Hamburgs Ex-Bürgermeister von Beust: Merkel wie eine Hausärztin
Der langjährige CDU-Spitzenpolitiker Ole von Beust hat eine Erklärung für die anhaltende Beliebtheit der Kanzlerin. Es hat nicht unbedingt mit Politik zu tun.
Der ehemalige CDU-Spitzenpolitiker Ole von Beust vergleicht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit einer Hausärztin. „Man hat ein Problem und die sagt: Da schreibe ich Ihnen was auf. Und man denkt: Prima, die schreibt was auf“, sagte er der sonntaz, dem Wochenendmagazin der taz. Die Bürger hätten ihr gegenüber „ein Grundvertrauen wie bei einer Hausärztin: Die macht das schon irgendwie. “
Dass Merkel immer gleich aussehe und alle Probleme mit Gelassenheit und Gleichmut anzugehen scheine, wirke sehr beruhigend auf die Leute.
Von Beust, 57, regierte von 2001 bis zu seinem freiwilligen Rücktritt 2010 den Stadtstaat Hamburg, am Ende in der ersten schwarz-grünen Koalition auf Landesebene. Die Koalition scheiterte schließlich an einer bildungspolitischen Reform; dem Versuch, die Grundschule von vier auf sechs Jahre zu verlängern. Hamburgs Bürger verhinderten das durch Volksentscheid.
Ein gutes Zeichen, weil Menschen sich in politische Prozesse einbringen oder ein Indiz dafür, dass Veränderung heute meist als Bedrohung begriffen wird? Für ihn, sagt von Beust, bleibe die Erkenntnis, dass solche Veränderungen mehr Zeit bräuchten. Er veranschlagt inzwischen zehn Jahre für so einen Erklärungsprozess. Aber eine Zeitspanne von zwei Legislaturperioden kennt die Politik nicht.
Tja, sagt er: „So ist Demokratie.“
Die Ganze Geschichte „Lieber keine Zukunft“ lesen Sie in der sonntaz vom 9./10. März 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit dem italienischen Vatileaks-Journalisten Gianluigi Nuzzi. Und: Warum gehen Geräte so schnell kaputt? Hat das System? Ein Interview. Für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Der Sozialpsychologe Harald Welzer hat gerade in seinem neuen Buch „Selbst denken“ eine ganz ähnliche These vorgestellt: Dass die Politik in den Modus eines „verhängnisvollen Illusionismus“ übergegangen sei. Das heißt: Europakrise, Klimakrise, Finanzkrise: Die Politik tut nur noch so, als könne und wolle sie gestalten. Keine Partei habe ein Programm, das den Umbau der Industriegesellschaft enthalte.
„Mangelnder Wille zur Veränderung“
Der CDU wie auch der SPD attestiert nun auch von Beust „mangelnden Willen zu Veränderung“. Die Zukunftsprojekte Europa, Integration und Energiewende würden nicht wirklich angegangen. Das Zukunftsmodell seiner eigenen Partei sei, „dass es möglichst so bleibt, wie es ist.“ Die Grünen sind für ihn die positive Ausnahme in der Parteienlandschaft: „Die Grünen gehen zumindest bei bestimmten Themen auf die Veränderung der Zeit ein.“
Generell sieht er aber auch kein Bedürfnis nach Veränderung in der Gesellschaft. Es gebe historische Wellen und im Moment sei das Bedürfnis nach Nicht-Veränderung „riesig“. Wahlen gewännen Politiker, die glaubhaft für eine ordentliche Verwaltung des Status Quo stünden. Olaf Scholz in Hamburg, Stefan Weil in Niedersachsen, Angela Merkel in Deutschland. „Erst wenn es uns wirklich dreckig geht, entsteht ein Veränderungswunsch“, sagt von Beust in der sonntaz, „aber dann muss die Verunsicherung über das Prekariat hinaus in den Mittelstand reingehen.“
Nachdem er 2001 Regierungschef in Hamburg geworden war, spürte von Beust dort den allgemeinen Wunsch nach Veränderung. Die SPD hatte allerdings zuvor auch 44 Jahre die Macht gehabt. Dieser Wunsch ließ dann schnell nach - bei den Bürgern und in der eigenen Partei. Das war der Anfang einer Entwicklung, die in von Beusts freiwilligen Rücktritt 2010 mündete.
Das Wort „gestalten“ sei zwar Politdeutsch, aber wozu solle man sonst Politik machen. „Verwalten kann auch der Amtsrat“, sagt er.
Ist unsere Gesellschaft am Ende? Können wir nichts anderes mehr, als uns an den Status Quo zu klammern. Oder schaffen wir es, uns und unsere Art zu leben, zu wirtschaften und Politik zu machen, neu zu erfinden? Die Ganze Geschichte "Lieber keine Zukunft?" in der sonntaz vom 9./10. März 2013 widmet sich dieser Frage – mit Harald Welzer, Ole von Beust und dem Inselarzt von Pellworm. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an