Hamburg-Fotos ohne Idyll-Charakter: Die verborgene Ordnung der Dinge
Hans Meyer-Veden lotete soziale Prozesse und Vergänglichkeit im Lokalen aus. Die Ausstellung „Chiffren einer Stadt“ zeigt Fotos aus 30 Jahren.
Kurz zuvor war er in Spanien gewesen, hatte auch dort mit den scharfen Licht-Schatten-Kontrasten eines Caravaggio gearbeitet, ein Haus an einsamer Straße schwarz in den Himmel gestochen. Dann wieder kalligraphisch zart und verschwommen eine Kindermeute vor einem Häuserblock rennen lassen, Bewegungen gegen Architektur gesetzt, fast ein Videostill.
Diese intensiven Fotos hat die Ausstellung „Chiffren der Stadt“ leider in einen gedimmten Nebengang verbannt – wohl, um anzudeuten, dass sich der Künstler, lange Werbe-, Architektur- und gewerblicher Fotograf, irgendwann davon absetzte, nicht mehr nach vermarktbaren Motiven jagen, sondern schlicht seine Umgebung dokumentieren wollte.
Das hat der in Stade geborene Maschinenbauer, der Fotografie studierte und zuletzt eine Fotografie-Professur an der Fachhochschule Kiel hatte, seit 1982 in Altona getan. Er wohnte dort und fotografierte im Viertel sowie an der Elbe und im Alten Land und hat einmal gesagt, man solle seine Fotos mit Verstand betrachten, statt das Idyll zu suchen. Das Bild der Fotografie könne auf besondere Weise zeigen, wie zuverlässig, wie authentisch ein Gegenstand ans Tageslicht komme.
„Dem Photographen zeigt es aber vor allem, wie seine Augenlust wunderbar kollidiert mit den Energien des Realen. Seine Ambition, seine Absicht, vollendet sich in der empathischen Kollision mit dem Objekt“, hat er einmal gesagt. Was eben heißt, nicht unbedingt ein Kunstprodukt herzustellen, sondern, weniger übergriffig, mit dem Realen zu arbeiten. Im Hafen, in der Natur, in der Stadt.
Keine Inszenierungen, sondern Fundstücke
100 Abzüge seiner Schwarzweiß-Fotos aus den 1980er und 2000er Jahren sind nun im Jenisch Haus zu sehen, einem klassizistischen Landhaus, das zum Altonaer Museum gehört. Und sie wirken in der Tat nicht wie Inszenierungen, sondern wie Fundstücke. Zufällig am Wegesrand als skurril oder bemerkenswert Aufgeschnapptes.
Es sind Dokumente menschlicher Spuren im Stadtraum geworden, ohne Menschen, einige Bilder mit gesellschaftspolitischem Kontext, andere nicht. Fotos der Elbe, von skurril über Mauern gewachsenem Gebüsch, von Bäumen und Wiesen bergen wenig politisches Potenzial. Graffiti an Hafenstraßenhäusern aus den 1980er Jahren dagegen schon.
Konsequenterweise hat man als „Intervention“ den 1895 gedrehten Film „Terrible Houses in Danger“ der Filmgruppe Mpz dazugestellt. Er erzählt in Video- und Audiosequenzen die Geschichte der Hafenstraße von der Besetzung 1982 bis 1985, als Hamburgs Senat die Räumung der Hafenstraße durch eine Unbewohnbarkeitserklärung durchsetzen wollte.
Auf anderen Fotos Meyer-Vedens sind Graffiti bereits von Pflanzen überwuchert; Menschen und Natur konkurrieren ums Überdauern. Oder auch Gebäude miteinander: Das Hohe schlägt das Niedrige, das Wuchtige das Flache – ein riesiges Silo hat sich neben ein klassizistisches Haus gequetscht und drängt es aus Blick und Bild.
Chiffren einer Stadt. Fotografien von Hans Meyer-Veden mit Interventionen des Fotografen Michael Meyborg, der Mpz-Filmgruppe und des Street-Art-Künstlers Tona:
bis 13. Februar 2023, Hamburg, Jenisch Haus
Um Veränderung und Vergänglichkeit geht es in „Chiffren einer Stadt“, und auch wenn Nostalgie explizit nicht Meyer-Vedens Ziel war, empfindet man sie doch, wenn man alte Schiffskacheln in Altonaer Fluren sieht, neben die ein hässlicher Lichtschalter montiert wurde. Und die Farbe alter Türknäufe blättert einfach ab – hat die Nachwelt eben keine Verwendung für.
Es ist ein stetiges Changieren zwischen Bestehen und Vergehen, wenn Meyer-Veden etwa in Altona überall Boote ortet: im dunklen Hausflur, auf der Terrasse, im Park, von Blättern bedeckt, fast eins mit dem Untergrund. Nein, Altona vergisst nie, dass es am Hafen liegt, dass es einst viele kleine Räuchereien gab. Aber die Art der Beziehung hat sich verändert, das alte Handwerk existiert nicht mehr.
Mäßig gelungene Intervention
Die (teilweise zugewanderte) Arbeiterschaft dagegen schon: Die zweite „Intervention“ dieser Schau besteht aus Bildern des Hamburger Fotojournalisten Michael Meyborg, der zwischen 1979 und 1995 der Türkei stammende MigrantInnen fotografierte. Anders als die Fotos Meyer-Vedens sind sie bunt und zeigen Alltag: einen Fleischer bei der Arbeit, Vater und Sohn im Wohnzimmer, eine munter posierende Kindergruppe.
Dieses Intermezzo soll die Schau wohl etwas „heutiger“ machen, aber es wirkt gewollt und stört den „Lesefluss“ der Meyer-Veden-Schau, die manchmal auch einfach nur Bizarres zeigt: Was hat es zum Beispiel mit dem gepolsterten Hocker im Gras auf sich, auf dem eine Schaufel so liegt, das sie eigentlich herunterrutschen müsste? Festgeklebt hat er sie bestimmt nicht, und so bleibt man beunruhigt angesichts der labilen Statik, die das Foto überraschend lebendig macht.
Andere Fotos von Straßenkreuzungen erinnern an die verlorene Atmosphäre eines Edward Hopper. Und nur auf den ersten Blick hat hier jemand willkürlich in ein Gewirr parkender Autos im Schilderwald fotografiert. Denn genau diese scheinbare Unordnung ist es, die solche Fotos reizvoll macht und fordert: Suche die Ordnung in den Dingen selbst! Der Fotograf gibt sie nicht (mehr) vor, nun sind die BetrachterInnen an der Reihe.
Den wiederum – und das ist die dritte „Intervention“ dieser Ausstellung – hat sich der Hamburger Street Art Künstler Tona vorgenommen. Er hat auf seinen Reisen Kinder, die ihn beim Malen beobachteten, fotografiert. Die Bilder stilisiert er zu Schablonen und bringt sie als Siebdrucke auf marode Türen und Fassaden. Im Jenisch Haus hängen mehrere davon auf durchsichtigen Scheiben. Angebracht sind sie neben Meyer-Vedens Fotos graffiti-bemalter Fassaden. Ein gelungener Transfer in Aktualität und Dreidimensionalität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind