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Haasenburg-Prozess gegen Erzieher„Das Opfer war ohne Anwalt“

Der Hamburger Fachanwalt Rudolf von Bracken kritisiert mangelnde Fürsorge der Staatsanwaltschaft gegenüber dem jugendlichen Opferzeugen.

Platz für einen Opferanwalt muss es immer geben: Der Gerichtssaal in Lübben vor der Verhandlung. Bild: dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Herr von Bracken, Sie vertreten selber als Anwalt zwei ehemalige Bewohner der Haasenburg. Wie bewerten Sie das erste Verfahren gegen einen Erzieher dieses Heims, das mit Freispruch endete?

Rudolf von Bracken: Das Manko an diesem Verfahren war die Ungleichheit. Der jugendliche Zeuge, das Opfer, war ohne Anwalt. Staatsanwaltschaft und Gericht hatten nicht darauf geachtet, dass er anwaltlich vertreten ist. Ich finde das nicht in Ordnung.

Eine Benachteiligung?

Es gibt die gesetzliche Vorgabe, dass das Opfer auch das Recht hat, Nebenkläger zu werden und einen Anwalt zu bekommen, schon um Einblick in die Ermittlungsakte zu bekommen. Das Opfer wurde hier nicht effektiv darauf hingewiesen. Die Ermittlungsbehörden müssen bei Vernehmungen darauf hinweisen, dass er das Recht auf so einen Anwalt hat und dass – wenn er nicht selber zahlen kann – der Staat dafür die Kosten übernimmt. Diese Opferrechte haben die Frauenbewegung und der Weiße Ring vor 20 Jahren durchgesetzt.

Die Aussage des Jungen S. galt im Gerichtssaal in Lübben als unglaubwürdig. Bei Gericht schilderte er die Vorgeschichte des Vorfalls etwas anders als bei der Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft im November 2013.

Für die Konstanz der Aussage ist das ein Manko. Aber dass es Abweichungen in Aussagen gibt, ist normal.

Der Junge sagte, er sei kurz ohne Bewusstsein gewesen. Und konnte nicht sicher sagen, ob alle drei Schläge davor kamen – oder nicht auch zwei danach. Auch das wurde vom Richter negativ gewertet.

Das ist eher glaubhaft. Wenn jemand bewusstlos ist, dann ist er ohne Erinnerung. Als Opferanwalt hätte man hier hätte auf die Korrektheit der Zeugenbefragung geachtet. Man hätte auf eine korrekte, suggestionsfreie, vorurteils- und vorwurfsfreie Vernehmung geachtet.

Bild: Privat
Im Interview: Rudolf von Bracken

60, ist in Hamburg tätig als Familienanwalt und Opferbeistand und übernimmt auch die Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen als Opfer in Strafverfahren.

Eine andere Zeugin, die gegen Haasenburg-Mitarbeiter aussagte, berichtet uns, sie dürfte ihr Aussage-Protokoll nicht bekommen. Es würde sonst helfen, Aussagen zu konstruieren.

Das ist Unsinn. Ein Opfer hat das Recht, seine Zeugenaussage zu bekommen. Ein Opferzeuge hat das Recht, sich auf seine Aussage vorzubereiten. Auch jeder Polizist, der als Zeuge in einem Prozess aussagt, bereitet sich vor. Das wird von ihm geradezu erwartet. Auch dafür braucht es den Opferanwalt, der Akteneinsicht bekommt. Der Opferanwalt bekommt die Aussagen, sobald die Ermittlungen der Polizei beendet sind. Er hat Gelegenheit zur Stellungnahme, noch bevor die Staatsanwaltschaft entscheidet, ob sie Anklage erhebt. Er kann eine Prozesseröffnung auch verhindern. Es gibt Situationen, wo ich als Anwalt von Missbrauchsopfern überlege, ob die Mandanten in der Lage sind, ein Verfahren durchzustehen.

Vor Gericht haben vier Erzieher gegen einen Jugendlichen ausgesagt. Die jungen Insassen der Hassenburg waren bei Anti-Aggressionsmaßnahmen in der Regel allein mit einer Überzahl Erzieher. Wie sollen sie da jemals etwas beweisen?

Sie selbst sind der Beweis. Ihre Aussage.

Wir hören von Jugendlichen, die finden keinen Anwalt.

Sie müssen ins Telefonbuch, ins Internet gucken oder bei der Anwaltskammer anrufen. Jede Anwaltskammer ist verpflichtet, auch einen Opferanwalt zu nennen. Es ist übrigens auch für den Jugendlichen S. nicht zu spät. Er kann jetzt noch beim Gericht sagen: Ich möchte Nebenkläger werden und lege Berufung ein. Das geht formlos, mit oder ohne Anwalt, persönlich oder schriftlich. Nur muss es innerhalb einer Woche nach dem Urteil sein.

Wie weit sind die Verfahren Ihrer Mandanten?

Ich habe noch keine Informationen. Aber sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind, bin ich im Verteiler.

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1 Kommentar

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  • Ich verstehe das Problem so nicht:

    Verantwortlich für die Entscheidung für den Aufenthaltsort eines Jugendlichen sind die Aufenthaltsbestimmungsberechtigten. Das sind VormünderInnen, die laut Gesetz überwiegend Privatleute aus dem Umfeld der Jugendlichen sein sollten, faktisch aber meist Amtsvormünder - also JugendamtsmitarbeiterInnen - sind. Diese können als Sorgeberechtigte meines Wissens auch nur eine anwaltliche Vertretung beauftragen.

    Würden sie einen Anwalt beauftragen, müsste dieser nicht nur gegen das Heim und deren MitarbeiterInnen, sondern auch gegen den/die VormünderIn vorgehen, und DESHALB haben die Jugendlichen keinen Anwalt.

     

    Die erste Forderung wäre also, dass MIT HEUTIGEM GESETZ VormünderInnen ausgewählt werden, die außerhalb der Verflechtungen und Interessenskollisionen innerhalb der Jugendämter stehen.

     

    Mein Tipp, wenn es Gewalt oder Erniedrigung usw. gab:

    Sobald die Jugendlichen 18 werden, sofort zum Anwalt und Klage einreichen. Die einzige Änderung nach den Jugendamtsskandalen der letzten Jahre war, dass die Verjährungsfrist für AmtsvormünderInnen von 30 auf 2 Jahre verkürzt wurde. Deshalb: Sofort am Tag des 18. Geburtstages klagen.

     

    Die Gegenmaßnahme der Jugendämter ist natürlich, dass "Jungerwachsene" bis zum 21. Lebensjahr weiterhin in heimähnlichen Verhältnissen betreut und beglückt werden, und damit die Verjährungsfrist abgesessen werden soll.

     

    Während der Minderjährigkeit gibt es meines Wissens die Möglichkeit, dass Jugendliche beim Familiengericht die Übertragung des Sorgerechtes auf "private" VormünderIn beantragen wegen Interessenskollision durch die anstehende Klage gegen den/die aktuelle VormünderIn.

     

    Besonders interessant ist natürlich dann noch die Klage wegen Amtspflichtsverletzung gegen den/die zuständige Richterin am Familiengericht, deren/dessen Aufgabe die Prüfung der kindeswohlgerechten Eignung der Einrichtung war...