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Hamburgs SPD-Chef über die Schulreform"Die Gesellschaft driftet auseinander"

Olaf Scholz will die SPD wieder an die Regierung bringen. Erster Schritt in Hamburg: Die schwarz-grüne Schulreform retten. Anders als sein Parteifreund Müntefering hält er Opposition jedoch nicht für Mist.

"Zweitens ist für uns wichtig, dass die Primarschule um ein Vielfaches besser wird als die heutigen Grundschulen": Einschulung von Erstklässlern in Hamburg. Bild: dpa

taz: Herr Scholz, wie fühlt man sich auf dem Misthaufen?

Olaf Scholz: Wie meinen?

Ihre neue Funktion. Opposition ist Mist, pflegte Franz Müntefering zu sagen …

… was soll das, vergangenen Zeiten nachzutrauern? Opposition geht auch, ohne sie funktioniert keine Demokratie. Regieren ist natürlich besser.

Muss man sich als Exbundesminister in der Hamburger Opposition nicht arg verrenken?

Bild: dpa
Im Interview: 

Olaf Scholz, Hamburgs SPD-Landeschef und stellvertretender Bundesvorsitzender, ist 51 Jahre alt und Jurist. 2001 war der am Hamburger Stadtrand aufgewachsene Scholz für sechs Monate Hamburger Innensenator. Von 2002 bis 2004, in Zeiten der Agenda-Politik, war er SPD-Generalsekretär, von 2007 bis 2009 Arbeitsminister.

Hamburgs Schulreform

Die Reform: Schon im Sommer soll die am weitesten reichende Schulreform in Kraft treten: Der schwarz-grüne Senat verlängert die Grundschule um zwei Jahre und vereinfacht die Schulstruktur auf zwei Formen - "Stadtteilschule" und Gymnasium. Über den Besuch des Gymnasiums sollten nicht mehr die Eltern, sondern die Noten entscheiden.

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Der Protest: Gegen die Annullierung des Elternwillens und die sechsjährige Grundschule mobilisierte die Initiative "Wir wollen lernen". Sie bekam in einem Volksbegehren satte 184.000 Unterschriften gegen die Reform. Ihr Sprecher Walter Scheuerl stellte die sechsjährige Grundschule in die "Tradition der NS-Pädagogik Peter Petersens" und musste sich entschuldigen. Er droht weiter mit einem Volksentscheid - eine Gefahr nicht nur für die Reform, sondern auch für den schwarz-grünen Senat.

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Die SPD: Die SPD will jetzt Schwarz-Grün aus der Not helfen. Nach anfänglichem Lavieren bekennt sie sich nun unter ihrem neuen Landesvorsitzenden Olaf Scholz eindeutig zur Schulreform. Ihre Bedingungen: volles Elternwahlrecht, Abiturmöglichkeit in jeder Stadtteilschule und - nach Bremer Vorbild - einen parteiübergreifenden Beschluss in der Bürgerschaft, zur Reform zehn Jahre zu stehen. Am Dienstag will Scholz mit Bürgermeister Ole von Beust den Vertrag unterschreiben. (cif)

Man muss seine neue Rolle annehmen und die Programmatik festigen.

Gar nicht so leicht. Die Haltung der Hamburger SPD bei der großen Schulreform jedenfalls ist unübersichtlich - vorsichtig ausgedrückt.

Wir sind dabei, mit dem Senat eine Schulreform auszuhandeln, die überzeugt. Sie muss so gut sein, dass die Hamburger ihre Kinder unbesorgt auf die nächstgelegene Schule schicken mögen.

Herr Scholz, warum ist die Schulreform so wichtig?

Eines steht fest: Wir brauchen eine Schulreform! Es geht um den sozialen Zusammenhalt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die soziale Segregation viel weiter fortgeschritten ist als vor 10, 20 oder 30 Jahren. Hamburg ist dabei auseinanderzudriften - und buchstäblich auseinanderzuziehen.

Wir fragen uns, warum Sie dann so viel taktieren. Teile Ihrer Partei agitieren aufseiten der Gegner, einer Initiative elitärer Anwälte und Medienprofis. Und Sie als Partei sind für eine längere gemeinsame Schulzeit - aber gegen die sechsjährige Primarschule. Wie geht das?

Es gibt keine Beschlüsse der Hamburger SPD, die sich prinzipiell gegen längeres gemeinsames Lernen richten. Wohl aber Skepsis hinsichtlich der konkreten Reformpläne. Eine weitreichende Reform braucht viel öffentliche Zustimmung. Da geht es um die Zustimmung des Lagerarbeiters und der Lidl-Verkäuferin, die das beste für ihr Kind wollen.

Mit welchen Änderungen wollen Sie diese Zustimmung bekommen?

Die Eltern müssen selbst entscheiden, ob ihr Kind aufs Gymnasium geht oder nicht. Das Elternwahlrecht nicht anzutasten ist daher elementar. Zweitens ist für uns wichtig, dass die Primarschule um ein Vielfaches besser wird als die heutigen Grundschulen. Und die Bürger müssen das auch glauben können! Wir brauchen zum Beispiel eine bessere Lehrer-Schüler-Relation, da ist für mich beinahe jeder finanzielle Aufwand gerechtfertigt. Und drittens halten wir das Hamburger Büchergeld schon immer für eine Gemeinheit.

Was ist an Ihrer Variante der Schulreform eigentlich anders?

Der Senat hat den wichtigen Reformteil der weiterführenden Schulen einfach nicht gut umgesetzt. Wir Sozialdemokraten wollen, dass wirklich jede Stadtteilschule ein Abitur ermöglicht - und das nicht nur auf dem Papier. Jeder junge Hamburger, jede junge Hamburgerin soll künftig als Basisqualifikation einen Schulabschluss mit Berufsausbildung oder das Abitur erreichen.

Als Basisqualifikation? Davon ist Hamburg weit entfernt.

Ich nenne es ein Staatsversagen, dass es nicht gelingt, jeden Schüler zur Ausbildungsreife zu bringen.

Hamburgs SPD war 40 Jahre lang Teil dieses Staatsversagens. Warum hat sich die SPD in ihrer Regierungszeit nicht dagegen gewehrt?

Unsere Regierungszeit hat insgesamt eine positive Bilanz. Der soziale Zusammenhalt war gut. Dass Hamburg früher ein Ansehen hatte als wirtschaftlich starke, liberale und soziale Stadt, hatte ganz viel mit sozialdemokratischer Politik zu tun. Ich würde mich aber auch nicht hinstellen und sagen: Wir haben alles richtig gemacht. Das wäre ja lächerlich.

Stimmt. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht gerade eine Hartz-IV-Reform als verfassungswidrig abgestempelt, die Sie durchgesetzt haben. Ihre Partei und Sie persönlich.

Karlsruhe hat zunächst einmal Roland Koch und Guido Westerwelle widersprochen.

Wie das?

Es hat ausdrücklich ausgeschlossen, dass man Arbeitslose durch das Absenken der Regelsätze motivieren kann. Das ist eine Ohrfeige für Koch und Westerwelle - die wollen das nämlich. Und zwar schon immer.

Und Sie meinen, dass die SPD bei Hartz IV alles richtig gemacht hat?

Keineswegs. Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Kern der Reform der Arbeitsvermittlung bestätigt wurde. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war richtig. Auch die Arbeitsvermittlung für Langzeitarbeitslose. Jahrzehntelang hatte das niemand gemacht. Wir haben dafür gesorgt.

Wenn Sie so stolz sind auf die eigenen Reformen, warum bestehen dann programmatische Neuerungen vor allem aus einem Zurück? Etwa wenn die SPD die Rente mit 67 abschaffen und die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds verlängern will.

Selbstverständlich diskutieren wir über diese Fragen, wenn auch nicht nur. Nur wenn man kritisch hinterfragt, was richtig und was falsch gelaufen ist, kommt man inhaltlich weiter.

Gewinnt die SPD so verloren gegangene Glaubwürdigkeit zurück?

Natürlich haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und wir müssen Vertrauen zurückgewinnen. Aber das geht nur, wenn wir sorgfältig diskutieren und nicht jeden Tag neue Sachen fordern. Das überlassen wir Horst Seehofer. Vertrauen entsteht dadurch, dass sich die Bürger sicher sind, woran sie mit uns sind.

Im Bund sind Sie in einer unbequemen Lage. Mit wem will die SPD eine Koalition bilden?

Am liebsten regierten wir alleine.

Aha. Wie Sie vielleicht gemerkt haben, geht das ja nicht mehr.

Deutschland braucht eine Entspannung in der Diskussion um Koalitionsfragen. Wir sollten uns kümmern, worum es wirklich geht. Wir müssen gesellschaftliche Debatten führen - daraus ergeben sich dann auch Koalitionen. In Fünf-Parteien-Parlamenten führt diese Diskussion ohnehin selten zu vernünftigen Antworten.

In Nordrhein-Westfalen wird im Mai gewählt, die SPD steckt in der Klemme. Sie brauchen die Linkspartei, wenn Sie regieren wollen. Am liebsten würden Sie sie aber endlich loswerden?

Niemand braucht für eine Regierungswechsel die Partei Die Linke. Ich möchte eine rot-grüne Regierung unter Hannelore Kraft. Im Moment fangen doch alle in der FDP und CDU an zu zittern. Rot-Grün ist eine echte Option. Wir sind auf einem guten Weg.

Haben Sie Angst vor mehr und mehr Regierungen aus CDU und Grünen?

Die Grünen sind nicht Fleisch vom Fleische der SPD. Wir dürfen mit anderen Parteien regieren, die Grünen dürfen das auch. Aber SPD und Grüne haben die größten inhaltlichen Überschneidungen.

Die Bundesregierung zerlegt sich im Moment eigenhändig, die allgemeine Stimmung ist nach der Finanzkrise linker als noch vor einigen Jahren. Warum profitiert die SPD so wenig davon?

Ich rate allen, die Bürger ernst zu nehmen. Es ist ja kein Zufall, dass viele die SPD nicht gewählt haben, die im Prinzip eine Affinität zur sozialdemokratischen Partei haben. Dem ist oftmals eine langwierige Entscheidung vorausgegangen. Es wäre überheblich von uns zu erwarten, dass diese Entscheidung sofort wieder rückgängig gemacht wird.

Noch mal zurück nach Hamburg: Wenn Schwarz-Grün gemeinsam mit dem Volksentscheid untergeht, dann kommt bei Ihnen doch klammheimliche Freude auf.

Wir sprechen gerade mit Schwarz-Grün. Wenn wir - wonach es ja aussieht - uns einigen, dann wollen wir auch den Erfolg beim Volksentscheid für die Schulreform inklusive Primarschule. Am Dienstag will ich einen guten Vertrag unterschreiben.

Was ist ein guter Vertrag?

Meine Vorstellung ist, dass die Parteien, Regierung und Opposition, sich verpflichten, bei der Schulstruktur zusammenzuarbeiten. Und daran für zehn Jahre festzuhalten. Dann haben wir bewiesen, dass Opposition sogar sehr gut geht.

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9 Kommentare

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  • H
    HamburgerX

    Die Schulreform soll nach den Berechnungen eines SPD-Abgeordneten in Hamburg 500 Millionen Euro.

     

    Eine halbe Milliarde also für eine Reform, die schon in Brandenburg und Berlin nachweislich nicht wirksam war, weil sie die Chancen für Kinder aus bildungsfernen Haushalten nicht erhöht hat, bessere Leistungen als vorher zu erbringen.

     

    Man könnte das einfach eine große Geldverschwendung nennen. Wenn da nicht noch weitere Projekte wären (Elbphilarmonie, Stadtbahn, HSH-Nordbank), die ebenfalls jeden finanziellen Rahmen gesprengt haben oder sprengen werden. Und insofern könnte ich einen Menschen verstehen, der behauptet, Hamburg sei auf dem besten Weg in den totalen Bankrott.

  • E
    Elbkoenig

    Hier spricht einer, der mitzuverantworten hat, dass Armut einen großen Teil der Gesellschaft erreicht hat. Einer, der zu den Reformen um ALG II sagt, dass der Staat nicht für die Fürsorge der Menschen zuständig ist. Einer der sagt, dass Bedarfsgemeinschaften sozial gerecht sind, auch wenn man nicht verheiratet ist. Einer der lacht, wenn man ihn fragt, wie man von 280€ ALG II leben soll.

    Gut gebrüllt Löwe, ich empfehle Ihnen auch mal 4 Monate ALG II, damit Sie wieder klar denken können.

  • MS
    M. Stirner

    Wir brauchen Eltern, die für Ihre Kinder sorgen wollen und können. Wir brauchen Eltern, die die Kompetenzen für die Erziehung und Bildung ihrer Kinder besitzen. Wir brauchen Eltern, die wertvolles Wissen und wertvolle Erfahrung ihren Kindern weitergeben können. Wir brauchen Eltern, die ihren Kindern den Sinn fürs Lernen beibringen können. Wenn sich etwas verändern soll, dann muss sich das staatliche Belohnungssystem für die Reproduktion verändern. Was wir nicht brauchen, ist ein Staat, der sich immer mehr ausbreitet!

  • I
    iBot

    Da hat sich Herr Scholz, gemessen an den enorm suggestiven Fragen, aber ganz gut geschkagen.

  • M
    Meinenase

    Solange man Kinder zwingt die Schule zu besuchen ,um den natürlichen Bewegungsdrang,die Freude am Spielen und Ihren Schlaff zu Rauben,kann von einer Reform keine Rede sein .Pfui Teufel .

  • SP
    Siegfried Paul Posch

    Sie müssen mir jetzt sagen: ich nehme nun an, ich

    sei arbeitslos und Sie hätten Arbeit. Nun beginnen

    Sie einen Ruhetag, sagen wir: 12 Stunden. Ich kann

    keinen Ruhetag beginnen, da ich ja nicht arbeite.

    Jetzt weiter Sie: nach 12 Stunden soll Ihr Ruhetag

    enden. Der aber für mich noch nicht begonnen hat.

    Nur, jetzt trotzdem: lebe ich für Sie außerhalb der

    Zeit? Wenn ich aber zuletzt nicht außerhalb der Zeit

    lebe, warum ist es dann nicht meine Zeit, die

    gegenwärtig dem Ende Ihres Ruhetags und dem Beginn

    Ihrer "Arbeit" Fragen zu stellen hat? Was nennen Sie

    denn da "A r b e i t"? (Dieses E-Mail stellt eine

    Fortsetzung meines heutigen Kommentars zum Artikel

    der "TAGESZEITUNG" - "19.02.2010" - "Arbeitslose

    unter Verdacht" von Barbara Dribbusch dar - "21.02.

    2010 08:17 UHR".)

    Siegfried P. Posch

  • NI
    NOT IN MY BACKYARD

    Meine Schulzeit in Mecklenburg ist noch nicht allzu lang her und ich erinnere mich noch gut, wie in der 5. und 6. Klasse auf dem Gymnasium das große kommen und gehen einsetzte, weil man nach der 4.Klasse schlichtweg noch nicht einschätzen kann, welche Schulform angemessen ist. Dazu kommt, dass bei der Einschätzung vieler Eltern eher der Wunsch der Vater des Gedankens ist, was dem Lernerfolg sicher nicht zupass kommt. Was heißt es denn, wenn alle ihr Kind aufs Gymnasium schicken wollen, aber nicht genügend Plätze da sind? Man braucht vor allem Vitamin B und das ist bei Migranten und Hartz-IV-Empfängern bekanntlich eher rar gesäht. Für mich sieht das nach "Not in my backyard"-Linke aus.

  • H
    Hanna

    Hannelore Kraft wird Ende des Jahres schon kein Thema mehr sein. Olaf Scholz hat mit seiner inaktivität als Arbeitsminister die SPD auf Jahre geschwächt und dieses Interview ist wirklich superlieb, hilft ihm aber auch nicht. Und sobald wieder echte Mandate in Hamburg zu verteilen sind, wird sich die Partei dort selber zerlegen, die ist randvoll mit Karrieristen und Profitsuchern, Idealisten sind dort nicht vorhanden. Es geht dort nur um Macht, Karriere und Geld - Scholz hat wohl alles drei, aber gut 150 Leute wollen genau das und sind deswegen SPD-Mitglieder und die reichen, um die Partei komplett kaputt zu machen.

  • V
    vic

    Mit Verlaub, das ist dummes Geschwätz. Es geht bei einer wie auch immer gearteten Schulreform nicht um die Wünsche des Lagerarbeiters und der Lidl-Verkäuferin.

    Wo es langgeht bestimmt nicht nur in Hamburg die Oberklasse. Und die wünscht eben nicht, dass ihre Prinzen und Prinzesschen mit dem Unterschichtspöbel und Ausländern zur Schule gehen.

    Allein der Name Schule ist den Eliten zuwider.

    Steinmeier weiß das natürlich auch. Aber Steinmeier weiß vieles besser und handelt falsch.

    Opposition? Sorry dass ich lache.