Haftstrafe gegen Londoner Aktivisten: Im Neoprenanzug gegen die Elite
Das Wettrudern zwischen Oxford und Cambridge ist ein Event der Oberklasse. Ein Aktivist stieg aus Protest in die Themse. Dafür muss er nun in den Knast.
LONDON taz | Rudern – eine sportliche Machtdemonstration der Oberklasse? Nach Ansicht von Trenton Oldfield zumindest dann, wenn die Boote der Uni-Teams von Oxford und Cambridge sich ihr alljährliches Rennen auf der Londoner Themse liefern.
Der gebürtige Australier wählte deshalb Anfang April das Fahrwasser der beiden Achter als Bühne für seinen Protest gegen den herrschenden Elitismus in der britischen Gesellschaft. Eine Aktion, wegen der er nun zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt worden ist.
Richterin Anne Malyneux begründete das Urteil damit, dass Oldfield vorsätzlich und unverhältnismäßig gehandelt habe, als er sich in einen Neoprenanzug zwängte und als erster Schwimmer in der 158-jährigen Geschichte der Regatta für eine Unterbrechung des Wettbewerbs sorgte. Mit seiner Aktion seien tausende Schaulustige am Flussufer und noch mehr Zuschauer vor den Bildschirmen um ihr Vergnügen gebracht worden.
Oldfield habe nicht nur sich selbst, sondern auch die Ruderer und Helfer in den nachfolgenden Booten gefährdet. Im Duktus mütterlicher Strenge kritisierte die Richterin, dass der 36-Jährige während des Prozesses keinerlei Zeichen der Reue gezeigt habe, für eine Tat, die Vorurteilen gegenüber Mitgliedern einer bestimmten Bevölkerungsgruppe entspringe. Oldfield musste mit einer Gefängnisstrafe rechnen, da ihn eine Geschworenenjury Ende September wegen Störung der öffentlichen Ruhe für schuldig befunden hatte.
Im Gerichtssaal kurz eingeschlafen
Vergeblich hatte die Verteidigung darauf hingewiesen, dass das Bootsrennen nach 25 Minuten Pause wieder aufgenommen wurde. Cambridge gewann, und die BBC konnte ihre Übertragung in der vorgesehenen Zeit beenden. Auch dass die Aktion Oldfields für viele Fernsehzuschauer den Unterhaltungswert des Wettkampfs eher erhöht haben mag, wollten die Geschworenen bei ihrem Schuldspruch nicht gelten lassen. Obwohl einige von ihnen während der Filmvorführung des Rennverlaufs nach Neustart im Gerichtssaal kurz weggenickt waren.
Ursprünglich ermittelte die Polizei nach Oldfields Wasserpartie wegen ordnungswidrigen Verhaltens. Ein solches kann maximal eine saftige Geldbuße nach sich ziehen. Aus Parlamentsberichten geht hervor, dass Regierungsmitglieder die Sicherheitsbehörden drängten, Oldfields Protest als schwereres Vergehen einzustufen. Der jahrhundertealte „Public Nuisance Act“, auf den sich die Anklage in der Folge stützte, ist bisher sonst eher bei der Verfolgung von Veranstaltern illegaler Raves oder von Verursachern falschen Alarms bei Notrufdiensten angewendet worden.
Vier Jahre Haft hatte der Staatsanwalt für Trenton Oldfield gefordert. Und obgleich der Isleworth Crown Court mit seinem Strafmaß deutlich darunter geblieben ist, kann das Urteil als außergewöhnlich scharfe Reaktion auf politischen Protest gelten.
Massiver Druck seitens der bürgerlichen Presse war ein Grund, Oldfield den Sprung ins kalte Wasser nicht einfach so durchgehen zu lassen. Einig in ihrer Verurteilung des Umgangs der russischen Behörden mit dem Anti-Putin-Auftritt der Pussy Riots in der Moskauer Kathedrale, zeigten die konservativen Blätter keine Scheu, das Bootsrennen zur sakralen Zeremonie britischen Sportsgeists zu stilisieren und Oldfields Tat als Form von Blasphemie hinzustellen.
Den Australier porträtierten sie zudem als vom Glauben Abgekommenen, dichteten ihm eine Herkunft aus reichem Hause, einen Privatschulabschluss und Immobilienbesitz an. Tatsächlich stammt der Stadtforscher und Betreiber eines kleinen Verlags aus einer Mittelklassefamilie in Sydney und wohnt mit seiner Frau in einer Ostlondoner Mietwohnung.
In der Hauptsache war der Regierung aber daran gelegen, das vom IOC auferlegte Verbot jeglicher politischen Meinungsäußerung auf dem Gelände der damals bevorstehenden Olympischen Spiele durchzusetzen. Die Befürchtung herrschte, Aktionen von Einzelnen nur schwer verhindern zu können. Mit der erhöhten Strafandrohung gegen Oldfield wollte man ein Exempel statuieren.
Um dem Australier, der nach einem ersten Gerichtstermin im Mai gegen Kaution auf freien Fuß kam, selbst die Chance auf eine rasche Wiederholung seiner Tat vor großer Öffentlichkeit zu nehmen, erstellten die Richter eine eindrucksvolle Liste von Orten, für die er zeitweiliges Platzverbot erhielt. Das galt für die Feierlichkeiten des 60. Thronjubiläums der Queen ebenso wie für den Kurs des olympischen Fackellaufs durch ganz Großbritannien. Und natürlich für sämtliche Wettkampfstätten der Olympischen und Paralympischen Spiele.
Potpourri an Begründungen
Oldfields Potpourri an Begründungen für seine Aktion – er wollte mit ihr auch den vorolympischen Sicherheitswahn kritisieren – hatte ihm allerdings auch Kritik von links beschert: zu diffus, Ziel verfehlt. Ihm wurde vorgeworfen, dass seinem Handeln selbst etwas Hochmütiges, Elitäres anhaften würde.
In ihrer Bewertung des Richterspruchs stehen Linke und Liberale aber auf der Seite des Verurteilten. Mit dem Schuldspruch solle künftiger ziviler Ungehorsam verunmöglicht werden, befand eine Kommentatorin im Guardian. Oldfield könne sich nun mit seiner Aktion bestätigt sehen, richtete sich diese ja auch gegen die Kriminalisierung jeder Art von Dissens vor dem Hintergrund einer zunehmenden sozialen Spaltung der Gesellschaft.
Flitzer, die für Spielunterbrechungen beim Fußball oder Cricket sorgen, kommen im Vereinigten Königreich in der Regel mit Geldbußen davon. Mit seiner mangelnden Generosität gegenüber Oldfield dagegen, lange nach Ende der Olympischen Spiele, nährt das Gericht den Verdacht, dass der Australier seine symbolische Attacke auf die britische Elite am Ende doch an richtiger Stelle ritt – mit der Folge, dass die Ruling Class ihre Krallen gegen ihn ausfuhr. Schließlich belegt eine Studie von 2009, dass 78 Prozent der britischen Richter Oxford oder Cambridge durchlaufen haben.
Stellvertretend für die Mitglieder der beiden Ruderteams äußerte sich der Veranstalter des Bootsrennens zufrieden über die Haftstrafe für den Störer und bedankte sich auf seiner Webseite für die erfolgreiche Arbeit der Justiz.
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