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Haus Marlene Poelzig fehlt

Die Buchveröffentlichung „Haus Marlene Poelzig“ rückt die Erinnerung an die Architektin Marlene Poelzig in den Mittelpunkt und beklagt das Versagen beim Erhalt ihres Hauses, das abgerissen wurde

Haus Poelzig, Terrasse vor dem Spielzimmer: Möbel: blauer Lack, Planschbecken für die Kinder, aus Travertin, 35 cm tief mit Brausevorrichtung. Seitlich führt je eine Stufe hinein, hat einen Überlauf und Ablaufvorrichtung Foto: Bauwelt. Heft 34/1930, S.1–8

Von Yi Ling Pan

Der zweidimensionale Rundgang beginnt in Marlene Poelzigs Atelier. Die Fenster füllen mehr als die Hälfte der Wände, das Licht spiegelt sich auf dem dunklen Boden. Blättert man weiter in dem Buch über das Haus Marlene Poelzig blickt man auf das helle, zum großen Garten hin offene Esszimmer. Von hier aus konnten Marlene Poelzig und ihr Mann, der berühmte Architekt Hans Poelzig, ihre Kinder beim Spielen beobachten. 1930 bis 1970 wohnte die Familie im nach seiner Architektin benannten Haus in der Tannenbergallee 28, Berlin-Westend.

Physisch kann man das Haus heute nicht mehr betreten. 2020 wurde der Abriss genehmigt. Dagegen protestierten Bür­ge­r:in­nen und Ver­tre­te­r:in­nen aus Baukultur und Politik, die sich in der Initiative „Haus Marlene Poelzig“ zusammenschlossen. Ihr Ziel: das einzig bekannte Haus einer Architektin in der Weimarer Republik als Denkmal feministischer Baugeschichte zu erhalten, und als interdisziplinäre Künstlerinnenresidenz neu zu beleben. 2021 platzte der Traum. Das verfallene Haus wurde zugunsten von Villenneubau abgerissen.

Wäre es anders gekommen, hätte es ein Mann entworfen? Ausgehend von dieser Frage versammelt das von Hannah Dziobek, Hannah Klein und der Initiative Marlene Poelzig herausgegebene Buch „Haus Marlene Poelzig, Berlin. Abriss und Aufbruch“ fünfzehn Reflexionen, Interviews und Manifeste. Liebevoll durch Entwurfsskizzen getrennt, steht jeder Raum des essayistischen Rundgangs für ein Thema; von Au­to­r:in­nen­schaft über Care-Arbeit bis hin zu Erinnerungskultur.

Marlene Poelzig, geborene Moeschke, stellt Kunstwissenschaftlerin Andrea Aranda als vielseitige Künstlerin vor, die flammenartige Verzierungen, organisch fließende Skulpturen und avantgardistische Kostüme entwirft. 1918 begann die künstlerische Zusammenarbeit mit Hans Poelzig, die in eine Ehe und den Beruf als Architektin mündete. Sie wirkte u.a. am Bau von Filmhäusern und am Haus des Rundfunks mit. Ihr 1930 fertiggestelltes Wohnhaus entwarf sie allein. Es gilt mit seiner pragmatischen Nutzung natürlichen Lichts und der fließenden Verbindung zwischen Innen- und Außenräumen als Höhepunkt ihrer Karriere. Die Mehrzweckräume und großzügigen Kinderbereiche wurden international als fortschrittliche Vereinigung von Privatleben und Beruf gepriesen. Trotzdem blieb sie in der Rezeption oft nur die „Assistentin“ Hans Poelzigs.

Auch wenn die beiden als gleichberechtigtes Künst­le­r:in­nen­paar galten, bemühte sich Hans Poelzig oft vergeblich um Anerkennung und Realisierung der Projekte seiner Frau, wie Kunsthistorikerin Dr. Heike Hambrock in einem Briefwechsel zeigt. Nach Hans Tod 1936 stellte Marlene Poelzig ihr architektonisches Schaffen allmählich ein – auch wegen fehlender Unterstützung.

Die Architektin Karin Hartmann erinnert: ein großes Wohnhaus entwerfen zu können, war und ist ein Privileg. Marlene Poelzig war es möglich, als weiße, bürgerliche, mit einem angesehenen Mann verheiratete Frau. Emanzipatorische Architektur müsse daher intersektional denken, und Privilegien klar benennen, fordert die Ar­chi­tek­t:in­nen­grup­pe „c/o now“.

Der essayistische Rundgang scheut auch den kritischen Blick in unangenehme Ecken der Geschichte nicht. 1937 verkaufte Marlene Poelzig das Haus an den Nazi-Regisseur Veit Harlan. Der Architekturhistoriker Prof. Volker M. Welter zeichnet nach, wie die rigide Geometrie und das Freiheitsgefühl des Hauses mit seinem neuen Bewohner nationalsozialistisch umgedeutet werden konnten.

Das Haus wurde international als fortschrittlich gepriesen

Schließlich wird auch der selektive Blick auf Architektur selbst kritisch seziert. Wer bestimmt, was erhaltenswert ist? Wer kategorisiert in sogenannte „Besonders Erhaltenswerte Bausubstanz“, „Alltagssubstanz“ und „Denkmäler“? Das Landesdenkmalamt Berlin verwehrte dem Haus Marlene Poelzig den Denkmalschutz: es sei durch die Umbauten zu entfremdet vom Originalzustand. Dagegen hätten Gebrauchsspuren und Fragmentierung als Zeitzeugnisse einen eigenen Wert, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Mariam Gegidze. Etwas zynisch bemerkt der Architekturhistoriker Prof. Dr. Matthias Noell, dass selbst abgerissene Gebäude eine Geschichte erzählen – in diesem Fall die der systematischen Nicht-Beachtung von Architektinnen.

Aber auch ohne physischen Ort geht das Projekt der Initiative Haus Marlene Poelzig weiter. Der Sammelband ist ein zugänglicher Einstieg – und lädt mit zahlreichen Literaturempfehlungen ein, den Blick auf die Architekturen um uns herum weiter zu schärfen. Insbesondere auf die Vielzahl an menschlichen Kräften, die unbemerkt hineingeflossen sind.

Initiative Haus Marlene Poelzig, Hannah Dziobek und Hannah Klein (Hg.): „Haus Marlene Poelzig, Berlin. Abriss und Aufbruch“. Urbanophil Verlag, Berlin 2025, 280 Seiten, 36 Euro

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