Hanna Gersmann über die Kennzeichnung von Lebensmittelaromen: Gegen den Billig-billig-Wahn
Sie sind dumm. Ja, Sie! Wenn Sie im Supermarkt stehen, sich eine Tüte Nüsse mit Honig andrehen lassen, in der wenig Honig, aber viel Zucker steckt.
Natürlich kann man so anfangen und die Verbraucher beschimpfen. Müssten doch einfach nur auf die Liste der Zutaten auf der Verpackung gucken. Dann wüssten sie, das etwas nicht stimmt. Nur: Wer durchschaut schon wirklich die Zutatenlisten? Zum anderen geht es darum nicht, wenn Verbraucherschützer fordern, Beschönigungen auf Etiketten abzuschaffen. Die entscheidende Frage ist: Wie viel sind uns Lebensmittel und ihre Produktion wert? Jedes Jahr kommen rund 2000 „Neuheiten“ in die Lebensmittelregale, rund 30.000 Produkte werden darüber hinaus leicht verändert. Auf dem Markt geht es rau zu – und billig. Hersteller werben für sich und ihren Joghurt – nur verständlich – gern mit leckerem Honig und saftigen Erdbeeren. Das macht Appetit. Solange es niemanden interessiert, rühren sie dann die günstigeren Zutaten unter, die denselben Geschmack geben. Und natürlich drucken sie nicht Berge von Haushaltszucker auf ihre Tüten. Auch nicht die Holzspäne, die den Erdbeergeschmack geben.
Hier sitzt der Hebel: Wer Wahrheit auf Etiketten fordert, sorgt indirekt dafür, dass sich die Zutaten ändern. Er zwingt Hersteller dazu, mehr an echten Erdbeeren, mehr vom echten Honig in den Joghurt zu rühren – und dafür Obstbauern und andere Produzenten wieder mehr wertzuschätzen. Man mag einwenden, dass die Bauern die Mengen gar nicht produzieren können, aber es gibt ja auch noch Rhababer-, Bananen-, Stachelbeerjoghurt. Und ein paar aromatisierte Joghurts würden wohl auch noch angeboten. Für alle, denen die Zutaten nicht so wichtig sind.
Es geht jedenfalls nicht darum, ob die Verbraucher dumm sind, sondern darum, sie nicht für dumm zu verkaufen. Dem „billig, billig“ würde es etwas entgegensetzen. Es wäre ein Anfang, der alle klüger macht.
Wirtschaft + Umwelt
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