Hamburger Klimacamp: "Es geht uns nicht um Naturschutz"
Klimawandel ist kein ökologisches Problem, sondern ein soziales, sagen die Initiatoren des Hamburger Klimacamps. Sie finden, Kapitalismus und Kohlendioxid gehören zusammen.
taz: Frau Koburger, letztes Jahr zelteten Tausende Menschen gegen den G-8-Gipfel, dieses Jahr heißt es Campen "für ein ganz anderes Klima". Ist das Klima-Camp die Fortsetzung der Proteste in Heiligendamm?
Ines Koburger: Das Klimacamp ist nicht das einzige Camp, das diesen Sommer stattfindet. Aber natürlich sehen wir uns in der Tradition von Heiligendamm. Zum einen soll das Klimacamp den Schwung und die Breite der Bewegung gegen den G-8-Gipfel aufnehmen und weiterführen. Zum anderen ist die verstärkte Beschäftigung mit dem Thema Klima auch das Ergebnis einer kritischen Analyse der Proteste von Heiligendamm.
Heiligendamm ist der Grund, warum sich die radikale Linke auf einmal mit dem Thema beschäftigt?
Tadzio Müller: Über das Thema Klima konnten sich die G 8 neue Legitimation verschaffen. Das lag auch daran, dass die radikale Linke das Thema bis dahin größtenteils ignoriert hat. Der Klima-Diskurs wird instrumentalisiert. Aber dieser Diskurs "von oben" ist inzwischen nicht mehr die einzige Art, Klima zu thematisieren. Wenn ich vergangenen Winter in einem Café saß, drehten sich die Gespräche an den Nachbartischen früher oder später immer um das Klima: Die Winter waren früher kälter, die Jahreszeiten verändern sich.
Bei den Klima- und Antirassismuscamps treffen sich Anhänger der radikalen Linken vom kommenden Freitag bis zum 24. August in Hamburg. Die Aktivisten wollen über die Erderwärmung und ihre sozialen Folgen diskutieren. Zudem planen sie öffentlichkeitswirksame Aktionen und wollen die Baustelle des geplanten Kohlekraftwerks im Hamburger Stadtteil Moorburg lahmlegen. Eine Protestaktion ist auch am Flughafen der Stadt vorgesehen, von dem aus oft Flüchtlinge abgeschoben werden.
Zu den Unterstützern der Camps gehören Attac, der Jugendverband der Linkspartei, Solid, und die Nord-Süd-Initiative Buko (Bundeskoordination Internationalismus). Etablierte Umweltorganisationen sind nicht vertreten. Einzige Ausnahme ist der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dessen Jugendorganisation dabei ist. Verlässliche Prognosen über die Teilnehmerzahl gibt es mangels Anmeldungen nicht. Mehr im Internet unter www.klimacamp08.net
Ines Koburger (24 Jahre) und Tadzio Müller (32 Jahre) vertreten als Pressesprecher die Organisatoren des ersten Klimacamps in Deutschland gegenüber den Medien.
Koburger: Das Thema beschäftigt die Menschen. Gerade für die radikale Linke ist das auch eine Chance, grundsätzliche Kritik am herrschenden Wirtschaftsmodell in die Gesellschaft zu tragen.
Ähnliches hat die Umweltbewegung in den 1980er-Jahren versucht. In den Texten zum Klimacamp taucht die Umweltbewegung jedoch kaum auf. Gibt es da einen radikalen Bruch?
Koburger: Einen radikalen Bruch gibt es nicht, natürlich knüpfen wir in gewisser Weise an die Fragen und Erfahrungen der Umweltbewegung an. Aber es geht uns ganz bewusst nicht um eine "Wiederbelebung". Die Erfahrung der Umweltbewegung hat gezeigt, wie leicht die Forderungen nach Umwelt- und Naturschutz vereinnahmt und entschärft wurden. Uns geht es nicht um Naturschutz. Wir sehen Klimawandel nicht als ökologisches Problem, sondern als soziales.
Ökologische und soziale Probleme zusammenzudenken fordert auch die Bundesregierung.
Müller: Aber zugleich baut sie neue Kohlekraftwerke. Die Bundesregierung redet viel vom Klimaschutz, aber sie betreibt Wachstums- und Investitionsschutz.
Koburger: Der Klimawandel, wie wir ihn heute erleben, ist ein Ergebnis des Kapitalismus. Wenn das ausgeblendet wird, wie bei den Grünen oder den Umweltverbänden, kann man nur an Symptomen herumdoktern.
Das Problem Klimawandel kann also nur gelöst werden, wenn der Kapitalismus abgeschafft wird? Klingt nicht besonders wahrscheinlich …
Müller: Der Kapitalismus hat sich in seiner Geschichte als unglaublich flexibel erwiesen. Wieso sollte nicht auch ein grüner Kapitalismus möglich sein? Die Frage ist doch, wem er nutzt und wer die Kosten trägt. Der Klimawandel verschärft die bestehenden Ungleichheiten, die ökologische und soziale Prekarität, in der Milliarden Menschen leben.
Aber was kann der Einzelne dann tun? Ist es völlig egal, ob die Menschen öfter das Licht ausschalten oder auf den Verbrauch ihres Autos achten?
Koburger: Ob ich mein Licht für fünf Minuten ausschalte, hat höchstens symbolische Wirkung - viel entscheidender ist, ob der Strom dafür weiterhin aus einem Kohlekraftwerk kommt. Wirkliche Änderungen können und müssen kollektiv erreicht werden.
Wie kann das aussehen? Der Einladungstext zum Klimacamp fordert das Recht auf Zugang zur Energie und eine Abkehr vom fossilistischen Industrialismus. Das klingt utopisch.
Müller: Deshalb gibt es ja das Klimacamp: um solche Ideen zu diskutieren, aber auch, um sie zu leben, praktisch auszuprobieren. Gerade in autonomen Umweltgruppen gibt es einen vertrauten Umgang mit alternativen Alltagspraxen, mit dem Anbau von Lebensmitteln, der Gewinnung von Energie.
INTERVIEW: JULIANE SCHUHMACHER
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