich die Sachen anschaut. „Es sind nicht nur Bilder, sondern Gefühle von damals, die hochkommen, Gesichter und Stimmen von Leuten, die ich nie wieder gesehen habe.“ „Damals“ war 1990, als die Malerin drei Monate als Touristin nach Berlin einreiste. Dann erhielt sie in ihrem Heimatland Bulgarien ein Künstlervisum, dank einer Einladung des Kunsthauses Tacheles, und konnte länger bleiben. Schwer für sie zu glauben, dass der Brief eines besetzten Hauses, denn das war das Tacheles, so ernst genommen wurde, sagt sie. Sie war 32 und hatte einen Sohn, der bei ihren Eltern in Sofia blieb und erst als Pubertierender auch nach Berlin kam. Im Tacheles malte sie ihre ersten Jazz-Porträts und genoss die wilden Jahre nach der Wende. Später besetzte sie mit anderen KünstlerInnen einen Wachturm und wandelte ihn in einen Kulturtreffpunkt um.

Passé: Das Tacheles, den Wachturm und jenes Berlin nach dem Mauerfall gibt es nicht mehr. Nostalgie empfindet Duende trotzdem nicht. „Das Tacheles war nur ein Skelett“, sagt sie. „Das Wichtigste war, dass wir aktiv waren. Häuser besetzen und Kunstaktionen organisieren war Alltag“. Die Zeiten ändern sich, heute sei sie anders aktiv. Wie? Mit ihrer Kunst. Beim Porträtieren von Jazzmusikern kanalisiert sie ihre Leidenschaft.

Wer ist sie? Antonia Parvanova hat sich den Nachname Duen­de vom andalusischen Dichter Federico García Lorca „aus­geliehen“. Er hat in seinem Buch „Theo­rie und Spiel des Dämons“ erklärt, was es bedeutet, „duen­de“ zu haben: Diese besondere Gabe schenkt Flamenco- und anderen Künstlern Inspiration und Kraft während des Kreationsprozesses. Wenn sie ihre Jazz-Zeichnungen realisiert, spüre sie den „duende“ in sich, und deshalb passe der Name gut zu ihr. „Die Musik führt meine Pinselstriche, ich bewege mich mit.“ Duende tanzt während der Arbeit. „Ich mache eine Performance, denn ich male mit dem ganzen Körper.“ Sie sei mit der Musik so synchronisiert, dass die Porträts fertig sind, wenn das Konzert vorbei ist. Viele Musiker bemerken sie nicht, „sie spielen wie in Trance“, andere sind begeistert, möchten die Bilder haben und nennen sie Zauberin. Die meisten erkennen sich darauf. An eine blonde Pia­nis­tin kann sie sich aber erinnern, die sich beschwerte: „Das ist nicht meine Nase.“

Nach was klingen ihre Bilder? Duende glaubt, dass sie beim Malen eigentlich auch Musik macht, so fühle sich das an. Jemand sagte ihr, ihre Zeichnungen wären wie ein Schlagzeug, so laut. Die Philharmonie lud sie ein, bei einem klassischen Konzert die Musiker zu porträtieren. Doch das hat nicht funk­tioniert. „Ich war so laut, dass ich gestört habe und mich nicht mitreißen lassen konnte.“ Sie wurde nicht fertig, ein Porträt ohne Kopf bewahrt sie von da noch auf. „Bei klassischer Musik fühle ich mich begrenzt, bei Jazz bin ich frei.“ Sie sagt, sie könne kein Ins­tru­ment spielen, dafür singe sie gern bulgarische Lieder bei Freunden. Sie macht die Augen zu, das Kinn nach oben und intoniert ein Volkslied über schöne Wälder, das sich winterlich anhört.

Ihre Lichtinstallation: das „B“ im Glagolitischen, einer slawischen Schrift

Mehr als eine Heimat: „Durchschnitten die Straßen. Durchschnitten die Venen. Straff abgebunden. Doch es sickert das Blut“, hat Duendes Vater, ein Dichter, einmal als Protest gegen die Berliner Mauer geschrieben. Journalist und Polnisch­übersetzer war er auch. Ihre Mutter ist Dramaturgin, Kulturwissenschaftlerin und „Balka­nis­tin“. Immer war Antonia Duen­de von Künstlern umgeben, auch heute: Ihr Mann ist Grafiker und „Filmograf“ (er fotografiert Filme), ihre Schwester Indologin und Tänzerin. In einem solch intellektuellen Milieu aufzuwachsen, habe ihr geholfen, Malerin zu werden und sich als Frau zu emanzipieren in einem Land, wo das nicht immer selbstverständlich ist. „Meine Familie unterstützte mich. Sie gab mir Freiheit und das Gefühl als Frau gleichberechtigt zu sein!“. Der Sozialismus in Bulgarien, glaubt sie, habe auch nach dieser Gleichstellung der Geschlechter gestrebt. „Menschen, die im Osten groß geworden sind, wurden mit Idealen erzogen, nach denen sie sich später sehnen.“ Sehnsucht nach der Heimat empfindet sie dagegen nicht, denn sowohl in Berlin wie in Sofia ist sie zu Hause. „Ich bin regelmäßig in Bulgarien und sehe dieses Hier und Da nicht als Spaltung, sondern als Rhythmus.“

Wann ist sie glücklich? „Wenn ich mit dem Klang des Jazz in einem Fluss bin.“ Doch Glück lasse sich nicht bestellen.

Wie findet sie Angela Merkel? Der Kanzlerin ist Antonia Duen­de 2007 persönlich begegnet, als sie im Rahmen eines Projekts das mythologische Europa in berühmten Frauen suchte. Sie verdächtigt sie, Europa verkörpern zu wollen. Warum? „Sie ist souverän, zukunftsorientiert und denkt integrativ.“ Duen­des Meinung hat sich bis heute nicht geändert. „Wir sollten alle wie sie denken, wenn wir uns ein besseres Europa wünschen.“

Sie wollen auch besucht werden? Schicken Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

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