Gutachten zu Missbrauchsfällen in Köln: Persilschein für Kardinal Woelki
Das Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche entlastet den Kölner. Belastet wird sein Hamburger Kollege Stefan Heße.
Zumindest persönlich kann Woelki erleichtert sein: Die von seinem Erzbistum im Oktober 2020 selbst beauftragten Strafrechtler:innen bescheinigen ihm, „keine Pflichtverletzungen“ bei der Aufklärung, Sanktionierung und Verhinderung von sexuellem Missbrauch sowie der „Opferfürsorge“ begangen zu haben. Schwere Vorwürfe machen die Anwälte dagegen dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Der habe in seiner Zeit als Kölner Generalvikar 11-mal gegen innerkirchliche Vorschriften und Kirchenrecht verstoßen.
Woelkis Vorgänger, dem 2017 gestorbenen Kardinal Joachim Meisner, werden 24 Pflichtverstöße zur Last gelegt. Statt aufzuklären, habe der ultrakonservative Kirchenfürst Vorwürfe von sexuellem Missbrauch durch Priester in einer Akte mit dem Titel „Brüder im Nebel“ gesammelt, die nach Meisners Tod im Geheimarchiv verschwand.
Dem heutigen Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp attestierten die Anwält:innen Björn Gercke und Kerstin Stirner bei der Vorstellung des Gutachtens 8 Pflichtverletzungen. Dem obersten Kölner Kirchenrechtler Günter Assenmacher werfen sie „zwei Fälle falscher Rechtsauskunft“ vor.
202 Beschuldigte – und mindestens 314 Betroffene
Zusätzlich listet das Gutachten 30 weitere Verstöße gegen Kirchenrecht auf, im Untersuchungszeitraum von 1975 bis 2018 begangen von vier weiteren Führungspersönlichkeiten des Erzbistums. Insgesamt gab es aber Hinweise auf 202 Beschuldigte – und mindestens 314 Betroffene. Strafrechtlich ergäben sich keine Konsequenzen: Da die meisten Fälle aus den 70er Jahren stammen, aber erst nach 2010 bekannt wurden, gelten sie als verjährt.
Woelki nutzte das Gutachten für einen Befreiungsschlag: Höchste kirchliche Würdenträger hätten „sich schuldig gemacht“, erklärte der 64-Jährige – und räumte „Vertuschung“ ein. Schwaderlapp und Assenmacher entband er „mit sofortiger Wirkung von ihren Aufgaben“. Außerdem werde das Gutachten an den Vatikan weitergeleitet, sagte Woelki – mit Blick auf den zum höchsten katholischen Geistlichen Hamburgs aufgestiegenen Heße. Über die Zukunft eines Erzbischofs müsse „der heilige Stuhl entscheiden“.
Allerdings entlastet das Gutachten Woelki nur formaljuristisch: Dem seit 2014 amtierenden Erzbischof wird vorgeworfen, 2015 selbst Vorwürfe schweren sexuellen Missbrauchs gegen einen Düsseldorfer Priester, der als sein Mentor galt, nicht an den Vatikan gemeldet zu haben. Kirchenrechtlich sei dies korrekt gewesen, erklärte Gutachterin Stirner, da der Beschuldigte krank und „verhandlungsunfähig“ gewesen sei.
Außerdem hält Woelki eine bereits im Dezember 2018 in Auftrag gegebene erste Untersuchung seit mehr als einem Jahr zurück. Der Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl sei es nicht gelungen, ein rechtssicheres Gutachten vorzulegen, heißt es. Berichte über dessen Inhalt sollen erst ab kommenden Donnerstag möglich sein.
Gutachter Gercke sieht Woelki dennoch entlastet: Auch die Münchener Untersuchung komme zu dem Schluss, dass er den Fall des Düsseldorfer Priesters nicht nach Rom melden musste. Die katholische Basisorganisation „Wir sind Kirche“ forderte dagegen den Rücktritt Woelkis und den von Heße. Als Erzbischöflicher Kaplan und Geheimsekretär seines Vorgängers Meisner sei Woelki „selbst Teil des Systems der Vertuschung gewesen“.
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