Hamburger Behörden halfen nicht: Säugling auf der Straße
Weil eine Familie mit einem vier Tage alten Säugling keine Unterkunft bekommen hat, geraten die zuständigen Hamburger Behörden unter Druck. Unterkünfte sind voll.
HAMBURG taz | Wegen des in Obdachlosigkeit geratenen Paares, das in Hamburg keinen Wohnraum für das neugeborene Baby bekommen hat, sind der SPD-Senat und das zuständige Bezirksamt unter Druck geraten. Wie das „Hamburg Journal“ des NDR am Samstag berichtete, musste die vier Tage alte Leonie mit ihrer völlig erschöpften Mutter direkt aus dem Krankenhaus in die Obdachlosigkeit gehen. Grund sind offenbar Versäumnisse des zuständigen Bezirksamts.
Die zuständige „Fachstelle für Wohnungsnotfälle“ des Bezirks Wandsbek habe der verzweifelten Mutter dem NDR-Beitrag zufolge mehrfach gesagt, dass die mit ihrem Fall betraute Mitarbeiterin nicht da sei. Und auch ein Sozialarbeiter der Tagesstätte für Obdachlose der Diakonie, bei der die Familie vorstellig geworden war, war abgewimmelt worden.
Dem Sozialarbeiter der Diakonie soll die Fachstelle mitgeteilt haben, dass es weder freie Wohnungen noch Plätze in der Notunterkunft gebe. Auch weil es an Sozialwohnungen mangele, könnten keine Wohnungen vermittelt werden. Das Bezirksamt Wandsbek ist auf taz-Anfrage zu keiner Stellungnahme bereit und verweist auf den „Sozialdatenschutz“. „Wir sind uns der Verantwortung bewusst“, sagt Sprecher David Lause. Immerhin habe der Bezirk ja nun gehandelt und der Frau mit ihrem Kind eine Unterkunft vermittelt.
Wegen seiner Wohnungspolitik und dem Mangel an öffentlichen Unterkünften zieht der Hamburger SPD-Senat schon länger Kritik auf sich. Zuletzt wurde bekannt, das das Winternotprogramm für Obdachlose schon jetzt aus allen Nähten platzt. Menschen müssen dort sogar auf Stühlen schlafen.
Dass ganze Familien mit Kindern in Hamburg in die Obdachlosigkeit rutschen, ist eine neue Entwicklung, die auch die Notambulanz der Bahnhofsmission seit einem dreiviertel Jahr beobachtet. „Auch wir sind auf die Frage gestoßen, was mit den Familien passiert“, sagt Axel Mangat von der Bahnhofsmission. Weil die Notunterbringungen nicht auf Familien ausgelegt seien, werden die Angehörigen getrennt untergebraucht.
Bisher wenden sich Menschen, die in Hamburg keine Wohnung haben, an die „Fachstelle für Wohnungsnotfälle“ des Bezirks. Ein Ziel der Stelle ist es, Wohnungslosigkeit zu vermeiden und noch existierende Mietverhältnisse zu sichern. Dort wird geprüft, ob ein Anspruch auf eine öffentlich-rechtliche Unterbringung besteht. Weil es in der Zeit in der die Prüfung läuft, keinen Anspruch auf eine Unterbringung gibt, hat die Bahnhofsmission einen Nothilfefond aufgelegt.
Plätze sind voll
Für die Vermittlung öffentlich-rechtlicher Wohnunterkünfte ist in Hamburg der Träger „Fördern und Wohnen“ zuständig. Die insgesamt 8.500 Plätze, die zur Verfügung stehen, sind jedoch schon länger belegt, und so stellt sich die Frage, warum die Stadt Hamburg nicht schon früher etwas gegen die Wohnungsnot und ihre Folgen getan hat.
Bis Mitte Oktober hat der Senat fast 78.000 Euro ausgegeben, um vor allem bei Familien die Obdachlosigkeit abzuwenden. In diesem Jahr wurden bereits rund 50 Familien und Bedürftige wegen fehlender Wohnunterkünfte in Hotels untergebracht. In Hamburg ist das die offizielle Linie: Im Einzelfall sei eine Hotelunterbringung die „geeignete Maßnahme“, heißt es in einer Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der sozialpolitische Sprecherin der Linkspartei, Cansu Özdemir.
Warum also wurde die Familie mit der kleinen Leonie nicht im Hotel untergebracht? Özdemir sagt, sie finde es „unverständlich“, wie die Fachstelle die Familie abwimmeln konnte. Die Sozialbehörde war bis Redaktionsschluss zu keiner Stellungnahme bereit.
Mutter und Kind sind untergekommen
Andrea Luksch vom Hamburg Journal bestätigte gegenüber der taz, dass Mutter und Kind inzwischen in einer öffentlichen Unterbringung untergekommen seien. Der Vater sei dagegen immer noch obdachlos.
Um zu klären, ob es sich beim Schicksal der Familie um einen Einzelfall handelt oder ob es vielen Familien in der Stadt so ergeht, hat Özdemir eine kleine Anfrage gestellt. „Für die Stadt ist es ziemlich tragisch, wenn eine Mutter nach der Entbindung nicht weiß, wo sie mit ihrem Kind hin soll“, sagt sie.
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