Hanfparade: Gebt doch alles frei!
Hippies, Punks und Ökos wollen Gras aus ökologischem Anbau, dafür demonstrieren sie auf der Hanfparade. Damit nicht genug: Jungliberale und Grüne setzen sich für legales Koks und Ecstasy ein.
Statt eines Huts trägt er einen ausgehöhlten Kohlkopf, vor seinem Kugelbauch baumelt eine Girlande aus dicken Zwiebeln, Lauch und Kohlrabiknollen. Der etwa 40-jährige Mann demonstriert jedoch nicht für gesunde Ernährung, er setzt sich mit seiner Aufmachung für die Legalisierung eines Rauschgifts ein: "Hanf ist ein Gemüse wie jedes andere auch", sagt der Demonstrant, der sich Picomeonass nennt. Dabei torkelt er mächtig. Benebelt ist er aber nicht vom grünen Wundergras, sondern vom Alkohol. Ausgerechnet.
Der eigensinnige Gemüsevertreter ist einer der rund 1.000 Teilnehmer an der Hanfparade, die am Samstag durch Berlin ziehen. Zu entspannten Reggae-Beats fordern sie "Jugendschutz, Verbraucherschutz und Legalisierung" des grünen Krauts.
Die zwei Demowagen der Parade sind geschmückt mit selbst gebastelten Hanfblättern, Sonnenblumen und grünem Tüll. Eine Nebelmaschine sorgt für den stilechten Dunst. Kurz vor Beginn gegen 13.30 Uhr verteilen die Veranstalter Pappschilder mit Aufschriften wie "Mein Freund der Dealer" an einige Teilnehmer. Althippies mit Batikshirts, ein paar Punks, jugendliche Hiphopper, Ökos und langhaarige Dreadlocksträger haben sich vor den Demowagen versammelt. Einige tragen Kränze aus Plastikhanf im Haar, andere zeigen dicke "Tüten" aus Zeitungspapier.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck steigt als erster Redner auf einen Wagen. Die alte Parole von Hans Christian Ströbele sei immer noch richtig, ruft er: "Gebt das Hanf frei!" Die Menge jubelt. Ein junger Mann mit Afroperücke hält seine riesige Pfeife in die Luft. Nur durch die Legalisierung könne der Konsument geschützt und seine Gesundheit gesichert werden, so Beck.
Mit kifferüblicher Verspätung - so gegen 14 Uhr - setzt sich der qualmende Tross dann gemächlich in Bewegung. Vom Alexanderplatz gehts über die Museumsinsel. Vor der Humboldt-Universität steigt Mischa Hecker auf den Wagen. Er ist Sprecher der "Julis", der Nachwuchsorganisation der FDP. Auch er will, dass die Kriminalisierung von weichen und harten Drogen ein Ende hat, und fordert sogar: "Gebt das Koks frei!" Die Menge ist auch davon begeistert.
Die 24-jährige Demonstrantin Yana aus Israel versteht zwar kein Deutsch, findet aber die Atmosphäre "unglaublich". "In Israel gibt es nur eine Partei, die sich für die Legalisierung von Marihuana einsetzt. Die haben es aber bisher nicht in die Knesset geschafft", sagt sie.
Erstaunlich schnell ist es dann 16 Uhr. Am Checkpoint Charlie spricht sich Julia Seeliger, die im Berliner Landesvorstand der Grünen sitzt, für mehr Transparenz beim Hanfanbau und für ein Recht auf Gelderstattung bei gepanschtem Gras aus: "Wir Ökos wollen Gras mit Biosiegel." Sie geht noch weiter und plädiert für "fair gehandeltes Opium und ökologisch unbedenkliches Ecstasy". Die Demonstranten sind euphorisch; ein süßlicher Geruch liegt in der Luft. Auch Paradegänger Robert aus Potsdam ist für Biogras. "Ökologischer Anbau ist eine gute Variante", findet er und schwenkt seine Fahne, auf der "Free the Weed" steht. Nach Biobananen und fair gehandeltem Kaffee hat der Ökotrend auch die Kifferszene erreicht.
Um 17 Uhr erreicht der Krautkonvoi unter wummernder Technomusik vom ersten Wagen und fröhlichem Bob-Marley-Sound vom zweiten Wagen den Zielort Potsdamer Platz. Steffen Geyer, Mitarbeiter im Deutschen Hanf Verband (DHV) und Mitorganisator der Hanfparade, zieht eine positive Bilanz. "Das Jointverbot hat allerdings dazu geführt, dass die Leute zu früh zu viel Alkohol getrunken haben", schränkt er ein. An das Verbot haben sich nicht alle Teilnehmer gehalten. Gegen 23 Personen wurden Strafverfahren eingeleitet, wie die Polizei am Sonntag erklärt. Grund: Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt