„Harte Jahre“ von Mario Vargas Llosa: Durch die Gringos radikalisiert
Eine Reise in die kommunistischen 50er. In seinem Alterswerk „Harte Jahre“ kommt der große Erzähler Vargas Llosa auf den Putsch in Guatemala zurück.
„Krake“ wurde sie genannt oder auch „La Frutera“: die US-amerikanische United Fruit Company (heute Chiquita). Der Einfluss des Bananen-Multis war Mitte des 20. Jahrhunderts gerade in Mittelamerika so groß, dass ganze Länder der Region zu sprichwörtlichen „Bananenrepubliken“ wurden. In seinem neuen Roman „Harte Jahre“ nimmt sich der peruanische Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa den skandalösen Fall Guatemalas vor, um eine Geschichte über Intrigen, Macht und Geld zu spinnen.
Dort war Präsident Jacobo Árbenz Guzmán 1954 unter dem Vorwand, einer sowjetischen Invasion vorzubeugen, in einer CIA-Geheimdienstoperation („Operation Sucess“) aus dem Amt geputscht worden. Anlass war, dass der demokratisch gewählte Árbenz in Guatemala eine moderate Bodenreform durchführen und die United Fruit dazu verpflichten wollte, endlich Steuern zu zahlen.
In einer Art Prolog führt Vargas Lllosa in die politischen Hintergründe ein, indem er den Pakt zweier ungleicher Herren beschreibt: zwischen United-Fruit-Gründer Sam Zemurray, einem russischstämmigen Selfmademan, und dem eitlen Werbeguru Edward L. Bernays. Inmitten des Kalten Krieges starten sie mit Unterstützung renommierter Zeitungen eine Desinformationskampagne, die die guatemaltekische Regierung in die Nähe des Kommunismus rückt.
Allerdings tauchen die beiden danach nie wieder in dem Buch auf. Stattdessen entwirft Vargas Llosa ein Kaleidoskop von Figuren – die meisten waren reale Akteure –, darunter der gestürzte Präsident Árbenz, sein Nachfolger Oberst Castillo Armas (der am Sturz Árbenz’ entscheidend beteiligt war), dessen zwei Killer sowie die schöne „Palastkonkubine“ und Antikommunistin „Miss Guatemala“. Es dauert bis zur Hälfte des Buches, bis man die Zusammenhänge begreift.
Meisterhafte Sittengemälde
Vargas Llosa ist einer der großen Erzähler Lateinamerikas. Seine frühen Romane „Das grüne Haus“ (1966) und „Gespräch in der Kathedrale“ (1969) sind meisterhafte Sittengemälde der peruanischen Gesellschaft. Trotz eines barocken Stils sind seine Bücher oft spannend, haben aber auch eine humoristische Seite.
Mario Vargas Llosa: „Harte Jahre“. Aus dem Spanischen von Thomas Brovot. Suhrkamp, Berlin 2020, 411 Seiten, 24 Euro
Man denke an die wahnwitzigen Episoden des Hörspielmachers Pedro Camacho in „Tante Julia und der Kunstschreiber“ (1977). Camacho lässt seine Figuren sterben – und wiederauferstehen –, bis er selber den Überblick verliert und einen Nervenzusammenbruch erleidet.
Zum Œuvre Vargas Llosas gehören auch zwei historische Lateinamerika-Romane – einmal „Der Krieg am Ende der Welt“ (1981), ein episches Werk über den brutalen Kampf der brasilianischen Militärs gegen einen religiösen Führer und seine Anhänger im trockenen „Sertão“ im Nordosten des Landes; zum anderen „Das Fest des Ziegenbocks“ (2000), ein Porträt des dominikanischen Diktators Trujillo, der auch in „Harte Jahre“ wieder in seiner Rolle als Widerling auftaucht.
Dabei will der bekennende Liberale Vargas Llosa mit dem Stoff, dem er sich in seinem neuen Roman zuwendet, offensichtlich eine Botschaft verkünden: Das besonders Perfide am Vorgehen der USA war nicht nur, dass sie einen wahrhaften Demokraten abservierten, sondern dass Árbenz dazu auch noch ein Anhänger des US-amerikanischen Kapitalismus war.
Radikalisierung Che Guevaras
Durch das Vorgehen der Gringos radikalisierte sich auch der damals vor Ort weilende Che Guevara. Womöglich, schreibt Vargas Llosa, wäre die Geschichte des ganzen Kontinents anders verlaufen, „hätten die USA die Modernisierung und Demokratisierung Guatemalas akzeptiert“.
Vargas Llosa gelingt es jedoch nicht, das historische Geschehen so elegant aufzubereiten wie gewohnt. Er verliert sich in Details. Am Ende fragt man sich, ob das nicht auch mit seinem Alter von 84 Jahren zu tun haben könnte. Jedenfalls sorgen auch seine politischen Kommentare und sein Festhalten an einem überkommenen Begriff von Liberalismus inzwischen regelmäßig für Widerspruch.
Hatte Vargas Llosa nach 1970 noch gute Gründe, mit dem zunehmend repressiven System Kubas zu brechen (und damit auch mit seinem Freund und späteren Nobelpreiskollegen Gabriel García Márquez), musste man sich über seine Unterstützung marktliberaler Politiker in seiner Heimat in den 1990ern schon deutlich wundern.
Und in jüngsten Jahren nahm die Irritation über Ton und Inhalt seiner Zeitungsglossen noch zu. Für die Massenproteste gegen soziale Ungleichheit in Chile im November 2019 hatte Vargas Llosa nichts als Unverständnis übrig. Dennoch: Wer unterhaltsam etwas über die politische Geschichte Guatemalas erfahren möchte, sollte „Harte Jahre“ lesen,
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!