Hannoveraner Tatort: Auf der anderen Seite
In "Das Gespenst" teilen zwei alte Freundinnen die Wanne - mehr aber auch nicht mehr: "Tatort", So., 20.15 Uhr, ARD
Lindholms linke Vergangenheit schon wieder: Nachdem die niedersächsische Ermittlerin (Maria Furtwängler) unlängst bei einem Mordfall in Gorleben mit ihren frühen Tagen als Anti-AKW-Aktivistin konfrontiert wurde, trifft sie in der aktuellen "Tatort"-Episode auf eine alte Freundin, die nach gemeinsamen Weltverbesserungsmaßnahmen zu Schulzeiten in den Untergrund gegangen ist. Jetzt ist Manu (Karoline Eichhorn) auf einmal wieder da. Am Flughafen hat sie einen Polizisten erschossen; im Affekt zwar, aber keineswegs aus Notwehr. Wie verhält man sich zu einer Mörderin, die einem einst so nahe stand?
Der Kniff, Charlotte Lindholm immer wieder persönlich ins politisch motivierte Verbrechen mit einzubeziehen, ist so einfach wie effizient: Wo keine bequeme Distanz herrscht, muss das moralische Urteil hart erkämpft werden.
Die Geschichte von Manus Radikalisierung ist leicht nachvollziehbar, ihr Handeln bleibt trotzdem ungeheuerlich. Als junge Ärztin ging sie ins Bürgerkriegsgebiet von Äquatorialafrika, sah Millionen von Menschen sterben und schloss sich einer terroristischen Vereinigung an. Jetzt ist sie einem Diktator auf den Fersen, der sich gerade in einer Hannoveraner Klinik einer Operation unterzieht. Das perfekte Anschlagsziel.
Klug verweben Regisseur Dror Zahavi und Drehbuchautor Stefan Dähnert einen geopolitischen Konflikt, der aus unterschiedlichen realen Bezügen konstruiert wurde, in ein Verschwörungsszenario, das bis in höchste Abteilungen des Bundesnachrichtendienstes führt. Es geht um einen Bürgerkrieg, der offensichtlich auch durch deutsche Institutionen am Köcheln gehalten wird, um aus der Region kostengünstig das für die Handyherstellung wichtige Koltan zu beziehen. Die Grundfrage: Wieso sollte Manu Reue empfinden für einen Mord in Deutschland, wenn sie damit einen Krieg stoppen kann, der schon 2,5 Millionen Unschuldiger das Leben gekostet hat?
Nach einigen riskanten, aber durchaus plausibel gehaltenen Handlungswendungen sitzen sich die beiden Schulfreundinnen nackend in einer Badewanne gegenüber: Man pinkelt solidarisch kichernd ins Schaumbad, um dann festzustellen, dass es keinerlei Grundlagen mehr gibt, von denen ausgehend man miteinander debattieren kann. Das Phantom geht zurück in den Untergrund, und Lindholm selbst kämpft weiter für ein Land, dessen Rechtsstaatlichkeit in "Das Gespenst" von höchsten Instanzen drastisch unterwandert wird.
Wie wunderbar: Das einst so niedliche "Tatort"-Niedersachsen hat sich längst in einen Ort der Verschwörungen und Verstörungen verwandelt.
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