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„Hammer-Hartz“ im Wahlkampf

Regierung wie Union loben die Vorschläge der Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform als mindestens „richtige Richtung“. Der DGB kann sich auf keine Position einigen. Kritik kommt von Arbeitslosengruppen. Endbericht soll Mitte August vorliegen

BERLIN taz/dpa ■ Sorgfältig abgewogene Zustimmung und Kopfwackeln aus Regierungs-, Gewerkschafts- und Unionskreisen waren gestern die Reaktionen auf die Ideen der Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes. Arbeitsminister Walter Riester (SPD) erklärte, den Vorschlägen „kann sich niemand entziehen“. Man müsse nun verhindern, dass sie „in einen parteitaktischen Streit hineingezogen“ würden.

Dass mit den Vorschlägen selbstverständlich Wahlkampf gemacht wird, erklärte Regierungssprecher Bela Anda: „Wir sind nicht unzufrieden“, meinte er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung durch Kommissionschef Peter Hartz. Grundsätzlich begrüße die Regierung die Vorschläge: „Die Richtung des Gesamtkonzepts stimmt – über Details muss geredet werden.“

Dem schloss sich das SPD-Präsidium nahezu wortgleich an: Die Vorschläge führten in die „richtige Richtung“, sagte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering: Auch „unkonventionelle und anstrengende Ideen“ müssten tabulos diskutiert werden. Dies sei aber nur dann möglich, wenn man „eingefahrene Gleise verlässt“. Wann die SPD damit anfängt, sagte Müntefering auch: „Ich hoffe, dass wir noch im Juli erste eigene zielführende Vorschläge machen können.“

Bei so viel Reformwille blieb der Opposition nichts anderes übrig, als die Hartz-Ideen noch viel stärker zu begrüßen und die Regierung darauf festzunageln. Der CDU-Wirtschaftspolitiker Matthias Wissmann machte eine Nähe zum „Drei-Säulen-Modell“ der Union aus. Der Wirtschaftskompetenzler der Union, Lothar Späth, forderte Rot-Grün auf, sich hinter die „revolutionären Vorschläge“ zu stellen; ebenso FDP-Chef Guido Westerwelle, der auch eine „sofortige Umsetzung“ im Falle eines Wahlsiegs versprach. Die Kommission bestätige die lange erhobenen Forderungen der FDP nach Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sagte Westerwelle. Nun habe die eigene Kommission der Regierung die „gelbe Karte“ gezeigt.

Die grüne Arbeitsmarktpolitikerin Thea Dückert sprach von „neuen Impulsen“ und plädierte für eine „offene Debatte“. Wie auch die Sozialdemokraten sagte Dückert, „solange ein Bericht der Kommission nicht vorliegt, können nur vorläufige Bewertungen vorgenommen werden“.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund blieb gestern reichlich verschwommen: „Mit uns kann und muss Peter Hartz rechnen“, sagte der DGB-Chef Michael Sommer gestern. Nachdem er am Tag zuvor etwas lautere Kritik angemeldet hatte, erklärte Sommer gestern, die Hartz-Vorschläge hätten „große Aufmerksamkeit“ verdient. Was eine mögliche Kürzung der Einkommen von Arbeitslosen angehe, drohte Sommer: „Hier werden wir ganz genau hinschauen.“

Zur Frage der sozialen Härten, die auch von den regierenden Sozialdemokraten in ihren Beiträgen gestreift worden war, sagte der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller: „Wenn man davon ausgeht, dass es das größte Interesse von Arbeitslosen ist, wieder zu arbeiten“, seien die Vorschläge auch sozial durchaus ausgewogen.

Der VW-Personalvorstand Peter Hartz, nach dem die von Riester einberufene Regierungskommission benannt ist, hatte am Wochenende eine Art Zwischenstand der Kommissionsarbeit verlautbart. Im Wesentlichen will Hartz eine Ausweitung der Leiharbeit durchsetzen. Durch Förderung der Selbstständigkeit (Schlagwort: „Ich-AGs“) soll die Schwarzarbeit abgebaut werden. Der Druck zur Arbeitsannahme soll erhöht werden. Die Arbeitsämter sollen wesentlich effizienter arbeiten. Arbeitslosengeld und -hilfe sollen anders befristet und pauschaliert werden.

Vor allem zum letzten Vorschlag kam gestern Protest der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen: „Das träfe Erwerbslose Hammer-Hartz, wenn sie nur ein pauschales Arbeitslosengeld bekämen, der Kinderzuschlag wegfiele und nach erfolgloser Jobsuche nur noch Sozialhilfe gezahlt würde.“ Das alte Lied von den „Drückebergern“ werde wieder angestimmt.

Die nächsten Sitzungen der Hartz-Kommission finden am 16. Juli und am 8. August statt. Am 16. August soll ihr Bericht komplett vorliegen. UWI

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