Hamas und Fatah kämpfen in Gaza: Abbas weist eigene Leute ab
Schwere Kämpfe zwischen Fatah und Hamas im Gaza-Streifen: Über 150 Fatah-Leute flohen nach Israel - um ins Westjordanland zu gelangen. Doch Präsident Abbas ließ sie abweisen.
Der Konflikt zwischen den rivalisierenden palästinensischen Fraktionen Hamas und Fatah spitzt sich weiter zu. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter der Führung der Fatah im Westjordanland erwägt, die Hamas zur gesetzwidrigen Organisation und den Gazastreifen zum feindlichen Gebilde zu erklären.
Nach dem Anschlag auf ein Strandcafé Ende Juli, bei dem sechs Menschen getötet wurden, verhafteten Sicherheitsleute im Gazastreifen Anhänger der gegnerischen Fatah, obschon die Bewegung jegliche Mitschuld an dem Bombenattentat abstritt. Am Wochenende kam es bei schweren Gefechten der rivalisierenden Fraktionen zu neun Toten und zahlreichen Verletzten.
Im Zentrum der Auseinandersetzungen standen Achmed Khiles und Mitglieder seiner Großfamilie. Khiles ist führender Aktivist der Fatah und unterhielt bis zum Wochenende gute Kontakte zur Hamas-Führung. Er gehörte zu den wenigen Fatah-Aktivisten, die ihre Waffen nach der Machtübernahme der Hamas vor einem Jahr behalten durften.
Die Familie Khilles steht seit einem Jahr im Zentrum der Konflikte zwischen Hamas und Fatah im Gazastreifen. Ihr Machtbereich im Sadschaija-Viertel in der Stadt Gaza galt als letzter Stützpunkt der Fatah nach der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas im Juni 2007. Unter neun Toten bei heftigen Kämpfen mit der Hamas-Polizeimiliz am Samstag waren vier Mitglieder der Khilles-Familie. Ein Großteil der 180 Fatah-Flüchtlinge waren Clanmitglieder.
Wie in vielen anderen arabischen Gesellschaften haben die Familienclans im Gazastreifen traditionell einen großen Einfluss auf das soziale und politische Gefüge. Gemeinsam bilden die Clan-Oberhäupter einen einflussreichen Rat.
Während der Herrschaft der Autonomiebehörde unter Jassir Arafat waren die meisten Clans loyal gegenüber seiner Fatah-Bewegung. Nach der Machtübernahme der Hamas gerieten sie in die Opposition. Bei den neuen Kämpfen am Wochenende wurde Ahmed Khilles - ranghoher Fatah-Repräsentant und eines der führenden Mitglieder seines Clans - schwer verletzt, er konnte nach Israel fliehen.
Die stundenlangen Gefechte, die sich Mitglieder des Khiles-Clans mit den Sicherheitsleuten der Hamas am Wochenende lieferten, wurden durch den Verdacht ausgelöst, Khiles habe die wegen des Strandattentats Verdächtige bei sich versteckt. Der Versuch, seinen Parteigenossen Mohammed Dahlan, ehemals Chef der Präventiven Sicherheit im Gazastreifen, für die Kämpfe verantwortlich zu machen, nutzte ihm nichts.
Über 150 Fatah-Leute, viele davon Angehörige der Khiles-Familie, flohen mithilfe israelischer Grenzposten nach Israel, wo sie zwar zunächst sicher waren, dann aber, nur mit Unterwäsche bekleidet und mit verbundenen Augen, stundenlang ausharren mussten.
Offenbar nach Absprache mit der Palästinensischen Autonomiebehörde schickte Israel am Sonntag die meisten der unverletzten Flüchtlinge wieder zurück in den Gazastreifen. Berichten der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa zufolge habe Abbas in einem Telefonat mit Achmed Khiles der Familie gegenüber wenigstens "seine Solidarität zum Ausdruck gebracht".
Niemand habe die Schießereien gewollt, erklärte Ribhi Rantisi, Neffe des früheren Hamas-Chefs im Gazastreifen, gegenüber dem Sender Stimme Israels. "Es ging lediglich um Verhaftung von Verdächtigen im Zusammenhang mit dem Strandattentat. Die Leute waren vorgeladen worden und zu den Verhören nicht erschienen." Nach Ansicht des jungen Hamas-Aktivisten werde das friedliche Zusammenleben der Palästinenser im Gazastreifen "von wenigen Leuten" untergraben, "die mal hier, mal dort eine Bombe legen".
Im Westjordanland hatten umgekehrt Sicherheitskräfte der Fatah in den vergangenen Tagen fast 200 Islamisten vorübergehend verhaftet, darunter Mohammed Ghazal, Universitätsprofessor aus Nablus. Ghazal fiel im Anschluss an seine zweitägige Haft unmittelbar nach seiner Entlassung in die Hände maskierter Anhänger der Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden. Die Kämpfer drohen Ghazal umzubringen, wenn die Hamas die Verfolgungsjagd in Gaza fortsetzt.
Sollte die PA den Gazastreifen tatsächlich zum "feindlichen Gebilde" machen, würde sie damit dem Vorbild der israelischen Regierung folgen. Vorläufig zahlt die Führung in Ramallah noch die Gehälter ihrer im Gazastreifen lebenden Mitarbeiter, trägt Strom- und Wasserkosten und finanziert Teile des Gesundheitssystems.
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