Grundeinkommen mit dem Glücksrad: Los in die Freiheit
Michael Bohmeyer hat Geld gesammelt, um mehreren Menschen ein Jahr lang ein Grundeinkommen zu zahlen. Nun entscheidet sich, wer das Geld kriegt.
BERLIN taz | Michael Bohmeyer muss nicht mehr schuften für seinen Lebensunterhalt – und arbeitet trotzdem täglich 14 Stunden. Er hat ein bisschen reduziert, wie er sagt. Bohmeyer will mit seiner Arbeit dazu beitragen, dass andere nichts mehr tun müssen, und alles tun können. Am heutigen Donnerstag kommt der Moment, auf den er seit dreieinhalb Monaten wartet: Um 17 Uhr beginnt die Party, auf der drei, vielleicht sogar vier Grundeinkommen für ein Jahr verlost werden, finanziert über Crowdfunding.
Bohmeyer, der selbst ein bescheidenes Grundeinkommen als Teilhaber zweier Startups bezieht, hatte Anfang Juli damit begonnen, 12.000 Euro zu sammeln: ein Jahr lang Grundeinkommen für eine zufällig ausgewählte Person. Ohne Bedingungen, ohne moralischen Anspruch, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Bohmeyer wollte damit die gesellschaftliche Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen neu ankurbeln und der großen Frage begegnen: Was würden wir tatsächlich tun, wenn für unseren Lebensunterhalt gesorgt wäre?
20.500 Menschen haben ihre persönliche Antwort auf diese Frage auf Bohmeyers website mein-grundeinkommen.de hinterlassen. 20.000 haben sich für die Verlosung der Grundeinkommen registriert, 2.500 Menschen haben gespendet. Ohne die zehn Unterstützer*innen, die dem jungen Kreuzberger Vater ehrenamtlich ihre Hilfe angeboten haben, wäre das Projekt nicht zu schaffen gewesen. Die 12.000 Euro waren nach nur 22 Tagen zusammen. Inzwischen sind drei Jahres-Grundeinkommen voll finanziert, für ein viertes fehlen noch 1.500 Euro.
Woher kommt dieses enorme Interesse? „Immer mehr Menschen erkennen, dass wir eine neue Organisation unserer Wirtschaft brauchen, dass Arbeit in unserer Gesellschaft neu organisiert werden muss“, meint Bohmeyer. Es gäbe nicht mehr genug Arbeit für alle; jene, die Arbeit hätten, fühlten sich oft überlastet. Den Erfolg seines Projekts sieht er als Zeichen für den Wunsch vieler Menschen, ihr Leben freier gestalten zu können. Und dafür, dass Menschen sich gerne politisch engagierten, wenn sie selbst etwas bewirken könnten, anstatt auf Politiker*innen zu warten. Über das Internet habe er den Leuten ein Werkzeug in die Hand gegeben, Fakten zu schaffen und die Politik vor sich herzutreiben, so Bohmeyer.
Auch die beginnt, sich für das selbst gemachte Grundeinkommen zu interessieren. Katja Kipping, Bundesvorsitzende der Linken, hat das Projekt finanziell unterstützt, die Grüne Jugend will Bohmeyer und das bedingungslose Grundeinkommen mehr in den Fokus nehmen, die Piraten laden Bohmeyer zu Gesprächsrunden ein, und am Freitag hat er ein Treffen mit der Netz- und Rechtspolitischen Sprecherin der Linken-Fraktion, Halina Wawzyniak. „Ich bin und bleibe überparteilich, aber rede natürlich mit allen Menschen übers bedingungslose Grundeinkommen“, so Bohmeyer.
33 Euro pro Tag
Indes hat er sich einen zusätzlichen Weg überlegt, weitere Grundeinkommen zu finanzieren: den „Crowdbar“. Wer ihn auf seinem Web-Browser installiert, kann sich bei Online-Einkäufen über mein-grundeinkommen.de zum Warenkorb zurückleiten lassen. Dafür fließt jedes Mal Provision von dem entsprechenden Onlineshop in die Grundeinkommenskasse, ganz ohne dass die Kund*innen etwas dafür zahlen müssten. 1.500 Menschen haben den Crowdbar bisher installiert, er bringt täglich etwa 100 Euro ein. Für ein einziges Grundeinkommen rechnet Bohmeyer mit 33 Euro pro Tag.
Die Verlosungsparty im Klunkerkranich auf dem Dach der Neukölln-Arcaden, auf der Bernadette La Hengst spielt, wird per Livestream im Internet übertragen. Gegen 19 Uhr soll ein Glücksrad entscheiden: Wer wird ein Jahr lang die Chance bekommen, ein Leben ohne den Zwang zur Lohnarbeit auszuprobieren?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen