Handke, der ORF und Srebrenica: Der sich selbst denunziert
Die Bezeichnung „Völkermord“ für Srebrenica könne ihm „gestohlen bleiben“, sagte Peter Handke im ORF-Interview. Kritische Nachfragen gab es nicht.
Montagabend sendete das ORF-Fernsehen in seinem „Kulturmontag“ ein Gespräch mit dem Kärntner Schriftsteller Peter Handke. Der habe dem ORF „eines seiner raren TV-Interviews“ gegeben, wie es in der Anmoderation heißt. Der vermeintliche Coup erwies sich aber als Katastrophe. Der Literatur-Nobelpreisträger von 2019 nutzte die Bühne, den Genozid im bosnischen Srebrenica einmal mehr zu leugnen und herunterzuspielen.
„Völkermord kann mir gestohlen bleiben. Ich finde, was da war, war Brudermord. Das ist etwas viel Schlimmeres“, sagte Handke im Interview. Und weiter: „Völkermord ist ein juristischer Ausdruck, aber Brudermord ist ein biblischer Ausdruck, und das war es. Aber ich werde mir nicht Wörter vorschreiben lassen von irgendwelchen Pfeifen, die keine Ahnung haben von Sprache, Silben, Rhythmus und Melodie.“ Danach keine Nachfrage der Moderatorin, sondern ein Themenwechsel.
Der Völkermord von Srebrenica im Juli 1995 war das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Unter der Führung von Ratko Mladić ermordeten bosnisch-serbische Truppen über 8.000 muslimische Bosniaken in der eigentlich von UN-Blauhelmen geschützten „Sicherheitszone“. Die systematische Planung und Durchführung des Massakers wurden von internationalen Gerichten als Völkermord eingestuft.
Schon in den 1990er und 2000er Jahren geriet Handke aufgrund seiner Haltung zu den serbischen Kriegsverbrechern in massive Kritik. Im Dezember 1996 traf Handke den bosnisch-serbischen Politiker Radovan Karadžić, der zu diesem Zeitpunkt bereits vom UN-Kriegsverbrechertribunal wegen Völkermords in Srebrenica und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt war.
Unkritische Bühne
Handke bezeichnete in seinen Schriften Srebrenica als „mutmaßlichen Genozid“ und sprach von „mutmaßlichen Massakerstätten“. Er gehörte zu den Unterzeichnern eines Künstlerappells zur Verteidigung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević, dem Kriegsverbrechen angelastet wurden, und veröffentlichte kritische Artikel über das UN-Kriegsverbrechertribunal.
Angesichts dieser Vorgeschichte ist fraglich, warum der ORF Handke eine derart unkritische Bühne gibt. Anlass gab es dafür keinen, denn das Gespräch dreht sich nur am Rande um Handkes neuen Text. Auch andere Aussagen waren problematisch: Handke könne „Demokratie“ nicht mehr hören, sagte er, und sprach seiner Wahlheimat Frankreich teilweise ab, eine vollwertige solche zu sein. „Frankreich ist eine Demokratie, wo viele kleine Diktaturen sind“, sagte er ohne nähere Ausführung.
Bezeichnend ist der Umgang im ORF mit der Kritik, die ihn unter anderem in Form von zahlreichen Schreiben aus der Wiener Balkan-Diaspora erreicht hat. „Bei aller erwartbarer Polarisierung hat sich die ORF-Kulturredaktion dafür entschieden, Peter Handke als einen der wichtigsten Autoren Österreichs und als Nobelpreisträger zu Wort kommen zu lassen. Es sollte in dem Gespräch um sein jüngstes Buch, seine Einschätzung zur Weltlage und natürlich um seine umstrittenen politischen Haltungen gehen“, schreibt das Medienhaus auf Anfrage.
Mit ihrer Frage „Viele haben sich 2019 zur Nobelpreisverleihung erwartet, dass sie öffentlich den Völkermord von Srebrenica anerkennen. Sie haben das nicht gemacht, warum nicht?“ habe die Interviewerin „klar gemacht, dass dieses Verbrechen als Völkermord einzustufen ist und dass es von Handke auch zu erwarten war und ist, diese Tatsache anzuerkennen.“ Warum wurde nicht nachgefragt? Warum wurde das Interview nicht anders eingebettet, etwa in Form eines kritischen Beitrags? Dies beantwortet der ORF nicht.
Über seine Kritiker machte sich Handke im selben Interview lustig. „Ich habe nichts mitbekommen. Ich habe keinen Gegenwind. Das gehört zum Leben, ist gut für die Haut“, witzelt Handke. „Kein Wort, was ich über Jugoslawien geschrieben habe, ist denunzierbar, kein einziges. Das ist Literatur“, hatte der Schriftsteller andernorts gesagt. Der Wiener Politikwissenschaftler Vedran Džihić mit Wurzeln in Bosnien sieht das anders: Handkes Haltung zu Milosevic und Srebrenica sei keine Literatur, „sondern ein politischer Akt, der zutiefst zu verurteilen ist.“
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