Hamburger Geflüchteten-Unterkunft: Die Presse muss draußen bleiben
Die taz wurde nicht in die Unterkunft in der Schlachthofstraße gelassen. Der Träger erlaubt weder Presse noch Besuch. Dabei könnte er das.
E s führt ein Zaun um die als Erstaufnahmeeinrichtung genutzte Notunterkunft in der Schlachthofstraße, einen ehemaligen Großmarkt in einem Industriegebiet in Hamburg-Harburg. Am Rand des ehemaligen Parkplatzes lässt er eine kleine Lücke, ein halbgeöffnetes Tor, daneben ein weißer Container mit einem Fenster, darin Mitarbeitende der Firma Elb Security. An ihnen müssen alle vorbei, die hier raus oder rein wollen.
Als die taz und Simon Dhemija, Abgeordneter der Linken in der Bezirksversammlung Harburg, am Dienstagmorgen auf den Haupteingang zugehen, wird es plötzlich laut und hektisch. Ein Security-Mitarbeiter zieht einen Mann hinter den Container. „Du lügst“, ruft der Security auf Arabisch.
Der Mann ist Alla K., er wohnt seit Februar in der Unterkunft und hat uns eingeladen. Aber der Wachmann will ihn nicht rauslassen, um uns in Empfang zu nehmen. K. habe einen Termin mit dem Sozialdienst, sagt er. Wir gehen dazwischen, die Situation beruhigt sich. Es sei ein Missverständnis gewesen, wird ein Kollege des Securitymitarbeiters später sagen und Alla wird raus dürfen.
Wir allerdings dürfen nicht rein. Dabei sind wir verabredet, und wurden sogar angekündigt. Die taz möchte die Unterkunft besuchen, weil die Bewohner*innen die Zustände hier schon länger kritisieren.
Keine Privatsphäre und kaputte Klos
Es geht um defekte Toiletten, fehlende Privatsphäre in der ehemaligen Markthalle oder in den Zelten auf dem Parkplatz (die seit Ende September nicht mehr belegt sind), monotones Essen und ein Kochverbot. Sie haben deswegen schon Kundgebungen und eine Demo organisiert und sind vorübergehend in den Hungerstreik getreten. Es gibt Fotos und Videos der Zustände im Camp, die der taz vorliegen.
Stand Ende Oktober lebten 584 Menschen hier, davon 61 minderjährig, 43 jünger als 13 Jahre alt. Das hat eine Kleine Anfrage der Linken beim Senat ergeben. Die längste Zeit, die eine Person in der Schlachthofstraße zu dem Zeitpunkt wohnte, waren 763 Tage, das sind mehr als zwei Jahre. Bei den Minderjährigen war es etwas mehr als ein Jahr. Am 12. Oktober verschärfte sich die Situation, als ein Securitychef, der mittlerweile versetzt wurde, 15 Bewohner mithilfe der Polizei über Nacht aus der Unterkunft warf.
Die Situation in der Schlachthofstraße beschäftigt inzwischen die Hamburger Politik. Die Harburger Bezirksversammlung hat am 4. November einem Antrag der Linken zugestimmt, in dem unter anderem steht, dass Pressevertreter*innen auf Einladung von Bewohner*innen Zugang zum Camp gewährt werden muss.
Deswegen ist Simon Dhemija aus der Bezirksversammlung zum Termin mitgekommen. Am Eingang beruft er sich auf den Beschluss. Vergeblich: Weder er noch die taz dürften rein, erklärt Campleiterin Emily Cruz-Gonzales vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), das das Camp betreibt. Die Wachleute haben sie über Funk zum Tor gerufen. Mehr möchte sie nicht sagen und verweist an den Träger, das städtische soziale Unternehmen Fördern & Wohnen (F&W).
Überraschend kommt das nicht. Die Pressesprecherin von F&W, Susanne Schwendtke, hat am Vorabend bei der taz angerufen und gesagt, dass wir nicht reingelassen würden. Auf Nachfrage begründet Schwendtke das mit der Privatsphäre der Bewohner*innen. Pressetermine in Erstaufnahmeeinrichtungen in Hamburg seien generell nicht vorgesehen. „Wir müssten gerechtigkeitshalber allen Medien Ja sagen, deswegen sagen wir allen gerechtigkeitsmäßig Nein“, sagt sie.
Das Ding ist: Im Februar war die taz schon mal in der Unterkunft. Damals hatte ein Mitarbeiter von F&W spontan während einer Kundgebung einige anwesende Journalist*innen und Aktivist*innen durch die Unterkunft geführt. Warum das damals ging und heute nicht mehr, dazu möchte Schwendtke nichts sagen. Nur das: Jetzt und in Zukunft sei ein Medienbesuch ausgeschlossen.
Aber warum eigentlich keine Presse? Und darf der Träger das entscheiden, trotz des Beschlusses der Bezirksversammlung?
Nachgefragt bei der Juristin Lena Frerichs, von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die schon mehrere Verfahren zu Geflüchtetenunterkünften geführt hat. „Es kann nicht sein, dass Sie als Presse auf Einladung eines Bewohners keinen Zugang bekommen“, sagt sie. Zwar sei der Beschluss der Bezirksversammlung nicht bindend für den Träger, aber F&W sollte Besuch trotzdem zulassen, meint Frerichs.
Die GFF argumentiert, dass auch für Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen das in Artikel 13 im Grundgesetz festgelegte Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gilt. Dazu gehört auch das Recht, Besuch zu empfangen.
Der Träger habe zwar das Hausrecht, müsse aber die Grundrechte der Bewohner*innen achten, sagt Frerichs. Wenn es beim Besuchsverbot, wie F&W argumentiert, um den Schutz der Privatsphäre der anderen Bewohner*innen gehe, dann müsse eben in geschützten Räumen der Unterkunft Besuch möglich sein, sagt Frerichs. „Das gilt auch für Pressebesuch.“
In der Hausordnung der Unterkunft in der Schlachthofstraße ist sogar ein Besuchsrecht „in Absprache mit der Einrichtungsleitung“ vorgesehen. In der Praxis sieht das für die Bewohner*innen aber anders aus. Es gibt einfach keinen Besuch.
In der Unterkunft gebe es Aushänge, auf denen stehe, dass Besuch vollständig verboten sei, berichtet Alla K. der taz. Die Bewohner*innen dürften sich auch nicht gegenseitig in ihren „Zimmern“ besuchen, sogenannten „Kompartments“, mit Pappwänden abgetrennte, oben offene Räume mit zwölf Betten.
Nachdem sich der Aufruhr am Eingang am Dienstagmorgen gelegt hat, sprechen wir mit Alla K. vor dem Tor. Er ist ein ruhiger Typ, der viel lächelt, Palästinenser, in Syrien geboren. Im Camp übersetze er oft, helfe anderen Bewohner*innen, zum Beispiel mit E-Mails an Behörden. Er sagt: „Ich bin ehrenamtlich beim Roten Kreuz“ und lacht.
Alla K. war bisher bei jedem Protest dabei. Die taz hat ihn bei der Demo durch Harburg am 19. Oktober kennengelernt. Wie die Stimmung im Camp sei? Durchwachsen, sagt er. Einige hätten das Gefühl, dass ihre Anliegen durch die Proteste langsam gehört würden. Gleichzeitig habe sich an den Zuständen, den defekten Toiletten, dem monotonen Essen, noch nichts geändert.
Und es gibt ein Problem: Angst. „Nach dem 12. Oktober, nach dem, was die Menschen hier gesehen haben, was die Reaktion auf die Proteste war, seitdem haben die Menschen Angst zu protestieren“, sagt Alla.
Bei der nächsten Demo, glaubt K., würde wohl kaum jemand mehr mitmachen. Das liege auch daran, dass in den vergangenen Wochen plötzlich mehrere Menschen auf einmal abgeholt und ins sogenannte Dublin-Zentrum in Hamburg-Rahlstedt gebracht wurden. Vor einer Woche sieben auf einmal, am vergangenen Sonntag noch einmal sieben. Das sei vorher noch nie vorgekommen.
Nicht wenige Bewohnende vermuteten einen Zusammenhang mit den Protesten, sagt K. In einer Chatgruppen schrieb einer der Bewohner der Schlachthofstraße: „Wenn jemand den Grund dafür kennt, sagt ihn uns bitte, denn zu viel darüber nachzudenken, schmerzt.“
Die Innenbehörde bestätigt der taz, dass seit dem 15. Oktober insgesamt 16 Personen aus der Schlachthofstraße ins Mitte März eröffnete Dublin-Zentrum verlegt wurden. Dass jetzt mehrere Bewohner auf einmal dorthin gebracht wurden, sei zwar vorher noch nie vorgekommen, sagt Pressesprecher Daniel Schaefer, „hat mit den Protesten aber nichts zu tun“. Menschen aus anderen Unterkünften seien genauso betroffen.
Es liege nur daran, sagt Schaefer, dass seit dem 15. Oktober auch Personen, die einen Schutzstatus in einem anderen EU-Land haben, ins Dublin-Zentrum verlegt werden. Das ist Teil dessen, dass Hamburg die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) und die ab 2026 daraus folgenden strengeren Asylregeln der EU früher umsetzt als andere Bundesländer.
Einen Termin für die Schließung der Notunterkunft Schlachthofstraße, wie die Bewohner*innen ihn fordern, gibt es laut F&W und Innenbehörde nicht. Auch wenn die Überschrift eines NDR-Beitrages andere Hoffnungen weckte. Man wisse um die belastende Situation, aber es fehle schlicht an Betten in anderen Unterkünften. „Wenn wir den Standort schließen, wären die Leute obdachlos“, sagt Schwendtke. Den Mietvertrag hat die Stadt gerade bis 2028 verlängert.
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