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Hamburg gegen LeverkusenDer Hamburger Alleinunterhalter

Dank eines starken Torschützen van der Vaart schlägt der HSV Leverkusen hoch verdient mit 1:0. Der Streit der Hamburger mit ihrem wechselwilligen Kapitän wird dadurch nicht entschärft.

Trainer Stevens tätschelt sein schwarzes Schaf van der Vaart für den gelungenen Elfmeter Bild: dpa

Mit den verlorenen Söhnen ist es so eine Sache: Sind sie einmal weg, so werden sie bisweilen zu mythischer Größe überhöht, so wie Sergej Barbarez, der vom Hamburger Publikum frenetisch gefeiert wurde, obwohl er sich ein Jahr nach seinem nicht ganz freiwilligen Abschied von der Elbe auf der Leverkusener Reservebank wiederfindet. Drohen sie erst verloren zu gehen, so wie derzeit der abwanderungswillige HSV-Mittelfeldstar Rafael van der Vaart, ist die Reaktion der zahlenden Kundschaft weniger berechenbar. Die Bild-Zeitung hatte ihr bestes getan, um die Stimmung anzuheizen: Zwei Tage nachdem der Niederländer das UI-Cup-Finalspiel gegen Honved Budapest wegen einer Rückenverletzung versäumt hatte, die er sich beim Hochheben seines einjährigen Sohnes zugezogen haben will um damit, so die in Hamburg vorherrschende These, einer Sperre für internationale Spiele seines künftigen Wunscharbeitgebers FC Valencia zu entgehen, gossen die Boulevardschreiber Öl ins Feuer. In großer Aufmachung druckten sie einen Ausriss aus der spanischen Sportgazette AS, auf dem van der Vaart mit dem Valencia-Trikot in der Hand posierte. Dazu hatten die Hobby-Demoskopen ermittelt, dass 70 Prozent ihrer Leser den mit dem neuen Spitznamen “van Verrat" bedachten Mittelfeldstrategen nie mehr im HSV-Dress sehen wollten.

Sie sahen ihn aber im rot-weissen Trikot und wie. Trainer Huub Stevens hatte in einem Akt verzweifelter Nibelungentreue jede Kritik am Verhalten seines Landsmanns zurückgewiesen und stellte ihn ­ als Kapitän auf. Van der Vaart dankte es ihm und erinnerte dabei in keiner Weise an einen rückenleidenden Musterpapa. Er interpretierte seine Rolle noch offensiver als zuletzt, - zeitweise wie ein waschechter Mittelstürmer. Goalgetter Zidan versuchte indes rechtschaffen, sich als hängende Spitze in die Rolle des Vorbereiters zu fügen.

Wie schön es beim HSV werden könnte, wenn van der Vaart bliebe, zeigte sein Landsmann Romeo Castelen, der in seinem zweiten Ligaspiel für die Hamburger auf der rechten Seite einen geradezu furchterregenden Druck aufbaute, nicht vor 40-Meter-Soli zurückschreckte ­ und am Ende noch die Luft für gefühlvolles Doppelpassspiel mit van der Vaart hatte. Das Spiel des HSV erinnerte fast nicht mehr an die verkorkste Vorsaison. Trainer Stevens hatte sogar sein Dogma über Bord geworfen, Trochowski und van der Vaart könnten nicht zusammen spielen, ­ als wolle er seinem Regisseur noch mal etwas beweisen. Und die Rechnung ging auf: Der HSV zog das Spiel in die Breite, spielte ästhetisch anspruchsvoll und brachte die von einem starken Bernd Schneider zu gutem Mitspielen angetriebenen Leverkusener ein ums andere Mal in größte Verlegenheit. “Der letzte Pass" habe nicht gestimmt, analysierte Trainer Michael Skibbe hinterher treffend. Beim HSV lag das Manko noch eine Phase später: Bei der Chancenauswertung, dem alten Leiden. Aber immerhin: Niemand scheiterte vor dem Tor schöner als Rafael van der Vaart.

Die Rechnung der Bild-Leute, die üblicherweise mit einem feinen Näschen für Fußballvolkes Stimmungsschwankungen ausgestattet sind, ging diesmal nicht auf: Schon vor Beginn des Spiels war ein aufbrandendes Pfeifkonzert gegen “van Verrat" im Applaus der Mehrheit erstickt worden. Dann in der 64. Spielminute: Das zweite Handspiel eines Leverkusener Verteidigers wird mit Elfmeter geahndet. Es kommt zur Kraftprobe. Am Punkt stehen David Jarolim und ­ Rafael van der Vaart. Einen sehr langen Moment scheint es, als würden die beiden im Leverkusener Strafraum den Machtkampf zwischen Verein und Spieler en miniature nachstellen. Van der Vaart bewegt sich als erster, geht zum Punkt und schießt trocken rechts unten zum 1:0 ein. Da hatten ihn wieder alle lieb. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn er zwei Minuten vor Schluss auch noch ein paar Zentimeter genauer gezielt hätte und alles klar gemacht hätte. Aber Stevens ließ nichts unversucht, seinem Star noch eine Gänsehaut mit auf den Weg in die Kabine zu geben: Eine Minute vor Schluss wechselte er van der Vaart unter dem Jubel der Fans aus.

Nachher wollte der Trainer davon nichts mehr wissen. “Rafael van der Vaart hat als Kapitän heute gut gespielt, am Donnerstag hat ein anderer Kapitän gut gespielt", sagte er mit den üblichen, zusammengebissenen Zähnen, “Rafael war heute ein Teil des Teams, und so möchte ich ihn sehen."

Ob es dazu noch oft kommen wird? Van der Vaart, der von dem Verein für die Trikot-Aktion mit einer saftigen Geldstrafe bedacht werden wird, orakelte nach dem Spiel: “Wenn ich beim Rückspiel gegen Honved Budapest spiele, dann bleibe ich auch." Der Machtkampf geht weiter.

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