Handball-Bundesligist Flensburg-Handewit: Erfolg mit Rotation
Der neue Trainer der Nicolej Krickau schöpft die Möglichkeiten seines Kaders aus. Ein Titelkandidat sind die Flensburger aber noch nicht.
All die erfolgreichen Jahre unter Trainer Maik Machulla lief die SG Flensburg-Handewitt wie eine gut geschmierte Maschine. Da war ein etablierter Rückraum. Da waren angestammte Außen. Am Kreis verrichtete Johannes Golla vorn weitgehend allein seine Arbeit. Mit einer fein abgestimmten Stammsieben wurden die Flensburger 2018 und 2019 deutscher Handballmeister, danach zweimal Zweiter.
Doch der Jahrgang 2023/24 hat ein anderes Gesicht, denn der neue Coach Nicolej Krickau setzt die ganze Breite des Kaders ein. Am Dienstag beim Sieg in der European League in Elverum durfte sich August Pedersen auf Linksaußen zeigen, am Samstagabend, als die SG überzeugend gegen die Rhein-Neckar Löwen gewann, tauchte Teitur Einarsson im rechten Rückraum auf.
Entlastung ist das Gebot der Stunde, folgen doch jetzt viele Partien bis Weihnachten. Aber Krickau, 36 Jahre alt, denkt auch an etwas anderes – in den letzten beiden Spielzeiten unter Machulla schwand der Erfolg deswegen, weil der SG-Code entschlüsselt war. Der erfahrene Machulla hatte bemerkt, dass seine Mannschaft durch Verletzungen und die Dauerbelastung geschwächt war, das bekannte und gefürchtete Tempospiel nicht mehr durchziehen konnte – er musste zwangsläufig auf geplante Angriffszüge setzen. Und hier verhedderte er sich, weil er in den Jahren zuvor versäumt hatte, ein breiteres Fundament an Spielern einzuziehen. Die immer gleichen Abläufe, die immer gleichen Spielzüge, sorgten plötzlich nicht mehr für Sicherheit, sondern für Durchschaubarkeit.
Saisonstart mit einer Drei plus
Mit dem neuen Cheftrainer will die SG Flensburg-Handewitt wieder frisch und unberechenbar spielen. Am Samstagabend in der ausverkauften Campushalle verteilte Krickau Spielanteile an alle fünf fitten Rückraumspieler – Simon Pytlick wird verletzt noch ein paar Wochen fehlen. Am Kreis gönnte der Trainer Nationalspieler Golla die notwendigen Pausen. Das 33:25 kam indes vor allem deshalb zustande, weil Torwart Kevin Möller 21 Würfe abwehrte. So bleibt die SG auf Tuchfühlung zu den Spitzenteams aus Berlin und Magdeburg, kann zudem am Dienstagabend im Rückspiel gegen die Norweger aus Elverum vorzeitig ins Viertelfinale der European League vorstoßen.
Eine „Drei plus“ hat Trainer Krickau dem Saisonstart jüngst als Note verliehen; bei sechs Minuspunkten ist das eine angemessene Einschätzung. Die Einstufung als „Topfavorit“ hatte vor der Saison und in den ersten Wochen eine gewisse Eigendynamik angenommen. Sie war vor allem von der Konkurrenz aus Kiel penetrant häufig verwandt worden, die damit die eigenen Probleme relativierte. Die schlugen zwar am Sonntagnachmittag Tabellenführer Füchse Berlin mit 30:26, liegen aber mit schon zehn Minuspunkten abgeschlagen hinter den Flensburgern.
Von denen hatte es nur geheißen, mit dieser Mannschaft wolle und müsse man um den Titel mitspielen. Doch wer genau genug hinschaute, hatte ja gesehen, dass ein Team mit neuem Trainer, neuem Sportchef, neuem Rückraum und neuer Abwehr kein absoluter Titelanwärter sein könne. Und so spielte die SG dann auch, rumpelte mit Punktverlusten durch die ersten Wochen.
Jetzt hat sich die Mannschaft stabilisiert, was kurioserweise auch an Pytlicks Ausfall vor vier Wochen liegt: Sichtbar hatte Spiellenker Jim Gottfridsson Probleme, den wurfstarken Pytlick gewinnbringend einzusetzen. Die beiden spielten eher nebeneinander als miteinander. Ohne ihn fällt es Gottfridsson (noch) leichter, den Flensburger Angriff zu orchestrieren. Auf Sicht wird die SG aber nur um Titel mitspielen, wenn Pytlicks Qualitäten vernünftig genutzt werden.
Auf dem Weg dahin muss Trainer Krickau eine erhebliche Schwäche des Teams kompensieren: Die dänisch geprägte Mannschaft ist still und brav; was die Mentalität betrifft, könnten Extrovertiertheit und Härte durchaus helfen. Schon Machulla hatte kritisiert, dass sich in seinen letzten Monaten bei der SG nicht mehr jeder mit letzter Entschlossenheit gegen Niederlagen gestemmt hatte. Das unterschied Flensburg mehr von den Überfliegern der Gegenwart aus Magdeburg als fehlende individuelle Klasse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!