: Gute Nacht, Leute
Mystery Man David Lynch lädt wieder zur Geisterbahnfahrt auf dem „Lost Highway“ ein ■ Von Mariam Niroumand
David Lynch hat sich vor kurzem ein Haus in Santa Monica gekauft. Was ihm daran gefiel, so erzählte er in einem Interview, das waren die Fenster: Sie sind nicht viel größer als Schießscharten. Dort ist das Drehbuch zu „Lost Highway“, Lynchs neuestem und nach „Blue Velvet“ sicher spektakulärstem Film, entstanden. Das Haus gegenüber, in dem das erste Drittel des Films dann gedreht wurde, hat er gekauft, nachdem seine Nachbarin, eine Frau mit Namen Peggy Lecky, in ihrem Wohnzimmer ermordet worden war.
Ein weiteres Haus in der Straße, von einem ebenfalls kürzlich verstorbenen Nachbarn, hat er gekauft, um sich darin ein Ton- und Mischstudio aufzubauen. Der Designzeitschrift form hat er wiederum kürzlich mitgeteilt, er wolle sich in Zukunft mehr dem Möbelbau zuwenden („ich finde, daß die meisten Tische zu hoch sind, sie fressen sich in den Raum und bringen einen auf unangenehme Gedanken“). Wenn er auf die sonnige Straße hinaustritt, fällt ihm oft das Bild von seiner Exfrau Peggy ein, die einmal mit dem Kinderwagen („dem Cadillac unter den Kinderwagen“) auf dem Bürgersteig ging, als vor ihrem Haus eine Familie von einer Gang angegriffen wurde. Sie erschlugen den Teenager, als der versuchte, seine Eltern zu schützen.
Lynch liebt es, Interviewern solche kleinen Puzzleteilchen zuzuwerfen, die sich dann wie von selbst zum Bild des Heimwerker- whacko, des irrlichternden Hexenmeisters, des Wizzard of Odd zusammenfügen. In ihm streiten ein kleiner Junge und ein gemeiner alter Bastard darum, wer zuerst raus darf. Süße rote Jugendliebe wurde bislang noch in jedem seiner Filme, vor allem auch in der Fernsehserie um den Teenagermord an der blonden Laura Palmer, „Twin Peaks“, von der Erwachsenenwelt terrorisiert.
Geiler Schrecken und Ekel halten sich die Waage; abgeschnittene Ohren mit riesigen dunklen Muscheln und Haaren dran, blutige Köpfe in Nylonstrumpfhosen, sinnlose Hände, nach denen mal gerade der Hund noch schnappt, schillerndes Erbrochenes auf Motelzimmerteppichen, auf denen dann gleich eine Verführung durch verrottende Zähne geflüstert wird – Körperterror im Kinderparadies.
„Lost Highway“ beginnt nun gewissermaßen auf der anderen Seite, bei den Erwachsenen, dem Land hinter dem Regenbogen, von dem man in „Blue Velvet“ nur durch die Lamellen der Schranktür etwas sah. In klaustrophobischer Stille lebt das Ehepaar Fred und Renee Madison (Bill Pullman und Patricia Arquette) in jenem Haus mit den kleinen Fenstern. Jedes Rascheln, Atmen oder Türenschließen ist tausendfach verstärkt. Man hört wie ein Hund, mehr, als man zu sehen bekommt, und mehr, als man wissen möchte. Auch ein beunruhigendes elektrisches Brummen hört man. Überall herrscht Cocktailbarbeleuchtung.
Einmal lieben sie sich auf spiegelglatten Seidenkissen, sie streicht ihm dabei allerdings bestenfalls mitleidig über den Rücken, ihm fällt etwas Schreckliches ein, aber was war es nur? Einmal dreht sie ihm, zu anschwellendem Brummen, ihr Gesicht zu: Es ist plötzlich das eines alten, diabolisch geweißten Mannes. Es ist der Mystery Man! Aber das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen!!! Eines Morgens findet Renee vor dem Haus ein Video, am nächsten morgen noch eins und schließlich ein drittes.
Zuerst ist nur das Haus selbst darauf zu sehen („muß von einem Makler sein“, sagt Renee noch), dann aber sie beide im Schlaf – es muß also jemand eingedrungen sein – und schließlich, Fred sieht es sprachlos, Renees bestialische Ermordung durch ihn, ihren Mann, auf dem dritten.
Dann häuft sich Geheimnis auf Geheimnis. Fred kommt ins Gefängnis, in eine Todeszelle, hat heftige Kopfschmerzen (im Drehbuch sind sie eine Folge der Hinrichtung eines Mithäftlings auf dem elektrischen Stuhl) und ist plötzlich ein anderer. In seiner Zelle sitzt an seiner Statt der Automechaniker Pete Dayton (Balthazar Ghetty). Pete hat neulich etwas Schreckliches getan, aber was war es nur? Und irgendwie ist er einer Blondine begegnet, die der brünetten Renee total ähnlich ist. Er verfällt ihr, wie man normalerweise nur Barbara Stanwyck in „Double Indemnity“ verfällt.
Aber sie ist Mr. Eddies Girl, und Mr. Eddie (Robert Loggia) versteht ebensowenig Spaß wie der Mystery Man (Robert Blake), den wir mittlerweile als den Teufel möglicherweise identifiziert haben. Dieser wiederum führt heutzutage statt eines dreizackigen Spießes eben eine Videokamera mit sich, mit der die drei Aufnahmen vom Haus der Madisons gedreht worden sind.
Draußen in der Wüste gibt es ein Haus, das sieht man einmal brennen und dann wieder nicht. Dazu hört man die Berliner Band Rammstein: „Man sieht ihn um die Kirche schleichen / Seit einem Jahr ist er allein / Die Trauer nahm ihm alle Sinne / Schläft jede Nacht bei ihrem Stein.“ An der Autobahn, die fatal an die Geisterbahn in deiner westdeutschen Heimatstadt erinnert, stehen manchmal Leute, die etwas sagen wollen, aber was war es nur?
Lynch häuft also emsig Rätsel auf Rätsel, schichtet Postkarte auf Postkarte, kitzelt und droht und fährt Blut und Sturm auf. Er ist ein prick teaser: spielt (was heißt spielt, zerrt!) einem an den Privatteilen und möchte es dann aber doch nicht so genau wissen. Man soll in konstanter Aufregung gehalten werden wie die armen Burschen im Film Noir, die letztlich dann gelackmeiert sind. Irgendwo wummert es immer. Leider ermüdet so etwas ungemein. Sehr schnell ist einem herzlich egal, welches wohl die wahre Identität von Fred/Pete oder Renee/Alice oder Mr. Eddy/ Dick Laurent sein mag, zumal sie alle gleichermaßen unsympathisch wirken und ihre faustdicke Problematik dann doch nicht abendfüllend zu sein verspricht.
Den Cahiers gegenüber, die – man muß es leider sagen – vor diesem breitgetretenen Quark sehr kunstreligiös in die Knie gegangen sind, hat Lynch gesagt, zwar habe ihn Barry Giffords Roman „Night People“ inspiriert, er habe aber dann bei seinem Film oft an „Psycho“ denken müssen. Wenn man nicht alles selber macht!
Nimmt man seinen bescheidenen Hinweis in eigener Sache einmal auf, fallen einem die Unterschiede zu Hitchcock, der ja auch ein gespanntes Verhältnis zu Frauen und Sex hatte, allerdings mit Macht ins Auge.
Daß mit Bates' Motel etwas nicht in Ordnung ist, muß Hitchcock nicht herbeibrummen; man braucht keinen Mystery Man, um zu wissen, woher hier der Wind weht. Die Eleganz hat Hitchcock immer nur da verlassen, wo er Salvador Dali mit der Illustration des Unheimlichen beauftragt hat.
Wer Lynch unbedingt mit Hitchcock vergleichen will, sollte vielleicht eher an die von Dali im Heimwerkerstudio angefertigten, unfreiwillig komischen Traumsequenzen in „Spellbound“ denken, mit den kullernden Rädern auf Skidächern und den Gabelspuren auf der Tischdecke. Womöglich ist, was Lynch am allerbittersten fehlt, die Ironie, mit der es noch im eisigsten Moment von „Psycho“ höflich heißt: „Mother is not quite herself today.“
„Lost Highway“. Regie: David Lynch. Buch: David Lynch und Barry Gifford. Mit: Bill Pullman, Patricia Arquette, Balthazar Ghetty, Robert Loggia, Robert Blake. USA, 1996, 135 Min.
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