Haftstrafe für Neonazi: Bis hierher und nicht weiter
Die Gefängnisstrafe für Julian M. ist ein wichtiges Signal in die ideologisch wenig gefestigte Szene. Womöglich hilft sie gegen deren Radikalisierung.
O rdentlich gescheitelt und im schwarzen Hemd, Typ SS könnte man sagen. Oder, wie es die Süddeutsche Zeitung formulierte, „Typ Schwiegermutters Liebling“: So saß der Neonazi Julian M. vier Verhandlungstage lang vor dem Berliner Landgericht, ehe er am Mittwoch zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde. Innerhalb weniger Wochen im Herbst hatte M. drei Menschen attackiert und seine damalige Freundin bedroht.
M. ist damit der erste aus einer neuen Generation junger Neonazis, die seit vergangenem Jahr in immer neuen Gruppen – wie „Deutsche Jugend Voran“, „Jung und Stark“, „Deutscher Störtrupp“ „Elblandrevolte“ oder „Letzte Verteidigungswelle“ – in Erscheinung treten, der zu einer empfindlichen Haftstrafe verurteilt wurde. An die Szene ist das ein Zeichen, dass ihre ungebremste Turbo-Radikalisierung durchaus auch Folgen haben kann.
Die Berliner Ermittlungsbehörden haben in diesem Fall ihren Job gemacht. Schon beim ersten öffentlichen Auftritt der jungen Neonazis in Berlin am Rande des CSD im vergangenen Sommer, wurden diese von Polizist:innen festgesetzt. Nach einem Überfall auf Antifaschist:innen am Ostkreuz im Juli folgte eine Razzia gegen Mitglieder der „Nationalrevolutionären Jugend“, Unterorganisation des Dritten Wegs, im Oktober nach dem Überfall auf einen Antifaschisten dann eine Durchsuchung bei M. und seinen Kameraden der „Deutschen Jugend Voran“, kurz DJV.
M. saß seitdem in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft legte Beweise wegen gleich vier Straftaten vor. Ihre Erkenntnisse über die Gruppe gingen dabei auch auf Antifa-Recherchen zurück, wie eine Polizistin vor Gericht erklärte. Sechs Monate später steht das Urteil gegen M. Die Alltime-Forderung, die Strafe müsse auf dem Fuße folgen – hier wurde sie eingelöst. Angesichts der Bedrohungslage, die von den „aktionsorientierten“ Neonazis ausgeht, ist das wichtig.
Nicht ideologisch gefestigt
Gleichzeitig zeigte die Verhandlung: Die Jung-Nazis bewegen sich tatsächlich irgendwo zwischen SS und Schwiegermutterliebling. Zum einen waren da die Kameraden im Publikum, ungeniert in Szene-Kleidung oder auch mal einer Tätowierung, die auf eine SS-Sondereinheit verweist, und denen sich M. immer wieder lächelnd und winkend zuwandte. In dieses Bild gehört auch ein Angriff auf ein Kamerateam von Spiegel Online, samt „Lügenpresse“-Beschimpfung nach der Urteilsverkündung.
Zum anderen zeigte sich M. von Beginn an kooperativ, gestand die Taten, entschuldigte sich bei den Opfern. Für einen ideologisch überzeugten Neonazi, der immer auch Staatsfeind ist, ist das mehr als ungewöhnlich. Und dass seine Kameraden ihm das offensichtlich nicht übel nahmen, ist es umso mehr. Warum er bei DJV bleiben wolle, begründete M. zunächst damit, dass dies sein soziales Umfeld sei. Seine politische Haltung sei „klar“, so M. Gleichzeitig versuchte er sich in einer Unterscheidung zwischen rechtsextrem, rechts und patriotisch.
Man mag das für Augenwischerei halten, für bewusste Selbstverharmlosung, aber es zeigt eben auch: So radikal und gewaltbereit die jungen Gruppen sind, ideologisch gefestigt sind sie nicht. Alkoholkonsum und Gruppendynamiken, Demo-Action und Provokation sind wichtiger als ein Beschäftigen mit Geschichte und Theorie. Wer die 14- bis 24-Jährigen fragt, was sie wollen und wieso, wird kaum Antworten erhalten.
Für den Umgang mit dieser Klientel folgt daraus: Zumindest einige von ihnen könnten noch zurückgeholt werden. Hier sind Schulen gefragt, Sozialarbeiter:innen, aber eben auch ein Staat, der sehr deutlich seine Grenzen setzt. Das Urteil gegen Julian M. ist zumindest ein Hoffnungsschimmer.
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