Hamburger Ausstellung „Flow of Forms“: Afrika veredelt Europas Schrott
Die Ausstellung „Flow of Forms“ im Hamburger Völkerkunde-Museum zeichnet Wechselbeziehungen zwischen dem Design beider Kontinente nach.
Das strukturelle Grundproblem aber – nach einem existenziellen Einschnitt an das Vorher anzuknüpfen und Identität neu zu formen: Das eint sie und kocht speziell bezüglich Afrikas derzeit hoch, wo sich Teile Europas endlich ihrer kolonialen Vergangenheit stellen. Das heißt, eigentlich läuft dieser Diskurs in Afrika seit der Unabhängigkeit in den 1950er-, 1960er-Jahren. Aber Europa hat nicht hingeschaut.
Genau das versucht derzeit die Schau „Flow of Forms“ im Hamburger Museum für Völkerkunde unter seiner neuen Chefin, der Afrika-Expertin Barbara Plankensteiner. Gemeinsam mit Forscherinnen von der Uni München präsentiert sie eine afrikanisch-europäische Ausstellung, die frühe Verbindungen aufzeigt und eine langjährige wechselseitige Inspiration besonders im Design offenbart. En passant demonstriert die Schau auch, dass Neues, Überraschendes stets auf Horizonterweiterung und transkultureller Kooperation auf Augenhöhe fußt.
Ausgerechnet hierfür ist paradoxerweise die Kaufmannsstadt Hamburg – einst Hauptstadt der Kolonialismus-Profiteure – ein gutes Beispiel: Justus Brinckmann, Gründer des Museums für Kunst und Gewerbe, hat Bronzemasken aus Benin – geschaffen im 15. Jahrhundert und um 1890 von britischen Kolonialherrn geraubt – in das damals noch als Kunstgewerbeschule dienende Haus gebracht.
Die Ausstellung "Flow of Forms. Designgeschichten zwischen Afrika und Europa" ist bis zum 19.8.2018 im Hamburger Museum für Völkerkunde zu sehen.
Die technische und ästhetische Perfektion der Skulpturen, die Brinckmann als einer der ersten Europäer erkannte, sollte Hamburger Kunsthandwerkern als Vorbild dienen.
Soweit, so respektvoll. Nur, dass die Kolonialherrn aus solch geraubtem Exportgut alsbald ein Bild des „typisch Afrikanischen“ destillierten und mehr davon wollten. Britische Kunsterzieher wie Margaret Trowell und Herbert Meyerowitz gründeten in den 1930er-Jahren Töpferschulen und Arts & Crafts Departments in Uganda und Ghana.
Dort sollten Einheimische unter britischer Anleitung „typisch afrikanische“ Ware in traditioneller Technik herstellen, die man später in Serie industriell fertigen wollte. Das alles für Europas Märkte – und schon waren die Gegenstände nicht mehr authentisch, wurden von der Gebrauchs- zur dekorativen Massenware.
Ohne Paternalismus sind diese Kunstschulen nicht zu denken, auch wenn sie ambivalent waren und immerhin danach trachteten, lokale Handwerkstechniken zu bewahren und zu modernisieren. Aber die Einheimischen entschieden eben nicht selbst, in welche Richtung sie ihre Formen entwickeln wollten, sondern arbeiteten nach fremden Vorgaben.
Anekdotische Schau
Mit diesen Ursprüngen eines frühen, teils geraubten, teils erzwungenen „Flow of Forms“ von Afrika nach Europa beginnt die eher anekdotisch aufgebaute Schau, die sowohl europäisch-afrikanische als auch innerafrikanische Kooperativen, Startups und Projekte präsentiert.
Ob diese Projekte weniger paternalistisch sind als jene des 19. Jahrhunderts, ist schwer zu entscheiden. Tatsache ist, dass einige fruchtbare Kooperationen herauskamen, die oft auch einen sozialen Impetus haben.
Da ist zum Beispiel die in den USA ausgebildete Industriedesignerin Alafuro Sikoki-Coleman, die mit nigerianischen Weberinnen und Flechterinnen arbeitet, um der Wasserhyazinthen-Plage beizukommen. Diese Pflanzen wuchern so massiv im Niger-Delta, dass man den Fluss weder befahren noch darin angeln kann; auch das ökologische Gleichgewicht ist gestört. Jetzt flechten die Frauen Stühle, Hocker und Lampen aus den getrockneten, zu Schnüren gedrehten Pflanzen und verkaufen sie auf lokalen Märkten.
Sikoki-Coleman deutet so nicht nur das „böse“ Material um, sondern verschafft den Frauen auch eine Einnahmequelle. Ist das jetzt übergriffig oder Hilfe zur Selbsthilfe? Und ergibt diese Unterscheidung angesichts des Resultats überhaupt Sinn?
Kippeliger Melkschemel
Oder nehmen wir den Workshop des malischen, in Frankreich ausgebildeten Designers Cheick Diallo mit dem Berliner Flüchtlingsprojekt Cucula: Aus den Metallfasern schrottreifer Autoreifen aus Europa haben sie nach traditioneller Technik geflochtene Stövchen, Bauhaus-artige Sessel sowie einen minimalistisch-kippeligen Melkschemel gefertigt. Kippelig, wieso? „Damit man aufs Gleichgewicht achten muss und beim Melken nicht einschläft“, sagt Cheick Diallo und grinst verschmitzt.
Er ist nicht verbittert, weil Europa seinen Schrott nach Afrika bringt. „Wir nehmen das mit Humor. In einem Land ohne Holz ist Metall ein wichtiger Rohstoff“, sagt er. „Wir haben gar keine Zeit, über Moral oder Unmoral nachzudenken. Wir nutzten die Rohstoffe, sind kreativ und verkaufen die Produkte nach Europa.“ Retour à l’expédient nennt er das, „zurück an Absender“. Cheick Diallo sagt das ohne Zynismus und lächelt dabei.
Das Stockholmer Designstudio Front wiederum hat gemeinsam mit südafrikanischen Zulu-Frauen „Story Vases“ hergestellt. Mit aufgezogenen Perlen haben die Frauen Alltagsgeschichten des ländlichen Post-Apartheids-Südafrika auf die Vasen geklebt.
Da stehen Wünsche und Hoffnung drauf, auch mal Kritisches über den eigenen Ehemann. Eine kluge Transformation von Oral History ist das, elegant in Deko- und Gebrauchsgegenstände eingearbeitet. So ein materielles, nicht wegzudiskutierendes Statement bedeutet auch eine Stärkung weiblicher Erzähl- und Deutungsmuster.
Gepixelte Muster gewebt
Zentral bei allen in dieser Schau gezeigten Projekten ist der Rückgriff auf lokale handwerkliche Fertigkeiten. Töpfern, Flechten, Weben: Das ist handfest, stiftet Identität und stabilisiert. Auch bei den innerafrikanischen Projekten ist das so, bei Kofi Setordji aus Ghana etwa, der gemeinsam mit westafrikanischen Weberinnen in alter Technik computer-gepixelte Muster schuf, die in den Augen brennen. Rasende Zeit, auf Stoff gebannt und mumifiziert – ein fast archaisches Ritual, das fröhlich scheitert am Versuch, Zeit festzuhalten.
Auch die Pullover des Südafrikaners Laduma Ngxokolo Maxhosa bergen diese Ambivalenz. Ihre Muster ähneln traditionellen Perlenarbeiten. Und obwohl top-modern und geometrisch, könnten sie auch für die traditionelle Jünglings-Initiation der Xhosa benutzt werden, sagt der Künstler. Außerdem müssen die jungen Männer nach der Initiation sechs Monate lang ein neues, würdiges Kleidungsstück tragen. Auch dafür eignen sich diese Pullover.
Alt und Neu – muss das eine Kluft sein oder schließt sich diese Lücke leichter als gedacht? Künstlerisch vielleicht, politisch nicht: das zeigen Auszüge aus der von 1966 bis 1972 bestehenden marokkanischen Zeitschrift Souffles. Temperamentvoll stritten deren Autoren darüber, wie man sich von fortbestehenden Besatzungsstrukturen lösen könne, ohne zum vorkolonialen Status zurückzukehren.
Als Beispiel für eine gelingende Weiterentwicklung europäisch-afrikanischer Beziehungen kann die nigerianische Lace-Kleidung dienen. Sie entstand aus – nach der Unabhängigkeit in den 1960er-Jahren aufgenommenen – Geschäftsbeziehungen mit Österreich, wo spezielle Stickereistoffe für den nigerianischen Markt entworfen wurden, die dort bis heute bei Festen getragen werden.
Von diesen florierenden Geschäftsbeziehungen profitierten allerdings vor allem die afrikanischen Eliten, weshalb der Stoff in Nigeria zugleich für die Verschwendung und Illoyalität der eigenen Regierung steht.
Überraschende Querbezüge
Auch der nigerianische Zeichner Obiora Udechukwu, der Reiche neben Latrinenreinigern porträtiert, ist enttäuscht von der Selbstbereicherung vieler afrikanischer Eliten nach der Unabhängigkeit. „Ohne ethisches Bewusstsein ist der Künstler nur ein Dekorateur“, sagt er.
Ja, die Stimmen sind vielfältig in dieser Schau. Die Querbezüge sind oft überraschend, teils humorvoll, wenn des südafrikanische Modelabel „Black Coffee“ die Pastellfarben aus Picassos Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon“ aufnimmt – ein gutmütiger Kommentar zu einem der vielen europäischen Künstler, die sich von Afrikas Masken inspirieren ließen.
Die mit Abstand genialste Verquickung von Sprache, Zeichensystem und Materie schafft allerdings der „Kassena Isibheque Writing Desk“. Erschaffen hat ihn das südafrikanische Designerduo „Doktor and Misses“. Herausgekommen ist ein Bauhaus-artiger, sich nach oben verjüngender Schreibtisch-Schrank. Form und Schwarzweiß-Muster ähneln den Häusern der zwischen Burkina Faso und Ghana lebenden Kassena.
Doch die geometrischen Schwarzweiß-Muster der Kassena sind weitergedacht und transformiert in die Zeichenschrift Ishibeque Schlamvu. Sie erzählen Geschichten in den Sprachen Sotho und Tsonga. „Sei dir deiner Tradition bewusst“, sagt dieser Tisch zum Schreiber. „Aber halte nicht zu eng an ihr fest: So, wie meine Urheber geometrische Muster in Zeichenschrift verwandelten, kannst auch du die althergebrachte Form transformieren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht