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Die WahrheitBallonlippen für Trump

Im Umfeld des amerikanischen Präsidenten tauchen immer wieder von Straffungsnähten festgezurrte und deshalb völlig gleich aussehende Gestalten auf.

K olumnisten stehen regelmäßig vor einem Dilemma: Einerseits soll man in den Texten inhaltlich auf der Höhe der Zeit sein, andererseits möchte niemand öde die gerade von allen durchgehechelten Sujets wiederkäuen. Ich ignoriere diesen Aktualitätszwang oft und schreibe über Nischenthemen wie Nagetiere. Vor allem interessiere ich mich für die Unterordnung der Hörnchenartigen wie Bilche und Ziesel oder Biberverwandte wie die Taschenratte und die Kängurumaus.

Heute aber muss ich mich doch einem Thema widmen, das in der US-Presse schon seit einiger Zeit diskutiert wird: das „Mar-a-Lago-Face“. Inwieweit die deutschen Kollegen sich bereits damit beschäftigt haben, weiß ich nicht, weil ich außer der Apothekenumschau und Flüssiges Obst – einem Fachmagazin der Saft-Industrie, erscheint monatlich in der confructa medien GmbH – kaum hiesige Medien konsumiere.

Das „Mar-a-Lago-Face“ ist nicht etwa Trumps orangefarbenes Selbstbräuner-Antlitz, sondern beschreibt das verblüffend uniforme Aussehen vieler Menschen im Trump-Umfeld. Da dies nicht nur das Gesicht betrifft, sondern die ganze Erscheinung, wird alternativ auch der Begriff „MAGA-Look“ benutzt.

Beispiele hierfür sind die Heimatschutzministerin Kristi Noem, Trumps Schwiegertochter Lara, die Verschwörungs-Influencerin Laura Loomer und die US-Botschafterin in Griechenland Kimberly Guilfoyle. Alle diese Frauen haben in den vergangenen Jahren ihr Aussehen deutlich verändert. Alle sind auffallend dünn, tragen mit Extensions verlängertes Haar, dickes Make-up und stereotyp weibliche Kleidung. Vor allem haben sie ihre Gesichter von Fachkräften mit Hilfe von Skalpellen, Straffungsnähten sowie Botox- und Hyaluron-Spritzen so modellieren lassen, dass sie aussehen wie eine zu stark aufgeblasene Schwimmhilfe.

Bevor ich nun zurechtgewiesen werde, ich als Mann hätte das selbstbestimmte Aussehen von Frauen nicht zu kommentieren: Erstens gibt es im Trump-Fanblock auch Typen mit einem entsprechenden künstlichen Männlichkeitslook, zum Beispiel Verteidigungsminister Pete „Tattoo“ Hegseth oder den eigentlich als Justizminister vorgesehenen, aber präcox zurückgetretenen Matt „Jawline“ Gaetz. Und zweitens finde ich es sehr interessant, dass ausgerechnet Menschen, die predigen, man dürfe Gott nicht ins Handwerk pfuschen, indem man Schwangerschaften abbricht oder geschlechtsangleichende OPs vornimmt, selbst viel Geld für blutige Eingriffe bezahlen, nur um nicht so auszusehen wie der HErr oder wer auch immer sie geschaffen hat.

Vor allem aber bin ich als abgebrochener Kulturwissenschaftler der Meinung, dass Form und Inhalt sich immer bedingen. Und da wiederum ist es durchaus schlüssig, dass die zurzeit praktizierte obszöne Politik der amerikanischen Regierung von Menschen gemacht wird, die aussehen wie abgehalfterte Pornodarsteller. Egal welchen Geschlechts.

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Hartmut El Kurdi
Autor, Theater-Dramaturg, Performer und Musiker. Hartmut El Kurdi schreibt Theaterstücke, Hörspiele (DLF / WDR), Prosa und für die TAZ und DIE ZEIT journalistische und satirische Texte. Für die TAZ-Wahrheit kolumniert er seit 2001. Buchveröffentlichungen (Auswahl): "Revolverhelden auf Klassenfahrt", "Der Viktualien-Araber", "Mein Leben als Teilzeit-Flaneur" (Edition Tiamat) / "Angstmän" (Carlsen) / "Als die Kohle noch verzaubert war" (Klartext-Verlag)
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