Hacker über zivilen Ungehorsam: "Reisepässe in die Mikrowelle"
Der Protest gegen Sicherheitsgesetze muss radikaler werden, fordert Frank Rosengart vom Chaos Computer Club. Das Jahr 2008 werde in Sachen Datenschutz spannend.
taz: Herr Rosengart, die Polizei ist dabei, einen großen Kinderporno-Skandal aufzudecken. Und Hacker wie Sie treffen sich jetzt, um zu diskutieren, dass der Datenschutz gefährdet ist. Brauchen die Ermittler nicht mehr Rechte?
Frank Rosengart: Nein, im Gegenteil. Diese Kinderpornografie-Fälle sind alle ohne die Mittel aufgedeckt worden, die sich Innenminister Wolfgang Schäuble und das Bundeskriminalamt so sehr herbeisehnen. Keine Online-Durchsuchung, keine Vorratsdatenspeicherung - trotzdem können die Ermittler offensichtlich erfolgreich arbeiten.
Die Online-Durchsuchung ist unter dem Begriff Bundestrojaner heftig diskutiert worden. Wie effektiv ist er?
Als einzelne Software ist dieser Bundestrojaner wahrscheinlich eher wenig praktikabel. Wenn das Programm für jeden Fall neu geschrieben werden muss, ist das einfach zu aufwändig. Aber es steckt ja mehr dahinter. Es geht eben nicht um eine kleine Software. Sondern darum, ob Polizeibehörden sich unbemerkt an unseren Computern und Handys zu schaffen machen dürfen. Und ob es ihnen sogar erlaubt ist, heimlich in Wohnungen einzubrechen. Wenn so etwas erlaubt wird, legalisiert das die schwersten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Republik. Dabei zeigt gerade der aktuelle Fall von Kinderpornografie, dass die Ermittler solche Befugnisse gar nicht brauchen - sie sind nicht so hilflos, wie immer getan wird.
Trotz aller Proteste - auch von Hackern - hat der Bundestag beschlossen, dass im neuen Jahr alle Verbindungsdaten gespeichert werden. Warum hat die öffentliche Diskussion nichts bewirkt?
Darüber werden wir auf unserem Kongress natürlich reden müssen. Ich will gar nicht leugnen, dass wir etwas ratlos sind. Schließlich haben die Medien ausführlich über die Gefahren berichtet, die entstehen, wenn ab nächstem Jahr gespeichert wird, wer, wann mit wem per Telefon oder Internet Kontakt hatte. Passiert ist dennoch nicht viel. Wir wissen von einigen Politikern, die wider besseres Wissen für das Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung gestimmt haben. Ihnen war die Fraktionsdisziplin wichtiger als eine Gefährdung des Datenschutzes. Also hat weder das Lobbying im Bundestag noch der Protest auf der Straße bei den Verantwortlichen dazu geführt, ihre Entscheidungen zu überdenken.
Aber was folgt für Sie daraus?
Aus der Zeit der RAF wissen wir: Der bewaffnete Kampf bringt nichts (lacht). Aber im Ernst, vielleicht müssen wir versuchen, die Menschen mehr zu radikalisieren. Das heißt, ihnen mehr Mut zu zivilem Ungehorsam zu machen. So kann man den Chip, der auf den neuen Reisepässen die gespeicherten Fingerabdrücke enthält, zu Hause in der Mikrowelle zerstören. Möglicherweise sollten auch Organisationen wie der Chaos Computer Club und der AK Vorratsdatenspeicherung über radikalere Formen des Protestes nachdenken.
Wie hilfreich fanden Sie eigentlich Linke und Grüne in dieser Auseinandersetzung?
Leider war das, was beide Parteien auf diesem Feld geboten haben, eine große Enttäuschung. Natürlich gibt es Einzelpersonen, die sich immer wieder für Datenschutzthemen einsetzen. Aber insgesamt scheint es bei den Grünen eher so zu sein, dass sie eher damit beschäftigt sind, wieder Regierungspartei zu werden, als sich inhaltlich mit ihren Kernthemen zu beschäftigen. So haben die Grünen zwar eine lange Nacht der Bürgerrechte veranstaltet, allerdings erst nachdem die Vorratsdatenspeicherung schon verabschiedet war. Im Vorfeld war von ihnen kaum etwas zu hören. Ganz abgesehen davon, haben sie in der Zeit der rot-grünen Regierung Otto Schilys Verschärfungen der Sicherheitsgesetze mitgetragen.
War 2007 also ein schlechtes Jahr für den Datenschutz?
Insgesamt nein, weil wir die Öffentlichkeit aufgerüttelt haben. Niemand kann mehr sagen, er hätte keine Ahnung gehabt, was auf uns zukommt. Datenschutz ist wieder ein großes Thema.
Und wie wird 2008?
Spannend. Mit der Rekordklage gegen die Vorratsdatenspeicherung und der Verhandlung des Verfassungsgerichts über die Online-Durchsuchung haben wir zwei spannende große Prozesse zu erwarten. Auch darüber, ob die Polizei einfach die Kennzeichen vorbeifahrender Autos erfassen darf, wird Karlsruhe entscheiden. Und dann wird es in Großbritannien interessant, wo der Staat am laufenden Band hochsensible Datensätze verschlampt. Das wird auch in Deutschland zu einigen Diskussionen führen. Je mehr Daten man sammelt, desto mehr Pannen können nämlich auch passieren - auch hier.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ
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