Hauptstadtderby mit Sieger Union: Berliner Klein-Klein
Nach dem 2:0-Sieg im Berliner Derby spricht Union-Trainer Fischer von Klassenerhalt. Hertha-Coach Dárdai sieht sich noch schlechter.
Wer am Samstagabend nach dem großen Stadtderby diesem so hoch offiziell arrangierten Akt folgte, konnte den Eindruck gewinnen, einem Gipfel zweier Zwergstaaten beizuwohnen. Urs Fischer, der große Gewinner des Stadtderbys, erinnerte daran, dass Union Berlin, um es überspitzt zusammenzufassen, ein in der Spitzengruppe der Bundesliga getarnter Abstiegskandidat ist. Der Klassenerhalt sei nach wie vor das Ziel, der 2:0-Erfolg gegen Hertha nur mit großem Aufwand möglich gewesen und die Demut für das Team etwas stets Wichtiges. Noch tiefer stapelte Fischers Hertha-Kollege Pál Dárdai: „Wir sind jetzt genau da, wo Union vor drei Jahren war.“ Vielleicht hatte sich der Ungar auch im Jahr vertan, denn damals spielte Union noch zweitklassig. Erst in der Saison danach starteten die Köpenicker als krasser Außenseiter das Abenteuer Bundesliga.
Was Dárdai da beschrieb, war im Grunde die Verkehrung der Machtverhältnisse in der Stadt und dürfte insbesondere den Hertha-Investor Lars Windhorst, der in den letzten Jahren 374 Millionen Euro bereitstellte, irritieren. Verwunderlich war am Samstagabend schon, dass diese Partie nur einen möglichen Kippmoment aufwies, als Hertha in der 45. Minute der Anschlusstreffer nach der Videobeweisprüfung aberkannt wurde. Ansonsten konnte sich auch Dárdai nicht an Gefahrenmomente vor dem Union-Tor erinnern. „Wenn wir ehrlich sind heute, dann ist da nicht ein wirklicher Schuss gewesen.“
Derart unterlegen war Hertha noch nie in einem Derby gewesen. Und Dárdai rätselte über die fehlende Spritzigkeit und Dynamik seines Teams im Offensivspiel. „Vielleicht haben wir zu viel trainiert, oder wir haben den Tag falsch geplant, zu lange in der Kabine gehockt.“ Möglicherweise wird der 45-Jährige im Nachhinein noch einmal über das Mittagsmenü und die Busroute grübeln. Die Leistungen seines Teams erschienen ihm zu jenseitig, um sie mit den Begebenheiten auf dem Platz zu begründen.
Dárdais Patzer
Beispielhaft dafür dürfte Dárdai der ungewöhnliche Patzer seines Sohns Márton sein, von dem Union-Stürmer Taiwo Awoniyi bereits in der 8. Minute profitierte und der das ganze Unglück einleitete. Christopher Trimmel erhöhte dann zum 2:0 (30.).
Der Schock saß bei Dárdai an diesem Abend anscheinend so tief, dass er die von ihm zuvor schon häufig betriebene Verzwergung der Hertha auf die Spitze trieb. Verdenken kann man dem Trainer gewiss nicht, Krzysztof Piątek als torgefährlichsten Stürmer der Hertha zu bezeichnen. Schließlich ist das durch die Statistik belegt. Ein Tor und eine Vorlage kann in dieser Saison kein anderer Hertha-Stürmer vorweisen.
Was genau Dárdai mit den drei Jahren Rückstand auf Union meinte, ist indes interessant. Dárdai sprach vom Neuanfang bei Hertha, den man sich vor Saisonbeginn vorgenommen habe, weil man über zehn Spieler abgegeben habe. Der Aderlass beim 1. FC Union war allerdings ebenfalls nicht gering. Zudem muss der Verein erstmalig auch noch in einem internationalen Wettbewerb antreten und verfügt über den deutlich kleineren Finanzspielraum als Hertha.
Die 7 Punkte
Die sieben Punkte, die aktuell zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC in der Tabelle liegen, spiegelten sich aber in der Tat auf dem Platz wider. Der Auftritt der Köpenicker wirkte deutlich organischer, aber auch leidenschaftlicher. Und der zuletzt verletzte Max Kruse gab dem Union-Spiel zusätzliche Reife.
Diese unerwartete Kluft befeuerte die Schadenfreude auf den trotz alarmierender Coronalage voll besetzten Rängen an der Alten Försterei. Mit dem Schlusspfiff setzten wieder die „Siehst du Hertha, so wird’s gemacht“-Rufe ein. Nur Pál Dárdai scheint den darin enthaltenen Spott nicht sehen zu wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?