Hamburg ist Hochburg der Grundsicherung: Stadt der Altersarmut
In Hamburg bekommen bundesweit am meisten Senioren Grundsicherung. Viele Alte sind auf Tafeln angewiesen – manche müssen sogar betteln.
„Das, was ich vom Sozialamt bekomme, reicht hinten und vorne nicht“, sagt sie. Arbeiten könne sie nicht mehr. Sie bekommt schwer Luft, hatte eine Lungenembolie. Früher habe sie als Bedienung gearbeitet oder als Zimmermädchen. Seit vier Jahren geht das nicht mehr. Sie bekommt Hartz IV. „Das ist absolut die schlimmste Zeit in meinem Leben“, sagt sie. Die schwierige Situation lasse ihr keine andere Wahl, als zu betteln.
In Hamburg leben viele ältere Menschen am Existenzminimum. Das statistische Bundesamt teilte am Donnerstag mit, dass derzeit 69 von 1.000 Senioren von der Grundsicherung leben. In keinem anderen Bundesland sind es so viele. Für die Stadt ist das ein altbekanntes Problem: Seit 2005 führt der Stadtstaat fast jedes Jahr diese Liste an. „Das weiß die Stadt auch“, sagt Klaus Wicher, Vorsitzender des Hamburger Sozialverbandes. Die Politiker unternähmen bloß nichts.
Der Sozialverband fordert den Bau von 6.000 bezahlbaren Wohnungen pro Jahr, mehr kostenlose Dienstleistungen wie Haushaltshilfen, kostenlose Theaterkarten und einen sozialen Arbeitsmarkt mit 1.000 sozialversicherungspflichtigen Stellen. So sollen Langzeitarbeitslose die Möglichkeit bekommen, etwas in die Rentenkasse einzuzahlen, damit sie im Alter keine Grundsicherung brauchen.
Anspruch auf bis zu 399 Euro Grundsicherung hat, wer mindestens 65 Jahre alt ist und mit dem vorhandenen Einkommen und Vermögen seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.
In Hamburg sind das knapp 24.000 Senioren. Weitere 16.000 Menschen erhalten die Leistung, weil sie vermindert erwerbsfähig sind, also wegen eines Unfalls oder Krankheit nicht arbeiten können.
Die Liste der Bundesländer mit den meisten Grundsicherungs-Empfängern führen die drei Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin an.
Hartz IV erhält, wer erwerbsfähig aber arbeitslos ist und keinen Anspruch auf Grundsicherung hat. Der Hartz-IV-Satz liegt bei ebenfalls 399 Euro.
Um Kosten zu sparen setzt das Jobcenter Hartz-IV-Empfänger mit 63 Jahren in Zwangsrente.
Das steht jetzt auch so im Koalitionsvertrag“, sagt Wicher. SPD und Grüne wollen 700 solcher Arbeitsplätze schaffen. Viele der Senioren, die im Alter Grundsicherung erhalten, hatten zuvor gering bezahlte und befristete Jobs. Dazu kommen 23.000 Langzeitarbeitslose.
Zudem sind Hartz-IV-Empfänger verpflichtet, mit 63 Jahren eine vorgezogene Altersrente zu beantragen. Reicht die nicht zum Leben, wird sie bis zum Sozialhilfesatz aufgestockt. Grundsicherung gibt es erst mit 65 Jahren. „Viele Senioren stehen trotzdem ab dem 20. eines Monats an den Tafeln“, sagt Wicher.
Die ältere Frau am Schulterblatt versucht sich anders zu helfen. Doch bei Regen werfen nur wenige Passanten etwas in ihre Schale. Vom Amt zu leben, sei nicht halb so angenehm, wie die Medien den Massen vorgaukelten. „Du musst dich ständig erklären und Papiere einreichen“, sagt sie. Das Geld reiche trotzdem nicht: „Man kann ja nicht jeden Tag Eintopf essen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste