■ Harry Klein ist Inspektor. Womöglich verliert er nun durch ein Mißverständnis seinen Job. Dabei ist er ein Großer Von Peter Unfried: Klein für Derrick!
Das ZDF versucht einen jungen Kriminalisten von außen als Nachfolger für Oberinspektor Derrick zu installieren.
Ein Eklat. Denn in Frage kommt nur: Harry Klein.
Er ist Klein. Im Trenchcoat sieht er noch kleiner aus.
Meistens bleibt er neben der Tür stehen. Meistens wird er erst gar nicht vorgestellt. „Ah, Herr Derrick.“ Kein Wort zu Klein. Kein Nicken, das Erkennen anzeigen würde. Er steht da und hört zu, wie der Oberinspektor das verdächtige Großbürgertum verhört. Macht sich natürlich seine Gedanken. Man gäbe was, wenn man erfahren könnte, welche.
Im nahezu einstimmigem Urteil der wissenschaftlichen Literatur wird der Inspektor rezipiert als „ewiger Assistent, Nicker und Jasager“ (taz). Dieses vorschnelle Urteil nach kaum drei Jahrzehnten hat dazu geführt, daß es zweifelhaft ist, ob Klein (56) die Nachfolge des greisen Derrick (74) antreten kann, wenn der im kommenden Herbst pensioniert wird. Schlimmer: Die verantwortliche Behörde („ZDF“) will schon im Februar mit einem Jüngeren die Arbeit aufnehmen. Klein, heißt es, solle „möglicherweise“ dabeisein.
Klein: „Ein Mann ist in seinem Garten erschossen worden, Stefan.“
Ohne Klein hätte der das nie erfahren. Klein („Bavaria 412, bitte kommen!“) ist längst am Tatort, wenn der Oberinspektor noch weiß Gott wo rumhängt. In Zimmer 211 der Mordkommission wahrscheinlich. Aber was will er da? Sein Schreibtisch ist immer leer. Die Akten, das Heraussuchen von Telefonnummern, das Entgegennehmen von Telefonaten, „Papiere, so das Übliche“ (Derrick), alles erledigt Klein. Dafür wird er dann als „Bestätigungsautomat“ (AZ-Ponkie) verhöhnt.
Derrick: Ich wollte eigentlich was essen.
Klein: Ich eigentlich auch.
Was kann Klein dafür, daß er ganz normal um halb zwölf Hunger hat? Während Derrick aber jeden Mittag aufs neue gelangweilt und resigniert über das Töten sinniert, holt Klein stets aufs neue optimistisch den Kantinenfraß.
Derrick: Oh, Harry!
Klein: Huhn.
Ein beliebtes Vorurteil: Daß Klein nie befördert worden sei, zeige seine Unfähigkeit. Klein wurde aber vom Polizeihauptmeister zum Inspektor, als er nach knapp sechs Jahren am 20. Oktober 1974 aus Kommissar Herbert Kellers Vorzimmer an den Schreibtisch links von Derrick wechselte.
Schon damals war der junge Klein keineswegs ein „dümmlicher Assistent“ (Spiegel), sondern ein aufgeweckter Polizist, der es insbesondere verstand, sich in Jugend- Gangs einzuschleusen und jungen Frauen Informationen zu entlocken. Als Klein (auf eigenen Wunsch) ging, hatte der sonst so strenge Keller nur eine Kleinigkeit zu bemerken: „Etwas pünktlicher könntest du werden, Harry.“
Das merkte sich Klein. Um immer zeitig im Büro zu sein, fuhr er auch schon mal früher los. Diese deutsche Tugend hat zu einem Mißverständnis geführt, das sich in nahezu hundert Ländern und über den ganzen Erdball hartnäckig hält. Das Vorurteil ist so verbreitet, daß Anfänger wie ein namenloser neuer Assistent (28) des Kollegen Schimanski ungestraft sagen dürfen: „Wenn ich nur den Wagen holen dürfte wie Derricks Harry, hätte ich die Rolle nicht angenommen.“ Es ist tragisch: Wenn etwas von diesem Jahrhundert bleiben sollte, dann dieser Satz – in unzähligen Abwandlungen!
Derrick: „Harry, vai a prendere la macchina!“
Klein: „Va bene, Stefano.“
Derrick: „Harry, go and get this fucking car!“
Klein: „Okey dokey, Stephen.“
In Japan und China, so wird erzählt, glauben die Menschen mittlerweile, jeder Deutsche habe einen Harry – um den Wagen vorzufahren. In der Realität aber fällt dieser Satz so gut wie nie. Alles ist ganz anders, wie Fall Nr.127, „Wer erschoß Asmy?“, beweist.
Klein: „Ich fahr' schon mal vor.“
Derrick: (schweigt und nickt).
Es handelt sich also keinesfalls um einen Befehl („Harry, fahr schon mal ins Büro!“ usw.). Im Gegenteil: Mit der Erfahrung von fast 29 Berufsjahren entscheidet Klein, wann es für ihn Zeit ist, in den BMW zu steigen. Derrick bleibt nichts übrig, als diese Entscheidung zu akzeptieren – und zu sehen, wie er ins Präsidium kommt. Immer wieder wird getuschelt, die Kombiniergabe Kleins sei nur rudimentär ausgebildet. Tatsächlich geht seine Trefferquote („Also für mich war er's, Stefan“) gegen null. Die frühe Festlegung ist aber auch als experimenteller Versuch zu begreifen, die Indizien zu strukturieren („trial and error“). Auch an Kleins Verhörtechnik („Sind Sie zufällig Herr Marx?“) wird häufig gemäkelt: Dem Inspektor, heißt es, fehle die Menschenkenntnis, auch lasse er („Ich wollte fragen, ob...“) die kriminale Autorität vermissen. Es wird dabei aber übersehen, daß Kleins Stärke die messerscharfe Analyse ist.
Verdächtiger: (steckt Zigarette falsch herum in den Mund)
Klein: Sie sind ja ganz schön durcheinander.
Klein hat längst bewiesen, daß er ohne den Vorgesetzten auskommt. In „Ein Fall für Harry“ (Nr.94) bringt er Derrick zum Zug, um danach zügig den Mord aufzuklären. Dabei wird er vom namenlosen Türsteher zum Individuum in der Mitte des Raumes.
Gruga: „Hallo, Herr Klein!“
Und: „Herr Klein, nehmen Sie Platz!“
Klein gibt sich in der Verantwortung selbstbewußt („Sie haben mich schon verstanden!“), verliert aber etwas von seinem eigentlichen Charme („Beantworten Sie die Frage!“). Aber nach 59 Minuten ist er soweit.
Klein: „Sie waren's!“
Er ist Klein. Seine Aufklärungsquote 100 Prozent (Derrick: 99,2). Und deshalb muß es ab Herbst endlich heißen: „Klein“. Freitags (20.15 Uhr): „Klein“. Assistent aber soll Berger werden. Willy Berger. Der steht manchmal in der Tür. Oder hält einen Telefonhörer. Vorgestellt wird er nie. Ohne ihn wäre jedoch kein Fall zu lösen. Davon ein anderes Mal.s
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