piwik no script img

Hass auf Performance-KünstlerinAls Microsoft einknickte

Die Performance-Künstlerin Marina Abramović wird von Rechtsradikalen als Satanistin diffamiert und bedroht. Nun wehrt sie sich öffentlich.

Die Performance-Künstlerin Marina Abramović Foto: Ursula Düren/dpa

Wie kaum eine Künstlerin ihrer Generation macht sich Marina Abramović die Digitalisierung zu eigen: In Apps und Mixed-Reality-Experimenten überwindet sie Kategorien von Raum und Zeit. So wird sie etwa in ihrer jüngsten Arbeit „The Life“ als Hologramm in einem Galerieraum sichtbar. Durch Datenbrille und Virtual Reality findet sie einen Weg, ihr Lebenswerk als Performancekünstlerin nicht auf ihre Existenz zu begrenzen und ihre epochemachende Arbeit „The Artist is present“ (2010) durch technische Mittel für die Nachwelt zu erhalten.

Während die in Belgrad geborene Performerin früher Themen wie Liebe, Abscheu und Schmerz künstlerisch aufgegriffen hat, steht hier die Endlichkeit des Lebens buchstäblich im Raum. Am 10. April nun veröffentlichte Microsoft einen 19-minütigen Promotion-Clip für das im Projekt genutzte Headseat HoloLens2 und löschte ihn dann auch gleich wieder im Youtube-Kanal der Firma – nach 24.000 Dislikes. Gepostet hatte Microsoft das Video, um die Nähe des Konzerns zur Kunst zu spiegeln und die innovative Digital-Performance aus Imagegründen zu feiern.

Der digitale Massenangriff auf ihre Kunst und der überraschende Rückzieher des Mega­konzerns waren jetzt Grund für Abramović, sich erstmals an die Öffentlichkeit zu wenden. Sie müsse ihr Herz öffnen, sagt sie gegenüber der New York Times (NYT). „Ich möchte diese Leute wirklich fragen: Könnt ihr bitte damit aufhören, mich zu belästigen?“, schreibt sie. „Könnt ihr nicht sehen, dass das die Kunst ist, die ich die vergangenen 50 Jahre meines Lebens gemacht habe?“ Bis zu drei Todesdrohungen erhalte sie pro Tag.

„Ihr“, das sind Rechtsradikale, die Abramović als Satanistin abstempeln und sie seit Jahren in sozialen Medien diffamieren. So waren die Dislikes nach Medienangaben die direkte Folge davon, dass der rechtsextreme US-Blog Infowars auf den Clip hinwies und ihn mit „Spirit Cooking“ in Verbindung brachte: Vor vier Jahren, während des US-Wahlkampfs, verabredete Marina Abramović ein „Geisterkochen“ mit Hillary ­Clintons Ex-Wahlkampfmanager John Podesta, mit dessen Bruder, einem Kunsthändler, sie befreundet ist.

Ihr Freundeskreis unter Prominenten macht sie noch mehr zur Zielscheibe von rechten Hatern

Bei der Performance, uraufgeführt in einer italienischen Galerie, schrieb die Künstlerin mit Schweineblut Anweisungen wie „with a sharp knife cut deeply into the middle finger of your left hand eat the pain“ an die Wand und kochte für die Gäste. In Mails verabredeten Podesta und Abramović eine mögliche Wiederholung mit Clinton-Anhängern.

Gerüchte gestreut

Diese Korrespondenz kochten Verschwörungstheoretiker zur „Pizzagate-Affäre“ hoch – Gerüchten, die Ende 2016 laut wurden und Hillary Clinton bezichtigten, gemeinsam mit ihren Wahlkampfmanagern im Keller einer Pizzeria in Washington einen Kinderpornoring zu betreiben, zu dem Abramović als wichtige Strippenzieherin beitrage.

Dass Abramović einen großen Freundeskreis unter Prominenten hat – sie unterrichtete etwa Lady Gaga in Performance-Kunst – und mit großen Firmen kooperiert, macht sie nur noch mehr zur Zielscheibe von rechten Hatern. Jäh wurden auch andere Kunstwerke der Performerin in Satanismus-Verdacht gezogen: Auf der Biennale von Venedig 1997 schrubbte sie in „Balkan Baroque“ einen Haufen Rinderknochen. Das Kunstwerk sollte auf das Blut hinweisen, das in Exjugoslawien während des Balkankriegs geflossen ist und von dem sich die Verantwortlichen niemals reinwaschen können.

Heute, sagt Abramović im NYT-Interview, habe sie Angst, „dass irgendwann ein Wahnsinniger mit einem Gewehr auftaucht und mich erschießt, weil er denkt, dass ich Satanistin sei“.

Gerade Angst ist ein Wort, das Abramović sicher nicht leichtfertig in den Mund nimmt. 1974 legte sie in ihrer Performance „Rhythm 0“ selbst eine geladene Pistole – und 71 andere Gegenstände, teils Folterwerkzeuge – auf einen Tisch und forderte ihr Publikum auf, mit ihr zu verfahren, wie auch immer es wolle – eine Performance, die Qual, Übergriffe und auch Tötungsabsichten Fremder offensiv künstlerisch aufgreift.

Wenn Microsoft dem Angriff der Rechten auf die Kunstfreiheit nicht standgehalten und das Video gelöscht hat, hat es den Anschein, als knicke ein innovativer Großkonzern lieber vor einer gesichtslosen Masse ein, statt eine etablierte Künstlerin zu stützen.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Interessant wäre zu wissen, wie die Abläufe bei Microsoft waren. Kann mir das bildlich vorstellen: Eine Kommunikationsabteilung (die wahrscheinlich verschiedenste Initiativen bei sich bündelt) sieht die Dislikes, reagiert erst mal technisch und nimmt das Video vom Netz. Andere Abteilung dreht durch wegen den negativen Image durch die Einstellung des Videos....



    Kann natürlich anders gelaufen sein, aber bei einem so großen Unternehmen gibt es kein einheitliches Agieren.



    Hihihi 😂 jetzt haben die den schwarzen Peter.

  • Grauenhaft, das gesellschaftliche Klima in den USA.

    Wehret den Anfängen hier in Deutschland!

  • man sollte lieber Warhol folgen: "jeder ein Künstler-Star für 15 Minuten... und dann is auch gut!