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Hartz IV in der KritikDer größte Murks von I bis IV

Nicht nur die Hartz-Gesetze sind komplex, auch ihre Umsetzung. Die Probleme: unklare Begriffe, unqualifizierte Jobcenter-Leute, gesetzwidrige Bescheide, überlastete Richter.

Laut Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) sind die Hartz-Gesetze vermurkst und nicht praxistauglich - aber was heißt eigentlich "nicht praxistauglich"? Und was ist konkret "Murks" an Hartz IV? Vier Antworten.

Murks I ist der Gesetzesrahmen, der auf Bundesebene geschaffen wurde. Selbst wer den Zielen der Hartz-IV-Reformen politisch folgt, muss feststellen: Viele Ausführungen sind unkonkret, führen zu Willkür und Unklarheit. Am Beispiel: Was der Begriff "angemessen" - etwa im Hinblick auf die zustehende Wohnfläche - meint, ist laut Berlins Justizsenatorin politisch ungeklärt. Hier könnten zwei Richter am selben Gericht zu völlig gegensätzlichen Einschätzungen kommen. Die Folge: Weil die Politik keine Klarheit schaffen will, ist das Ermessen der Richter gefragt. Lange Prozesse inklusive.

Murks II ist vor allem die sperrige Amtssprache, mit denen Hartz-IV-Berechtigte sprachlos gemacht werden. Das hört sich nach einer Kleinigkeit an, hat aber große Folgen: "Viele Anspruchsberechtigte verstehen die Bescheide einfach nicht", sagt die Rechtsanwältin Ines Mroß. "Wenn sie eine individuelle Beratung wünschen, stehen die Ämter dafür aber faktisch kaum zur Verfügung." Eigene Rechtswahrnehmung? Fehlanzeige.

Die Personalsituation der Jobcenter ist Murks III: Weil in Berlin etwa viele Mitarbeiter der Jobcenter nur befristete Verträge haben, ist deren Fluktuation hoch und ihre Kenntnis niedrig. Rechtswidrige Bescheide sind die Folge. Das wiederum führt zu großen Klagewellen - und Personalengpässen in den Gerichten. Gab es vor den Hartz-Gesetzen 2004 noch 55 Richter am Berliner Sozialgericht, so sind es heute bereits 109.

Das alles führt zu Murks IV: Weil das Gesetz der behördlichen Realität widerspricht, sind die Ämter überfordert. Das führt zu unschönen Statistiken - und vor allem: zu existenziellen Nöten derjenigen, die ganz besonders von staatlicher Hilfe abhängen.

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