Gruppenausstellung im Schinkel Pavillon: Das Biest mit dem Zauberspiegel
Eine Ausstellung im Schinkel Pavillon befragt das Verhältnis vom Mensch zur Natur – und sucht nach alternativen Zukunftsszenarien.
Sehen kann man sie nicht. Sie seien aber da und es gehe ihnen gut, versichert die Ausstellungsaufsicht. Die Regenwürmer mögen kein Publikum. Sie bleiben lieber im Erdreich, verrichten ihren Job im Untergrund, da wo sie die nigerianisch-US-amerikanische Künstlerin Precious Okoyomon hineingesetzt hat. In ein breites bemoostes Gefäß aus Sedimentgestein nämlich. Die Erde, die sich in dessen Innerem befindet, graben die Würmer um, düngen sie mit ihrem Kot, verwandeln sie in fruchtbaren Boden.
An ein Taufbecken soll die Skulptur erinnern, so heißt es im Saaltext, eines, in dem man die Hände nicht in Weihwasser, sondern in lebendigen Boden tauche. Beziehungsweise in das Werk jener immer noch oft unterschätzten Tierart, mit der sich Okoyomon verbündet hat. So kann sie also aussehen, künstlerische Kooperation über die Grenzen der Spezies hinweg.
„Ditto, ditto“, so der Titel, ist ein kleines, in sich funktionierendes Ökosystem, bei dem der Mensch Zaungast bleibt. Glücklicherweise vielleicht. Vom Zusammenspiel der Arten, der Verflechtung der Lebensformen, von der Koexistenz menschlichen und nichtmenschlichen Lebens und davon, wie der Klimawandel genau jenes und damit alles gefährdet, handelt die Gruppenausstellung „Sun Rise | Sun Set“, die aktuell im Schinkel Pavillon zu sehen ist.
Blinde Fische
Mitunter kreucht und fleucht es darin wie in Okoyomons Trog. Oder es wird geschwommen: Unten, gleich im ersten Raum der generationenübergreifenden und unbedingt sehenswerten Schau, kuratiert von Nina Pohl und Agnes Gryczkowska, kann sich eine kleine Gruppe von Fischen weniger gut verstecken. Es handelt sich um solche der Art Astyanax mexicanus. Im Laufe der Evolution sind sie blind geworden, existieren folglich unabhängig vom Tag-Nacht-Rhythmus, richten sich stattdessen ganz nach den letztlich entscheidenderen klimatischen Bedingungen.
Manche Exemplare jedoch haben aufgrund von Zufällen ihre Sehkraft nicht ganz verloren. Unter den sechs, die Pierre Huyghe in ein verdunkelbares Aquarium mit grottenähnlicher Tropfsteinlandschaft gesteckt hat, hat genau eine funktionierende Augen. Auch deren Hell-Dunkel-Phasen sind nun ans Klima gekoppelt: Ein Geolokalisierungsprogramm steuert die Transparenz der Scheiben mittels Wetter- und Umgebungsdaten – womöglich ein Zukunftsmodell nicht nur für jene Fische? Faszinierend auch wie ähnlich Huyghes Szenerie der auf dem daneben hängenden „Swampangel“ (1940) von Max Ernst gleicht. Ernst malte seinen ikonischen Sumpfengel kurz vor seiner Flucht ins amerikanische Exil. Es ist das Bild eines unheilvollen Lebensraums, der hier im Zusammenhang der Ausstellung noch an Bedeutungsebenen gewinnt.
So suggeriert auch er ein Neudenken von Ökologie, in dem der Mensch nicht im Fokus steht, stattdessen vielmehr das Wissen um die Komplexität eines Systems, in dem alles mit allem zusammenhängt. Im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, der inzwischen leider hakt. Im Paradies sind die Pflanzen vergiftet – oder wie in Joan Fontcubertas Pseudo-Herbarium aus Plastikmüll zusammengesetzt. Die Welt ist durch die Eingriffe des modernen Menschen aus dem Gleichgewicht geraten; das Projekt, sich die Natur samt ihrer Lebewesen Untertan zu machen, scheint radikal gescheitert.
Wie in dem verstörenden Sci-Fi-Film „The Mermaids, or Aiden in Wonderland“ des 2008 in Australien gegründeten indigenen Filmkollektivs Karrabing, der in einer nicht näher verorteten Zukunft spielt, in der die Erde im Freien aufgrund des Klimawandels unbewohnbar geworden ist. Zumindest für weiße Menschen, die indigene Bevölkerung ist hingegen resistent und fortan vielmehr von ihren Mitmenschen bedroht. Der Film begleitet den titelgebenden Aiden, einen jungen Indigenen, der sich nach der Entlassung aus einer Klinik, wo er medizinischen Experimenten ausgesetzt wurde, in einer zerstörten Landschaft voll fantastischer Wesen wiederfindet. Es ist eine Dystopie und Abrechnung mit Rassismus, Kapitalismus und staatlicher Gewalt zugleich.
Demut vor der Kreatur
Sun Rise | Sun Set, Schinkel Pavillon, Berlin, bis 22. August (verlängert)
Monira Al Qadiri schließt sich mit einer Mahnung zu mehr Demut vor der Kreatur an, lässt in ihrem Video „Divine Memory“ pink eingefärbte Oktopusse majestätisch durchs Meer gleiten, so wie sich alle Positionen aufeinander zu beziehen scheinen.
Kurz vor Ende des Parcours, kurz bevor man dem Habitat der erwähnten Regenwürmer gegenübersteht, verknoten sich die Themenstränge in Henri Rousseaus meisterhafter Interpretation des Märchens von der Schönen und dem Biest (ca. 1908). Das Bild zeigt eine Frau beim Liebesspiel mit einem Wolf. In der Hand hält sie einen Zauberspiegel, der ihre inneren Sehnsüchte sichtbar machen soll, die Abgründe, die Triebhaftigkeit des Menschen. Die Frage, wer denn nun das Biest sei, das Tier oder der Mensch, hat sich da aber schon längst selbst beantwortet.
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