Hamburgs Grüne streben Parité-Gesetz an: Das Reißverschlussprinzip
Mehr Gleichberechtigung: Die Grünen wollen die Quotierung der Wahlvorschläge zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen gesetzlich vorschreiben.
Hamburg taz | Ein Parité-Gesetz nach Brandenburger Vorbild streben die Hamburger Grünen an. „Paritätische Wählbarkeit von Frauen ist die Voraussetzung für eine gerechte Vertretung“, heißt es in einem Antrag, den der Landesausschuss der Grünen, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, aller Voraussicht nach am 5. Februar beschließen wird. Es gehe darum, den WählerInnen „ein gleichberechtigtes Angebot“ zu machen, sagt die Landesvorsitzende Anna Gallin.
„Ohne gleichberechtigte Parlamente keine gleichberechtigte Gesellschaft“, behauptet das Papier – obwohl man das auch genau andersherum sehen kann. Ursächlich sei in beiden Fällen der Umstand, dass Frauen nur gewählt werden könnten, wenn sie von ihren Parteien auch nominiert würden. Und eben daran hapert es, wie ein Blick in sämtliche deutsche Parlamente zeigt. Auch in Hamburg dominieren sowohl in der Bürgerschaft wie in allen Bezirksversammlungen Männer; eine paritätische Besetzung schaffen nur einzelne Fraktionen der Grünen und der Linken.
Brandenburg hat vorige Woche als erstes Bundesland ein Paritätsgesetz für die Wahllisten von Parteien verabschiedet. Auf entsprechende Vorschriften für die Wahlkreise wurde wegen verfassungsrechtlicher Bedenken verzichtet. Zum einen könnten derartige Vorgaben die Freiheit der Wahl einschränken. Denn WählerInnen würden, so ein Argument, durch quotierte Listen bevormundet. Auch ein Eingriff in die Selbstbestimmung der Parteien könnte vorliegen, so eine verfassungsrechtliche Sichtweise.
Das weiß auch Gallina. Sie verweist auf das Vorbild Frankreich, wo es ein Parité-Gesetz bereits seit 2001 gibt. Die dortige Besetzung von Wahllisten nach dem Reißverschlussprinzip, wie es auch die Grünen bei ihren Wahllisten praktizieren, habe zu einem höheren Anteil an ParlamentarierInnen geführt. Auch neun weitere EU-Länder lassen nach diesem Prinzip wählen.
In der Hamburgischen Bürgerschaft vertreten zur Zeit 75 Männer und 46 Frauen das Volk. Das ergibt einen Frauenanteil von 38 Prozent.
Paritätisch besetzt sind nur die Fraktionen von Grünen (sieben Männer und sieben Frauen) und Linken (fünf und fünf), dicht gefolgt von der SPD (32 und 27). Die FDP bietet ein Drittel (sechs und drei), die AfD ein Sechstel (fünf und eine), Schlusslicht ist die CDU mit einem Zehntel (18 und zwei). Hinzu kommen drei fraktionslose Abgeordnete (zwei und eine).
In den sieben Bezirksversammlungen ist nur Eimsbüttel annähernd mit einem Frauenanteil von 45,1 Prozent paritätisch besetzt. Es folgen Harburg (39 Prozent), Altona (35,3), Wandsbek (35,0), Bergedorf und Mitte (je 33,3) und Nord (30).
Die Parteien könnten somit verpflichtet werden, auch in den Wahlkreisen abwechselnd Männer und Frauen zu nominieren, sagt Gallina. Eine Bevormundung der WählerInnen gebe es nicht, denn die könnten ja auswählen, wen sie wollen. Damit aber führt ein geschlechtergerechter Vorschlag nicht unbedingt auch zu einer ebensolchen Besetzung im Parlament.
Wobei hier der dritte Vorbehalt gegen ein Parité-Gesetz aufkommt: Was ist mit den LGBTQ? Bekommen sie eine eigene Liste? Und was machen Parteien, die – zumindest offiziell – keine Mitglieder haben, die sich solchermaßen outen (wollen)? Gallina kann sich Bezeichnungen wie „Männer/Divers“ und „Frauen/Divers“ vorstellen, sieht aber auch das Problem, dass die gerade auch von Grünen propagierten Rechte des dritten Geschlechts auf quotierten Wahllisten wieder zu deren Beschneidung führen könnte. In Brandenburg will die Piratenpartei genau deshalb vor dem Landesverfassungsgericht gegen das Parité-Gesetz klagen.
Das grüne Papier sei ja noch kein Gesetzentwurf, sagt Gallina, sondern eine innerparteiliche Diskussionsgrundlage. „Da müssen wir noch vieles debattieren“, räumt sie ein. Aber sie geht davon aus, dass dieser Vorstoß ins grüne Programm für die Bürgerschaftswahl 2020 aufgenommen und danach Thema möglicher Koalitionsverhandlungen wird.
Für einen „richtigen Schritt“ hält den Vorstoß Krista Sager, Ende der 1980er-Jahre Teil der reinen Frauenfraktion der Grünen in der Bürgerschaft, später Zweite Bürgermeisterin und Gleichstellungssenatorin. Nur Frauen ins Parlament zu schicken, sei damals „ein provokantes Experiment gewesen“, sagt Sager. Jetzt gehe es darum, „ein neues Signal in die gesamte Gesellschaft“ zu senden.