Hannovers Kulturhauptstadt-Bewerbung: Kultur als Problemlöser

Die Bewerbung für den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“ verschickt Hannover in Romanform. Punkten will die Stadt mit Lösungen für lokale Probleme.

Das Ihme-Zentrum in Hannover.

Soll durch künstlerische Projekte zum Leben erweckt werden: Das Ihme-Zentrum in Hannover Foto: dpa

HANNOVER taz | Der Optimismus des hannoverschen Bewerbungsteams ist vielleicht größer als die reale Chance. Nichtsdestotrotz bewirbt sich die Stadt Hannover um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2025“. Dann hat Deutschland, turnusmäßig nach 2010, neuerlich die Ehre.

Schon seit Ende 2014 darf sich die niedersächsische Landeshauptstadt „Unesco City of Music“ nennen – nicht nur aufgrund der ortsansässigen Hochschule für Musik, Theater und Medien. Der Weg zum nächsten Titel ist dennoch hürdenreich.Zum 30. September ist das sogenannte Bid Book, die schriftliche Bewerbung, bei der Kulturstiftung der Länder einzureichen. Sie nimmt die Bewerbungsunterlagen aller deutschen Kandidaten entgegen und leitet sie an eine europäische Expertenjury weiter. Bislang sind sieben weitere Städte mit im Rennen, so auch Hannovers unmittelbarer Nachbar Hildesheim.

In einer Vorauswahl, Mitte Dezember in Berlin, wird das Teilnehmerfeld dann auf zwei bis vielleicht auch vier Bewerber eingedampft, so sagt es der niederländische Kulturmanager Oeds Westerhof, der als „strategischer Berater“ Hannovers verpflichtet wurde. Er ist in Sachen Kulturhauptstadt erfahren, war Chefmanager in Leeuwarden, Provinz niederländisches Friesland, 2018 Kulturhauptstadt Europas. Die Teilnehmer der zweiten Stufe müssen ihre Bewerbung bis Sommer 2020 substantiieren, bevor im Herbst dann die Entscheidung fällt.

Das neben Westerhof überproportional weibliche Bewerbungsteam im Kulturdezernat hat sich einiges einfallen lassen. So ist die Bewerbungsschrift nicht die übliche PR-Broschüre, sondern selber ein „Piece of Art“, ein Roman, verfasst vom Schriftsteller Juan S. Guse. Hier setzt „Hannover neue Maßstäbe“, heißt es dazu in der Mitteilung der Stadt.

Hannovers Frauen in Kunst und Kultur sollen aus dem Dunkel des Vergessens geholt werden

Auch schon für eine allererste Vorstellung der Bewerbungsabsichten im Oktober 2018 ließ man nicht, wie es die Konkurrenz tat, nur den Bürgermeister zum Rapport in Berlin antreten, sondern sorgte mit einem Poetry Slam „für Furore“, so Kulturdezernentin Konstanze Beckedorf. Die finanziellen Mittel seien auch schon in trockenen Tüchern: Die Region Hannover habe 7,2 Millionen Euro zugesagt, sollte Hannover das Titelrennen für sich entscheiden.

Was will nun die Stadt? In einer ersten Präsentation des 60-seitigen Bewerbungsromans lasen am Dienstag zwei Schauspieler*innen einige Passagen vor: Zwei Protagonisten aus Hannover, beide männlich, nämlich der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz und der Universalkünstler Kurt Schwitters, wandeln durch die Stadt, erkennen und problematisieren dabei Programmpunkte, die zwangsläufig Hannovers Relevanz für Europa erkennen lassen sollen. Hannover will als „Agora of Europe“ fungieren. Die Agora war in der griechischen Antike die Versammlungsstätte des Volkes, also politisches Zentrum, Marktplatz und Theater.

Aus seinen lokalen Problemlagen will die Stadt exemplarische Angebote für Europa zur basisdemokratischen Diskussion stellen. Da wären etwa die in den 1950er-Jahren für die autogerechte Stadt geplanten Verkehrsschneisen wie der Cityring, die vielleicht ein Jahr lang experimentelle Bühne werden könnten. Oder das Thema grüne Stadt in Zeiten globaler Erwärmung, oder ein megaloman ruinöses Baurelikt wie das Ihmezentrum, das durch künstlerische Projekte zum Leben erweckt werden könnte.

Hannovers multikulturelle und multireligiöse Lebensqualitäten sollen Anlass für die Suche nach gemeinsamen Werten geben, Hannovers Frauen in Kunst und Kultur, etwa die Pionierin des Ausdruckstanzes, Mary Wigman, oder die Mäzenatin Käte Steinitz, aus dem Dunkel des Vergessens geholt werden. Hier allerdings offenbart sich ein Widerspruch: Die gebürtige Hannoveranerin Hannah Arendt schien dem Bewerbungsteam zu „riskant“, um im Bid Book mit Leibniz oder Schwitters in geistig konstruktiven Disput zu treten.

Alles in allem soll aber kein Festival abgefeiert werden, so fordern es die Statuten deutscher Bewerbungen, sondern die Basis für einen langfristigen Kulturentwicklungsplan gelegt werden. Der werde unabhängig vom Ausgang der Bewerbung derzeit mit allen Fachbereichsleitungen erarbeitet, versichert Westerhof.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.