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HSV vor Fußball-Bundesliga-AbstiegKühnes kaputtes Konstrukt

Der HSV steht vor dem Abstieg aus der Bundesliga, wieder einmal. Wie kam es dazu, dass der Klub zur Lachnummer geworden ist?

Die ominöse Papierkugel, die 2009 die Hamburger Krise einläutete Foto: dpa

Hamburg taz | Mai 2009. Es läuft die 83. Minute des Uefa-Cup-Halbfinales zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen. Der HSV liegt vor heimischer Kulisse mit 1:2 zurück, braucht unbedingt noch ein Tor, um das Finale zu erreichen. Verteidiger Michael Gravgaard will zu Torhüter Frank Rost zurückspielen. Doch der Ball rutscht über eine von Zuschauern aufs Spielfeld geworfene Papierkugel, springt Gravgaard ans Schienbein und von da ins Tor-Aus – Ecke für Bremen. Bis dahin gilt der HSV beim Verteidigen von Standardsituationen als besonders stark. Diesmal nicht. 1:3 – der HSV scheidet aus. Der Niedergang beginnt – ausgelöst von einer Papierkugel. Man kann das tragisch nennen.

Es ist nicht die einzige schmerzhafte Niederlage gegen den Rivalen von der Weser. Innerhalb von drei Wochen treffen die Rivalen gleich viermal aufeinander. Viermal müssen sich die Hamburger geschlagen geben. Bis dahin träumte man in Hamburg von der Champions League, sogar die Meisterschaft schien möglich. Vorbei: Der Abstand zum Meister VfL Wolfsburg beträgt am Ende der Spielzeit acht Punkte. Acht Punkte!

Wenn man nach Gründen sucht, warum der Hamburger SV, Gründungsmitglied der Bundesliga und noch niemals abgestiegen, in diesen Tagen schon wieder gegen den Niedergang kämpfen muss, dann sind die Wochen der Niederlagen vor neun Jahren der Schlüsselmoment. Was mit einer Papierkugel begann, könnte in den ersten Abstieg der Hamburger münden. Nach der Niederlage am Samstag in Frankfurt kann der Klub die Liga aus eigener Kraft nicht mehr halten. Wenn der VfL Wolfsburg, bislang Drittletzter, nicht gar so grauenhaft spielen würde in den letzten Wochen, niemand mehr in Hamburg würde sich für das Bundesligafinale interessieren. So gibt es noch Hoffnung. Ein bisschen. Vielleicht ist es doch noch nicht vorbei mit dem HSV. Vielleicht geht es weiter in der Relegation gegen den Dritten der zweiten Liga. Vielleicht müssen die HSV-Fans doch nicht trauern und sich fragen, wie alles anfing mit dem Absturz ihres einst so stolzen Klubs.

Was nach dem Wurf des Papierkügelchens vor neun Jahren geschieht: Der enttäuschende Verlauf der Saison und die verlorenen Derbys hinterlassen tiefe Spuren. In der Folge kommt es zum Bruch des Erfolgsduos an der Spitze: Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer hatten den Verein innerhalb weniger Jahre vom grauen Mittelfeld der Bundesliga in die Riege der 20 besten Klubs Europas geführt.

Die Geschichte vom ungleichen Spitzenduo

Hoffmann hatte 2003 den Posten des Vorstandsvorsitzenden beim HSV übernommen. Fortan feiert der Klub Jahr für Jahr Umsatzrekorde in dreistelliger Millionenhöhe. Hoffmann, der zuvor für Sportfive Übertragungsrechte für Sport­ereignisse vertickt hatte, ist nicht besonders groß, das Haar ist inzwischen leicht ergraut und nicht mehr so voll wie bei seinem Amtsantritt vor 15 Jahren. Dafür weiß er sich im Zusammenspiel mit der Öffentlichkeit rhetorisch klar und professionell zu positionieren, fängt aber auch schon mal an, unruhig zu zucken, wenn der Druck zu groß und die Fragen zu kritisch werden.

Seine Art, den HSV nach den Prinzipien des modernen Marketings zu führen, stößt bei den mächtigen Ultras und Fan-Organisationen von Beginn an auf Widerstand. Die Fans, die in den Kurven die Stimmung machen, die wirkmächtigen Choreograpfen organisieren, betrachten den Verein als ihren Besitz. Die meisten von ihnen verstehen sich als Fußballromantiker, reden von Treue und Freundschaft, wenn es um ihren Klub geht. Sie lehnen die Kommerzialisierung des Fußballs ab und fürchten den Einfluss fremder Geldgeber. Sie protestieren lautstark, als Hoffmann 2008 das Investorenmodell „Anstoß hoch drei“ präsentiert, das bei der Finanzierung neuer Spieler helfen soll.

Sieht man sich als europäischen Spitzenklub im Wartestand oder als kriselnden Verein, den es erst einmal zu konsolidieren gilt?

Diese Anhänger, die man getrost als HSV-Extremisten bezeichnen kann, wollen die sukzessive Aufgabe der Selbstbestimmung ihres Vereins verhindern. Im Verein sollen die Mitglieder das Sagen haben, ihre Stimme soll mehr wert sein als die Meinung eines Investors, auch wenn der noch so viel Geld anschleppt. Die Fans, allesamt Mitglieder des Vereins, organisieren sich, werden sportpolitisch aktiv. Auf den jährlich stattfindenden Mitgliederversammlungen geben sie plötzlich Wahlempfehlungen ab und entsenden Vertreter in den Aufsichtsrat, der Hoffmann im Zaum halten soll.

Auf diesen mitunter bis in die Morgenstunden dauernden Veranstaltungen ist viel Langmut gefordert. Die Redner sind meist Männer in Anzügen mit Runzeln im Gesicht, Falten und Altersflecken, die ihre Ausführungen nicht selten mit der Dauer ihrer Mitgliedschaft einleiten, als wäre sie ein Merkmal für Kompetenz und Weisheit. Doch nun gibt es auch Ultras in Kapuzenpullis, die leicht alkoholisiert ins Mikrofon grölen und Hoffmann als einen Feind betrachten, das ihren schönen Fußball kaputt machen will.

Der Mann, der geliebt werden will

Dietmar Beiersdorfer, der andere Teil des Führungsduos, wiederum genießt innerhalb der Fangemeinde Legendenstatus. Er ist als Sportdirektor für die Kaderzusammenstellung verantwortlich und alles andere als ein eiskalt kalkulierender Geschäftsmann. Dem ehemaligen Fußballer wird geglaubt, dass er am HSV hängt. Der heute 54-Jährige ist ruhiger als der manchmal hyperaktiv wirkende Hoffmann. Er spricht leise und langsam, manchmal wirkt das ein wenig hypnotisch. Beiersdorfer ist kein Alpha-Tier und ein Machtmensch schon gar nicht, sondern einer, der Gemeinschaft und Harmonie sucht und in dessen Nähe man sich wohl fühlen kann. Seine anfänglichen Erfolge bei der Verpflichtung neuer Spieler, darunter Rafael van der Vaart und Jérôme Boateng, sowie die regelmäßige Qualifikation für den Europapokal stimmen zunächst optimistisch. Als sich Beiersdorfer aber häufiger teure Fehlgriffe erlaubt, die Nachwuchsarbeit kritisch hinterfragt wird und bei der Auswahl von Trainern immer größere Differenzen entstehen, kommt es zum Bruch mit Vorstandschef Hoffmann. Das Führungsteam zerbricht.

„Der Hauptgrund für die Eskalation war, dass bei allen Beteiligten nach den Werder-Wochen die Nerven blank lagen: bei Trainer Martin Jol, bei Didi und bei mir“, sagte Hoffmann damals. Dass die erfolgreichste Saison seit 1983 hinter dem HSV lag, nahm keiner der beiden mehr wahr. Stattdessen diskutieren sie über Versäumnisse – und trennen sich im Streit. Sportchef Beiersdorfer hatte seinem Vorstandskollegen systematische Kompetenzüberschreitung vorgeworfen. Er stellt dem Aufsichtsrat die Vertrauensfrage und verliert den Machtkampf. Sein Vertrag wird aufgelöst, er muss gehen, Hoffmann aber darf bleiben.

Der Hamburger SV muss fortan ohne starken Sportchef auskommen. Wunschkandidaten sagen kurzfristig ab. Die Lösung für das Vakuum löst der Aufsichtsrat im Mai 2010, von Aktionismus gedrängt, mit einer eigentümlichen Entscheidung: Er bestellt den bisherigen Praktikanten der Presseabteilung Bastian Reinhardt, damals 35, einen mäßig begnadeten Verteidiger, zum neuen Sportvorstand. Die Fans lechzen nach einer Identifikationsfigur, Reinhardt wird nach sieben Jahren im HSV-Dress bei seinem letzten Kurzeinsatz von der Kurve gefeiert und eignet sich nach Auffassung der Kontrolleure als eine Art Übergangslösung. Eine, die es öfter gibt in Hamburg. Ehemalige sollen es richten. Männer mit HSV-Vergangenheit werden mit schwer nachvollziehbarer Regelmäßigkeit in für sie nicht geeignete Positionen gedrängt. Schon viele Cheftrainer sind dieser wackligen Konstellation zum Opfer gefallen. Sie alle wussten, dass der HSV wie eine Windmühle funktioniert, in der zuallererst sie zermahlen werden, wenn es stürmisch wird. Jedoch sind die Konditio­nen in Hamburg zu lukrativ, als dass man einen Einsatz einfach ablehnen könnte.

Diplom-Kaufmann Hoffmann bleibt der starke Mann beim im Klub. Er wirkt mit den vielen Baustellen und dem vereinspolitischen Druck zunehmend überfordert. Er bemüht sich darum, das Image eines Top-Klubs aufrechtzuerhalten. Dabei greift zu einem Mittel, das sich schon mehrfach bewährt hat, um die stets aufgeregte Öffentlichkeit zu beruhigen. Hoffmann verpflichtet mit Ruud van Nistelrooy einen Weltstar von Real Madrid. Der sorgt kurzfristig für Euphorie, entpuppt sich aber mittelfristig als Problemfall. Der HSV und sein Umfeld haben sich schleichend einer Systematik unterworfen, bei der es nicht primär darum geht, ob eine Maßnahme inhaltlich richtig ist, sondern wie sie sich mithilfe der Methoden von Public Relations verkaufen lässt.

Hoffmann muss gehen, aber es hilft nichts

Hoffmann gelingt es in den beiden Spielzeiten nach Beiersdorfers Ausscheiden aber nicht, die Unruhe im Verein einzudämmen. Mitte März 2011 wird er durch den FDP-Politiker Carl-Edgar Jarchow und den Marketing-Fachmann Joachim Hilke ersetzt, während der neue Sportvorstand für die kommende Saison bereits verpflichtet ist und von einem Transfervolumen von 20 Millionen Euro ausgeht. Doch Jarchow muss den Nachwuchsdirektor des FC Chelsea, Frank Arnesen, schnell enttäuschen. Die Finanzen des HSV sind zerrüttet, weil viele Einnahmen aus der Zukunft in die Gegenwart und etliche Ausgaben nach hinten verschoben worden sind.

So gibt es noch Hoffnung. Ein bisschen jedenfalls. Vielleicht ist es doch nicht ganz vorbei mit dem HSV

Der Däne muss Transfererlöse erzielen, statt in eine auseinanderfallende Mannschaft investieren zu können. Aus Kostengründen lässt der HSV gestandene Spieler wie Ze Roberto, Frank Rost oder Ruud van Nistelrooy gehen und ersetzt sie dank des Netzwerkes von Arnesen überwiegend mit jungen Talenten aus London. Ohne Geld eine konkurrenzfähige Mannschaft zu formen ist eine Aufgabe, an der man durchaus scheitern kann. Und die zwangsläufig in den ersten Abstiegskampf seit vielen Jahren führt. Arnesen wird für die Transferpolitik kritisiert, verliert schnell an Reputation. Im Sommer 2012 wird er regelrecht lächerlich gemacht. Klaus-Michael Kühne, der Speditionsmilliardär, der einen Teil seines Geldes in den HSV investiert hat, setzt öffentlichkeitswirksam die Verpflichtung von Rafael van der Vaart durch – obwohl sich Arnesen explizit gegen den Holländer ausgesprochen hat.

Um den inzwischen 29-jährigen van der Vaart in die Hansestadt zurückholen zu können, übernimmt sich der HSV finanziell und treibt seine Verschuldung weit in die Höhe. Der Aufsichtsrat steht der Einmischung Kühnes kritisch gegenüber, entscheidet sich aber nicht dagegen, um der Stimmung in der Stadt keinen Abbruch zu tun. Denn mit dem Niederländer ist Glamour in die Stadt gekommen. Fans und Medien reiten auf der Welle der Begeisterung, die Präsenz von Kamerateams und Fotografen ist bei öffentlichen Veranstaltungen und Trainingseinheiten so groß wie noch nie. Sie haben wieder eine schillernde Figur bekommen, einen Helden, der eine Verheißung auf bessere Zeiten darstellt und zumindest in der ersten Saison funktioniert.

Der HSV schließt die Saison 2012/2013 auf dem siebten Tabellenplatz ab und verpasst den Einzug ins europäische Geschäft nur knapp. Doch geblendet vom Blitzlichtgewitter übersehen fast alle Vereinsverantwortlichen, dass dieser van der Vaart seit seinem letzten Auftritt im Dress des HSV sieben Jahre älter geworden ist und häufig auch sieben Kilogramm schwerer wirkt. Es ist nicht der Sportler van der Vaart, der künftig die Schlagzeilen beherrscht – es ist der Ehemann van der Vaart, dessen Scheidung von der Moderatorin Sylvie vom Boulevard ausgeschlachtet wird und für mehr Aufregung sorgt als seine stetig nachlassende Leistung auf dem Spielfeld.

Noch ein Umbruch

Die Verantwortlichen des Klubs entscheiden sich nach der erfolgreichsten Saison seit Jahren für einen erneuten Umbruch. Der ohnehin stark angeschossene Sportchef Arnesen muss den Klub nach nur zwei Jahren verlassen. Die inoffizielle Begründung: Mit einem Gehalt von 1,8 Millionen Euro jährlich sei er zu teuer. Das befand übrigens derselbe Aufsichtsrat, der ihm diesen Vertrag 2011 angeboten hatte. Auf einer Mitgliederversammlung hagelt es an dieser Entscheidung Kritik. Es formiert sich daraufhin eine Initiative, die sich „HSVPlus“ nennt und die Profiabteilung in eine Aktiengesellschaft ausgliedern und vom Einfluss irrationaler Entscheidungen eines als „Rat der Ahnungslosen“ gebrandmarkten Gremiums befreien will. Einfache Fans, die sich bei Wahlen in einer fünfminütigen Rede das Sakko ausziehen und im Retro-Trikot um Stimmen für den Einzug ins oberste Kontrollgremium werben können, sollen den HSV nicht mehr mitregieren dürfen.

Während die Reformer mit der Unterstützung einiger Vereinslegenden wie Horst Hrubesch oder Thomas von Heesen außerhalb des Rasens große Aufmerksamkeit auf sich ziehen, muss sich auf dem Feld eine Mannschaft gegen den Abstieg wehren, die nicht nur von ständig wechselnden Trainern und Managern zusammengestellt wird, sondern darüber hinaus nie genau weiß, für welchen Weg ihr Arbeitgeber eigentlich stehen will. Sieht man sich als europäischen Spitzenklub im Wartestand oder als kriselnden Verein, den es erst einmal zu konsolidieren gilt? Der HSV schlittert Jahr für Jahr von einem Umbruch in den nächsten. Es ist vermessen, von jungen Fußballern volle Konzentration, Identifikation und Loyalität einzufordern, wenn der Verein diese Werte in keiner Weise vorlebt. Und deshalb ist es kein Wunder, dass Spieler ihr Potenzial nicht abrufen können und in Hamburg tendenziell schlechter als besser werden.

Nur: Wer soll all diese Dinge in Anbetracht einer Art außerparlamentarischen Regierung, die sich der finanziellen Hilfe des Geldgebers Kühne hingegeben hat, managen? Der überschuldete Klub hat sich dem reichen Gönner regelrecht ausgeliefert. Wichtige Entscheidungen werden nicht mehr in der Geschäftsstelle getroffen, sondern von Kühne. Der HSV führt fahrlässig und ohne Rücksicht auf den sportlichen Absturz eine erbitterte Debatte über die passende Rechtsform und geeignete Strukturen. Am Ende der Saison 2013/14 geht es irgendwie noch einmal gut. Die Hamburger bleiben in der Liga. Im Relegationsduell gegen Karlsruhe setzen sie sich dank der Auswärtstorregel durch. Knapper kann man die Klasse nicht halten. Danach kündigt der HSV wieder einmal einen Neuanfang an. Dieses Mal soll ab dem Sommer 2014 alles anders werden.

Der neue Heilsbringer ist ein alter Bekannter: Dietmar Beiersdorfer wird Vorstandsvorsitzender, obwohl er sich diese Rolle lange Zeit nicht zugetraut hat und eine Zusammenarbeit mit dem Marketingchef Joachim Hilke ablehnt, der intern wiederum als Intrigant gilt, aber über beste Beziehungen zu Investor Kühne verfügt.

Wer in dem Konstrukt HSV überleben will, muss sich fortan gut stellen mit dem Milliardär. Kühne soll Unterstützer sein und Aktien an der HSV Fußball AG erwerben, handelt aber mitten in der Transferphase den Unternehmenswert von 400 auf 250 Millionen herunter und gewährt der neuen Führung erst spät die versprochene Starthilfe. Die Liebe des heute 80-Jährigen zu seinem Herzensklub erfährt beim Thema Geld ihre natürliche Grenze und macht eine konstruktive Zusammenarbeit kompliziert.

Beiersdorfer versucht's noch einmal

Beiersdorfer versucht entgegen den Leitsätzen der Revoluzzer, die ein solides Wirtschaften und eine smarte Transferpolitik einfordern, die Mannschaft mit viel Geld, für HSV-Verhältnisse zu viel Geld, konkurrenzfähig zu machen und die Talfahrt zu stoppen. Ein Vorhaben, das aufgrund eklatanter Fehleinschätzungen in die nächste Relegation mündet und jegliche Versprechen ad absurdum führt. Beiersdorfer gilt als zu durchsetzungsschwach und nicht konsequent genug für die Position des Sportchefs, darf diese aber trotzdem zweieinhalb Jahre lang bekleiden, weil er vom Image des lieben, empathischen und authentischen Klubbosses lebt. Als nicht mehr zu übersehen ist, dass er überfordert ist, muss er dann doch gehen.

Als der erfahrene Heribert Bruchhagen schließlich im Winter 2017 das Erbe Beiersdorfers antritt, ist es für Korrekturversuche zu spät. Investor Kühne hat sich mit dem Spielerberater Volker Struth und dem ihm nahestehenden Trainer Markus Gisdol eine Allianz aufgebaut, mit der er die große Abhängigkeit des HSV zur Einflussnahme ausnutzen kann. Er kann Bedingungen diktieren und Bruchhagen erpressen, weil er weiß, dass seine Hilfe bei der Erteilung einer Lizenz durch die Deutsche Fußball-Liga gebraucht wird. Der HSV ist überschuldet und ist nur noch durch das Geld von Kühne am Leben gehalten. Stellt der die Zahlungen ein, ist der Klub pleite und die Liga könnte die Lizenz nicht mehr erteilen. Bruchhagen muss machtlos zusehen, wie Kühne, Struth und Gisdol einen Spielerkader zusammenstellen, der in der ablaufenden Saison beinahe ungebremst in Richtung Zweitklassigkeit abstürzt. Wieder einmal ist Rettung gefordert.

Für die muss ein alter Bekannter herhalten. Mit der Wahl Bernd Hoffmanns zum Präsidenten der Amateur- und Breitensportler im Februar 2018 und seinem Aufstieg zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats haben sich die Mitglieder zum zigsten Mal für eine Revolution und einen Neuanfang entschieden, nachdem der Verlauf der Saison wenig Hoffnung auf den Klassenerhalt macht. Bis Christian Titz als Trainer die Mannschaft übernimmt, ein Mann, der als Fußballtrainer kaum Erfahrung hat auf diesem Niveau. Immerhin ist er so mutig, den HSV so spielen zu lassen, dass man es als Fußball bezeichnen kann. Mit ihm hat der Klub zehn Punkte aus den letzten sechs Spielen geholt und den Abstand auf den Relegationsplatz verkürzt. Wenn es dem HSV gelingt, sich am letzten Spieltag mit einem Sieg gegen Mönchengladbach in die Relegation zu retten, dann ist das Titz zu verdanken. Gerettet ist der HSV dann allerdings noch lange nicht.

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2 Kommentare

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  • gute analyse. beinahe koennten einem die rautigen leid tun.

  • Zitat:

    "Innerhalb von drei Wochen treffen die Rivalen gleich viermal aufeinander. Viermal müssen sich die Hamburger geschlagen geben."

     

    Ist nicht ganz korrekt:

    Das Hinspiel im UEFA-Cup gewann der HSV auswärts 1:0. Nützte nach der 2:3-Heimpleite im Rückspiel aber nichts. Die Pokalpartie endete 1:1 n.V. (1:3 i.E.), sie wird daher in den Statistiken (etwa in der ewigen Pokaltabelle) als Remis gewertet.