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Haft für deutschen IslamistenDer reuige Gotteskrieger

Der Syrienrückkehrer Harun P. wird zu elf Jahren Haft verurteilt. Er gibt sich geläutert – und will nun vor dem „Abschaum“ warnen.

Die Richter aber würdigten Harun P.s Aussagen im Prozess. Hier ein Foto des Prozressauftakts im Januar. Foto: dpa

München taz | Harun P. hat den Bart wieder akkurat gestutzt, trägt eine gegelte Kurzhaarfrisur. Ungerührt schaut er auf Richter Manfred Dauster. Der hat gerade elf Jahre Haft für den 27-Jährigen vor dem Münchner Oberlandesgericht verkündet. Dschihad, sagt Dauster, heiße erst mal nur, „ein gottgefälliges Leben führen, mehr nicht“. „Haben wir uns verstanden?“ Harun P. nickt. „Ja.“

Es ist das Ende eines bemerkenswerten Prozesses. Denn Harun P. hatte bis vor Kurzem ein anderes Verständnis von Dschihad. Er kämpfte mit Islamisten in Syrien – und kassierte dafür am Mittwoch das bisher härteste Urteil über einen Rückkehrer. Aber: Anders als andere angeklagte Ausgereiste hatte Harun P. zuletzt umfassend ausgesagt – und sich deutlich vom Islamismus losgesagt.

Der Richter ist überzeugt: Harun P. war im Herbst 2013 über die Türkei nach Syrien ausgereist, schloss sich dort der tschetschenisch dominierten Dschihad-Gruppe Junud Al-Sham, Soldaten Syriens, an und wurde in einem Terrorcamp ausgebildet. Nach Wachdiensten soll P. dann im Februar 2014 mit 1.600 Kämpfern an der Erstürmung des Gefängnisses Aleppo beteiligt gewesen sein. Zwei Soldaten und fünf Häftlinge wurden dabei getötet, 300 Gefangene kamen frei.

Harun P. will sich bei den Angriff nur in den hinteren Reihen befunden und „zu Tode gelangweilt“ haben. Auch die Richter sahen keinen Beweis, dass P. selbst tötete. Sie werteten seine Beteiligung am Angriff aber als Beihilfe zum versuchten Mord an den 400 Gefängnissoldaten. Zudem hatte P. gestanden, bei einem Wachdienst eine Mörsergranate in Richtung von Assad-Anhängern abgefeuert zu haben. Auch das wertet Dauster als versuchten Mord.

In der Szene gilt er als Verräter

Der nannte den Syrien-Aufenthalt von Harun P. die „größte Eselei Ihres Lebens“. Das Urteil sei auch ein Signal, dass solche Ausreisen „kein Ausflug ins Landschulheim“ seien.

Die Anklage hätte auch eine lebenslängliche Haftstrafe hergegeben. Die Richter aber würdigten Harun P.s Aussagen im Prozess. Der 27-Jährige hatte die Namen von Schleusern und Mitkämpfern genannt und auch in zwei Islamistenprozessen gegen die Angeklagten ausgesagt. P. gab sich geläutert: Es sei eine „Sekte“, die in Syrien kämpfe, „Abschaum“. Der Dschihad sei eine „dreckige Ideologie“.

In der Szene gilt er nun als Verräter, wurde in der Haft bespuckt. Richter Dauster spricht von einer „Aufklärungshilfe, wie wir es bisher von einem Angeklagten noch nicht erlebt haben“.

Die Schilderungen seiner Syrien-Zeit gerieten bisweilen profan. Dauster sprach von einem „radikalisierten Abenteurertum“. Ausgebildet wurde der Münchner mit anderen Landsleuten in einem „Deutschen Haus“ in einem syrischen Bergdorf – mit Joggen und Kalaschnikow-Putzen. Zwischendrin aber vor allem: warten und rumsitzen. Dennoch rechnete Harun P. erst nicht mit seiner Rückkehr: Auf dem Handy nahm er sein Testament auf. „Mama, sei nicht traurig.“ Auf solche abgefangenen Handy- und E-Mail-Iinhalte stützt sich nun das Urteil.

Depressionen und Drogen

Harun P.s Radikalisierung verlief beinah stereotyp. Er ist in München geboren, Sohn einer afghanischen Familie, die seit Langem nicht in Deutschland lebt, der Vater religiös und streng. Schon in der Jugend plagen P. Depressionen, er ritzt seine Arme. Nach dem Hauptschulabschluss der endgültige Bruch: P. scheitert in drei Ausbildungen, nimmt Drogen, seine Tochter stirbt bei der Geburt, die Beziehung mit einer Deutschtürkin geht in die Brüche.

Richter Dauster gesteht dem Verurteilten zu, dass er in seinem Leben nicht die Hilfe bekam, „die Sie brauchten“. P. sagte im Prozess, es habe viel Wut in seinem Leben gegeben. Dann sei er im Internet auf salafistische Videos gestoßen, habe eine Demonstration in Bonn besucht, sich von den radikalen Muslimen „wertgeschätzt“ gefühlt. Diese berichten immer wieder über Gräueltaten des Assad-Regimes – Harun P. reist aus, angeblich weil er helfen will.

In Syrien nennt er die Zeit erst „faszinierend“, dann beginnt er zu zweifeln. „Das ist mir alles zu viel.“ Im April 2014 kehrt P. nach Europa zurück, wird in Prag festgenommen.

Nun also wieder ein Bruch: die jahrelange Hafstrafe – und Reue. Er wolle künftig vor dem Islamismus warnen, sagte Harun P. vor Gericht. Richter Dauster würdigt auch das: Er könne, nach einer gewissen Haftzeit, die Chance dazu erhalten, „junge Leute abzubringen vom Verderben“.

Die hohe Haftstrafe für Harun P. ist indes auch ein deutliches Zeichen für andere ausgewanderte Islamisten. Gut 700 Deutsche sind laut Sicherheitsbehörden bisher nach Syrien ausgereist, ein Drittel ist wieder zurück. Die Bundesanwaltschaft fertigt derzeit Anklagen fast im Wochentakt.

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13 Kommentare

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  • Währenddessen gerät aus dem Blick dass das Assad-Regime um an der Macht zu bleiben die Häsuer bombardiert und einen Massenmord organisiert.

    Die Bundesregierung unternimmt nichts dagegen, sondern pflegt über den BND Kontakte dorthin.

     

    Syrien ist ein Paradigma: es identifizieren sich gerade solche mit dem Kampf der "Gerechten und Opfer", die selbst ihre eigene Reinigung vom deliktreichen oder "sündigen" Leben vollziehen wollen.

     

    Und wen interessiert das Existenzrecht noch?

  • Kein Mensch weiss, ob dieser Mann getötet, geraubt, vergewaltigt, zerstört, entführt, geschlagen und gefoltert hat. So sehr eine Aussagebereitschaft wertzuschätzen ist, wir können in Syrien für solche Menschen gar nichts ausschließen. Viele Jihadis sterben auch dort und können gar nicht aussagen, weder als Entlastung noch als Anschuldigung. Tatsache ist doch nur, dass Jihadisten stetig das ganze Spektrum des Strafgesetzbuch verletzen und behaupten dies geschehe im Namen Gottes, sei eine Pflicht des echten Islams. Ich hätte mir Lebenslänglich für diesen Menschen gewünscht. Außerdem ist bei dieser Szene auch von anfang an alles klar: Es gibt da gar keine Zweifel, was passieren wird und es gibt so gut wie keine Reports, dass innerhalb der Jihad-Szene Leute revoltieren. Einige hauen ab, gehen wieder weg, einige gehen zwar, behalten aber ihre Meinung bei.

  • Ich wette, dieser Richter ist am Abend nach seinem Urteil mit dem guten Gefühl ins Bett gegangen, er allein hätte für den Frieden in Syrien an diesem Tag mehr getan als alle Politiker der letzten 2 Jahre zusammen. Für so ein Gefühl kann man einen 27-Jährigen, dessen Leben ohnehin nur aus Pleiten, Pech und Katastrophen bestanden hat, und der kaum je von irgend jemandem Hilfe zu erwarten hatte, schon mal elf lange Jahre ins Gefängnis sperren lassen. Auch, wenn er Reue zeigt. Ist schließlich nicht der eigne Sohn. (Als Vater wär' dem Richter so ein Junge sicher nie passiert. Da wär' schon seine Frau davor gewesen.)

     

    Ob Harun P., wenn er mit 38 wieder frei sein wird, besser klar kommen kann in unsrer besten aller Republiken, als vor dem Anschluss an die "Brüder" vom IS braucht Manfred Dauster nicht zu interessieren. Sein Job ist, Leute zu bestrafen. Für Resozialisierungen sind wieder andre Leute zuständig. Doch, he!, "die Anklage hätte auch eine lebenslängliche Haftstrafe hergegeben". Da ist er wohl noch einmal ganz gut weggekommen, der selbsternannte Gotteskrieger. Der Richter aber auch. Harun P. hätte ja schließlich auch an einem Bauchschuss sterben können da in Syrien in diesem unseligen Krieg, in dem so viele Leute unbedingt jemandem "helfen" wollen. Wer hätte dann dem Herren Richter sein gutes Gefühl verschafft?

     

    Übrigens: Dass "die hohe Haftstrafe für Harun P. […] indes auch ein deutliches Zeichen für andere ausgewanderte Islamisten [ist]", glaube ich auch. Die restlichen zwei drittel jener 700 Deutsche, die "laut Sicherheitsbehörden bisher nach Syrien ausgereist" sind, werden sich wohl überlegen, ob sie jemals zurück kommen in dieses Land, das zwar von Strafen was versteht, aber kaum etwas vom Vorbeugen. Wobei – dass sie auch vorbeugen kann, hat Angela Merkel grade demonstriert, hört man. Hat eigentlich Richter Dauster nach dem Urteil erklärt, er hätte das Bedürfnis, Harun P. zu streicheln?

    • @mowgli:

      Resozialisierung ist nicht der einzige Aspekt. Es gibt auch so etwas wie Sühne, Wiederherstellung des Rechtsfriedens auch für die Opfer.

    • @mowgli:

      Vielen Dank für die ausführliche und tiefgehende Psychoanalyse des Richters, hochkompetent, sachlich, ideologiefrei, allwissend.

      • @Stechpalme:

        Bitte, gern geschehen. War mir ein Vergnügen. Gelernt ist halt gelernt. Fragen Sie mich doch bei Gelegenheit mal danach, wie ich zu meinen einschlägigen Kompetenzen gekommen bin.

  • Ich glaube zum Teil sind wir "Ur-Deutschen" auch mitverantwortlich, wenn junge Menschen ihre Zukunft wegwerfen und sich Extremisten anschließen. Türkisch- und arabischstämmige Menschen können hier geboren sein und deutsch besser beherrschen als so mancher "Wutbürger", sie werden doch oft schief angeschaut und eher mit Vorurteilen wahrgenommen. Es wird ja immer so gern vor Parallelgesellschaften gewarnt, die sich besonder in Großstadtviertel mit überwiegend türkisch- oder arabischstämmigen Bevölkerung bilden. Und warum ist das wohl so?

     

    Wenn ich mich in einer Gesellschaft akzeptiert fühlen würde und weiß, dass diese Gesellschaft auch meine Lebensweisen und Traditionen würdigt, dann hätte ich sicher keinen Grund gegen diese Gesellschaft zu agieren.

     

    Warum fallen denn besonders muslimische Jugendliche diesen extremistischen Rattenfängern zum Opfer? Wie der Artikel das schon beschreibt, bekommen diese Jugendlichen eben die Wertschätzung und Aufmerksamkeit, die sie sonst schmerzlich vermissen. Ich denke nur ein geringer Teil der Dschihadisten handelt wirklich aus rein religiösen Gründen.

    • @Jan Berger:

      "Wir sind schuld" -ich habe das in der Vergangenheit einmal zu oft gehört, um bei sowas nicht das Ko.... zu kriegen.

      Sie, Jan Berger, können sich die Frage stellen, warum man in allen, auch sehr liberalen, westlichen Ländern dieses Problem hat.

    • @Jan Berger:

      An der These habe ich Zweifel. Ich gehe eher davon aus, dass die meisten Islamisten hier im Berufsleben und im Liebesleben gescheitert sind und eine verminderte Intelligenz bei einer Neigung zur Brutalität haben.

      • @Celsus:

        Aaaalso... Das mit der "verminderten Intelligenz" und mit der "Neigung zur Brutalität" - ich wäre da womöglich etwas vorsichtiger, wenn ich Sie wäre sehr geehreR CELSUS. Bevor noch jemand glaubt, Sie wüssten nur zu gut, wovon sie schreiben.

         

        Ganz schön brutal, was ich da lesen muss von Ihnen. Und nicht besonders helle, will mir scheinen. Nur, dass Sie nicht mit dem IS sondern gegen den IS kämpfen möchten, und zwar von Ihrem Sessel aus und nicht vor Ort. (Was ich im Übrige natürlich sehr begrüße.) Dabei hat Ihnen ganz persönlich der IS doch auch nicht mehr getan als DER Westen oder DIE BRD dem Harun P. getan hat.

         

        Wobei - wenn ich so drüber nachdenke, dann ist dessen Wut vielleicht doch noch ein klein wenig verständlicher als Ihre. Aber sicher bloß deswegen, weil ich Ihre Geschichte bisher nicht gelesen hab in meiner Lieblingszeitung taz.

    • @Jan Berger:

      Es ist eine Sache sich in der Gesellschaft nicht wohl zu fühlen. Es ist eine andere Sache sich einem verbrecherischen Faschismus anzuschließen.

       

      Ich würde mich auch nicht in jeder Gesellschaft dieses Planeten wohl fühlen. Trotzdem schneide ich nicht jemanden dem Kopf ab.

      • @S. aus F.:

        Tja, alles nur eine Frage der Perspektive. Womöglich hat diesem Jungen ja nie jemand erklärt, woran man einen „"verbrecherischen Faschismus" erkennt, wenn man den Nachrichten nicht glauben will, die ihn für jedermann bebildern und benennen. Er hat wohl einfach geglaubt, die Leute vom IS wären echte Helden. Solche wie Rambo oder Chris Taylor aus Platoon.

         

        Und dass Sie sich nicht mit Leuten zusammen tun würden, die anderen den Kopf abschneiden (es selbst zu tun ist noch einmal was völlig anders, scheint mir), ist auch nicht unbedingt nur Ihr persönliches Verdienst, scheint mir. Sie haben höchstwahrscheinlich großes Glück gehabt bisher. Und Leute, die Ihnen geholfen haben, wenn wieder mal alles zu viel zu werden drohte. Ein klein wenig mehr Dankbarkeit wär sicher nicht verkehrt. Die schmälert Ihre Lebensleistung nicht.

        • @mowgli:

          Ihr Verständnis für den Mann teile ich nicht im geringstem. Bringen sie dieses Verständnis auch Anhängern der NPD entgegen? Deren Lebenslauf ließt sich auch nicht grade rosig.

           

          Sicherlich haben Menschen eine andere Wahrnehmung der Welt, wenn ihr Leben nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens verlief, und ich habe durchaus Verständnis für jemanden der ins Drogengeschäft einsteigt um sich und seine Familie zu ernähren, z.b. in den Gettos der USA oder auch bei der Mittelschicht, wegen fehlender Krankenversicherung.

           

          Dem Faschismus bei einer Gruppe jedoch nicht zu sehen, die anderen Menschen gerne die Köpfe abschneidet, Menschen auf bestialische weise Massakriert, nur weil sie einen anderen Glauben haben oder eine andere Version des eigenen Glaubens, ist nicht mehr durch einen unglücklichen Lebenslauf zu rechtfertigen.

           

          Es ist ja auch nicht so das der IS seine verbrechen Geheim halten würde.