Hamburg blockiert Volksinitiativen: Digital könnte so viel besser sein
Bei Volksinitiativen will es Hamburg analog. Obwohl das gesetzlich anders geregelt ist, sollen sie nur mit Zettel und Stift unterstützt werden dürfen.
Hamburg hat eine vergleichsweise weitgehende Volksgesetzgebung, bei der am Ende eines mehrstufigen Prozesses ein Bürgerentscheid steht, an den sich die Stadt halten muss. Bevor es dazu kommt, müssen die Volksinitiativen auf dem Weg dahin immer dicke Aktenordner im Hamburger Rathaus abgeben mit Tausenden Blatt Papier.
Listen, auf denen Bürger:innen handschriftlich ihren Namen, Adresse und die Unterschrift gekritzelt haben und sich damit etwa für die Enteignung von Wohnungsunternehmen, für mehr Bildungsgerechtigkeit oder aber auch für ein Genderverbot in der Hamburger Verwaltung aussprechen. Auf Marktplätzen, an U-Bahnhöfen oder bei Veranstaltungen haben Aktivist:innen die Unterschriften zuvor gesammelt.
Doch schon seit 16 Jahren besteht der gesetzliche Anspruch, Unterschriften auch digital zu sammeln. Jedoch: „Die Entwicklung und Implementierung eines technischen Verfahrens ist bisher nicht erfolgt“, antwortete der Senat nun auf eine Anfrage der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Und mehr noch: Der Senat erklärte, dass er überhaupt kein Interesse daran hat, das jemals zu ändern. Es komme schließlich nicht so häufig vor, als dass sich der Aufwand lohne. „Ein technisches Verfahren sollte eine Nutzung über den temporären Einzelfall hinaus gewährleisten“, schreibt der Senat lapidar.
Verfassungsgericht könnte einschreiten
Nachgefragt hatte die CDU wegen der von ihr unterstützten Volksinitiative, die ein Genderverbot in der Stadt durchsetzen will. Die muss aller Voraussicht nach im nächsten Schritt zu einem Volksentscheid genau in den Hamburger Sommerferien im kommenden Jahr innerhalb von drei Wochen 65.000 Unterschriften sammeln. Nicht zu Unrecht befürchtet die Initiative, dass es scheitern könnte, weil viele potenzielle Unterstützer:innen im Urlaub sind. Auch zwei weiteren Initiativen könnte dieses Schicksal drohen.
Doch so rückschrittlich die Initiative, die geschlechtergerechte Sprache verbieten will, inhaltlich ausgerichtet ist, so sehr könnte sie nun progressiven Initiativen und einer lebhafteren Demokratie in Hamburg zu einem Fortschritt verhelfen: Zumindest droht sie schon den Gang vor das Hamburgische Verfassungsgericht an – und dürfte gute Karten haben.
Schließlich bestehe mit dem aktuellen Personalausweis im Kreditkartenformat die Möglichkeit, durch Scannen mit einer geeigneten App Dokumente elektronisch rechtssicher zu unterzeichnen. Und der Bund habe bereits eine entsprechende App entwickelt, die kostenlos nutzbar ist. Mit der „AusweisApp2“ des Bundes brauche Hamburg keine eigene zu entwickeln.
Sollte es dazu kommen, kann sich der Senat bei der Initiative bedanken, ein eigenes Versprechen einzuhalten. Im aktuellen Koalitionsvertrag beteuern SPD und Grüne nämlich, „die Volkspetition mit der Möglichkeit einer Online-Petition auszustatten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands