Gutachten zum Hartz IV-Regelsatz: Kühlschrank soll wieder bezahlt werden
Der Hartz IV-Regelsatz verstößt gegen das Grundgesetz: Das sagen zwei Gutachten der Hans-Böckler-Stiftung. Der DGB will erneut vors Bundesverfassungsgericht ziehen.
BERLIN taz | Die Berechnung des Regelsatzes für die Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) ist verfassungswidrig. Zu diesem Schluss kommen zwei am Montag vorgestellte Gutachten im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auch das Bildungspaket für bedürftige Kinder erfüllt danach nicht die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes.
DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte, mit "ausgewählten Musterverfahren" von betroffenen Gewerkschaftsmitgliedern den "erneuten Gang nach Karlsruhe" vor das Bundesverfassungsgericht vorzubereiten.
Die Gutachten von Johannes Münder, Rechtswissenschaftler an der Technischen Universität Berlin, und der Verteilungsforscherin Irene Becker behandeln mehrere strittige Punkte. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass zum einen die Vergleichsgruppe zur Berechnung des Existenzminimums falsch abgegrenzt wurde.
Der Regelsatz von Hartz IV, der bei 364 Euro liegt, wird von den Konsumausgaben der ärmsten 15 Prozent der Einzelhaushalte abgeleitet. In dieser Referenzgruppe sind aber auch "Aufstocker" enthalten, also Leute, die von Hartz IV leben und sich teilweise nur ein geringes Zubrot dazu verdienen. Diese Aufstocker mit Hinzuverdiensten von bis zu 73 Euro müßten herausgenommen werden aus der Vergleichsgruppe, da sich sonst Zirkelschlüsse auf den Bedarf der Sozialleistungsempfänger ergeben, fordern die Wissenschaftler.
Menschenwürdiges Existenzminimum
Außerdem sei das "Bildungspaket" für bedürftige Kinder nicht verfassungskonform, da dadurch Kinder in strukturschwachen Regionen, wo es keine Bildungsangebote gebe, leer ausgingen, schreibt Münder.
Die Wissenschaftler rügen auch, dass sich aus der verwendeten Statistik der Finanzbedarf für langlebige Gebrauchsgüter wie etwa Kühlschränke oder Waschmaschinen nicht ablesen ließe. Daher sei unsicher, ob mit dieser Berechnungsmethode das vom Grundgesetz geforderte menschenwürdige Existenzminimum sichergestellt sei.
Becker schlug vor, Bedürftigen anstelle von Pauschalbeträgen wieder einmalige Leistungen für größere Gebrauchsgüter zu gewähren. Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums sagte der taz, man werde die Gutachten "prüfen". Die Sprecherin verwies auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom Juni diesen Jahres. Danach ist der neu berechnete Hartz-IV-Regelsatz verfassungskonform.
Das Arbeitsministerium bestätigte, dass sich der Hartz IV-Regelsatz vom kommenden Jahr an um zehn auf dann 374 Euro erhöhen wird. Die Erhöhung ergibt sich aus einer bereits beschlossenen Anhebung um drei Euro sowie einem Aufschlag als Inflationsausgleich.
Der volle Regelsatz gilt für alleinstehende Hartz IV-EmpfängerInnen. Erwachsene Menschen mit Behinderungen, die mit anderen Erwachsenen in einem Haushalt zusammenleben, bekommen nur einen Regelbedarf von 80 Prozent, also 291 Euro im Monat. Die Sozialverbände SoVD und VDK forderten am Montag ein Ende dieser Benachteiligung.
Die Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums erklärte, das Ministerium werde bis spätestens Juli 2013 einen Bericht vorlegen, in dem unter anderem auch die Neuberechung des Regelbedarfs von Erwachsenen enthalten sei, die mit anderen Erwachsenen in einem Mehrpersonenhaushalt zusammenleben.
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