HIV-Experte über Infektionsschutzgesetz: „Es gibt immer noch Vorurteile“
Holger Wicht von der Aidshilfe kritisiert geplante Änderungen beim Infektionsschutz. Diskriminierung von Menschen mit HIV werde dadurch erleichtert.
taz: Herr Wicht, am Donnerstag hat der Bundestag über Änderungen beim Infektionsschutzgesetz diskutiert. Nach Plänen der großen Koalition sollen unter anderem Corona-Testkapazitäten ausgebaut und die Gesundheitsämter besser ausgestattet werden. Dennoch sieht die Aidshilfe Teile der geplanten Regelungen kritisch. Warum?
Holger Wicht: Wir sehen vor allem den Teil kritisch, der Fragen nach Infektionskrankheiten im Arbeitsleben betrifft. Diese Passage könnte unbeabsichtigt zu Diskriminierung von HIV-positiven Menschen im Arbeitsleben führen. Derzeit und auch nach den geplanten Änderungen am Infektionsschutzgesetz ist es nicht zulässig, Beschäftigte oder BewerberInnen nach einer HIV-Infektion zu fragen. Das ist auch richtig so, da HIV im Job keine Rolle spielt – ausgenommen einige chirurgische Tätigkeiten. Der Gesetzestext in der bisherigen Fassung würde aber voraussichtlich Fehlinterpretationen nach sich ziehen, die zu der Frage nach HIV führen könnten.
Was genau ist das Problem an den Plänen der Groko?
Der erste Absatz des entsprechenden Paragrafen besagt, dass Arbeitgeber im Gesundheitswesen Daten über den Impf- und Serostatus des Beschäftigten verarbeiten dürfen, um die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Im zweiten Absatz werden Infektionen ausgenommen, die unter Behandlung sowieso nicht übertragbar sind. Das Problem ist, dass hier die Frage des Therapiestatus ins Spiel gebracht wird. Arbeitgeber könnten denken, dass sie Beschäftige über HIV befragen dürfen oder müssen, um sicherzustellen, dass gegebenenfalls eine Therapie erfolgt. Das wäre ein Missverständnis. Denn HIV ist auch ohne Therapie im Arbeitsalltag nicht übertragbar.
Der 49-Jährige arbeitet seit 2011 als Pressesprecher für die Deutsche Aidshilfe.
Arbeitgeber könnten das nutzen, um HIV-positive Menschen zu diskriminieren?
Schon die Frage ist eine Diskriminierung. Und wir wissen, dass einige Arbeitgeber im Gesundheitssystem gerne danach fragen würden. Es kommt auch heute schon vor. ArbeitnehmerInnen haben zwar das Recht auf ihrer Seite, müssen das aber wissen und gegebenenfalls darauf hinweisen. Sich im Bewerbungsverfahren gegen die Frage zu wehren, kann schon einem Outing gleichkommen. Wer für sein Recht kämpfen muss, hat unter Umständen schon verloren. Ängste und Vorurteile gegenüber Menschen mit HIV sind nach wie vor weit verbreitet. Fakt ist aber: Menschen mit HIV können in jedem Bereich arbeiten. Sie sind nicht häufiger krank und es geht keinerlei Gefahr von ihnen aus.
Wissen Sie, wie viele Personen ungefähr von dieser Diskriminierung betroffen wären?
Das kann man nicht beziffern. Wir wissen, dass heute die allermeisten Menschen mit HIV arbeiten. Da sich in diesem Bereich keine repräsentativen Befragungen durchführen lassen, liegen uns aber keine konkreten Zahlen vor und wir wissen auch nicht, wie viele Menschen mit HIV in welchen Bereichen des Arbeitslebens tätig sind. Die Unterschiede zu Menschen ohne HIV dürften aber recht gering sein.
Wie könnte man das Diskriminierungspotenzial des Gesetzesentwurfes abräumen?
Kerngedanke des Paragrafen ist die Immunität gegen das Coronavirus oder andere Krankheitserreger, die einen Erwerb und damit die Übertragung der Infektion verhindert. Das muss deutlich werden. Der zweite Abschnitt ist bereits ein Zusatz, der klärt, dass HIV nicht mitgemeint ist. Er wird aber in der Praxis nach unseren Erfahrungen zu anderen Auslegungen kommen, es lauern Fallstricke. Wir hoffen, dass die Formulierung im Gesetzgebungsprozess noch geschärft wird. Deutlich werden muss: Es geht darum, ob jemand geimpft oder immun ist. HIV ist damit ausgeschlossen, denn bei dieser Infektion gibt es keine Impfung und keine ausgeheilten Infektionen, die Immunität hinterlassen.
Wird die Stimme der Aidshilfe von der Politik denn gehört?
Wir hatten sehr konstruktive Gespräche mit PolitikerInnen und haben uns gefreut, dass unser Anliegen schon eingeflossen ist. Es geht jetzt um wichtige Feinheiten.
Angst vor einem gefährlichen Virus, strenge Isolierung von Infizierten – die Corona-Pandemie weckt Erinnerungen an die Aidskrise. Sehen Sie hier auch Parallelen?
Generell sind Menschen mit übertragbaren Krankheiten Stigmatisierungen ausgesetzt. In der Aids-Krise waren es schwule Männer, bei Corona am Anfang AsiatInnen. Wir bekommen Epidemien aber nur in den Griff, wenn Menschen nicht angefeindet, sondern zu PartnerInnen gemacht werden. Wir sind in Deutschland so erfolgreich gegen HIV, weil wir gegen Stigmatisierung vorgehen und weil die betroffenen Gruppen auf Augenhöhe in die Prävention einbezogen sind.
Anders als auf dem Höhepunkt der Aidskrise in den 1980er und 1990er Jahren bedeutet HIV positiv zu sein heute nicht mehr das Todesurteil. Auch gesellschaftlich hat sich vieles zum Positiven entwickelt. Welchen Trend nehmen Sie in den letzten Jahren in Bezug auf die Lage von Menschen mit HIV wahr?
In den letzten Jahren hat sie sich enorm verbessert, das gesellschaftliche Bild von Menschen mit HIV hinkt aber hinterher. Wenn HIV rechtzeitig erkannt und behandelt wird, kann man damit alt werden und leben wie andere Menschen. Dafür genügt meist eine Pille täglich. HIV ist unter Therapie auch nicht mehr übertragbar. Doch Stigmatisierung und Diskriminierung können einem das heute mögliche Leben dann wieder schwermachen.
Kommt es durch Corona gar zu neuer Diskriminierung gegenüber HIV-Positiven?
Es droht vor allem Diskriminierung von Menschen, die sich mit Corona infiziert haben. Das wird noch ein Thema werden: Werden sie abgestempelt, wie es HIV-Positive kennen, weil sie sich angeblich „unverantwortlich“ verhalten haben? Wir erleben auch, wie im aktuellen Diskurs über Einschränkungen ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass Menschen in Familien oder festen Partnerschaften leben. Die Situation von Singles oder queeren Lebensweisen wird kaum mitreflektiert. Eine Lehre aus der Aids-Krise lautet: Stigmatisierung schadet, Akzeptanz von Lebensweisen und Unterstützung beim Schutzverhalten sind der Schlüssel zum Erfolg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“