Grüner kritisiert Agrobusiness: "Industrie missbraucht Hunger"
Das Agrobusiness nutze die Diskussion um die Welternährung für Gentechnik, kritisiert Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf.
Die Grüne Woche, die weltgrößte Agrarmesse, beginnt am Freitag in Berlin - eine ideale Gelegenheit für das Agrobusiness, seine Strategie gegen den Hunger in der Welt zu präsentieren: eine exportorientierte Massenproduktion mithilfe von Pestiziden, Mineraldünger und Gentechnik. Höchste Zeit für die ökologisch ausgerichtete Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und die Zukunftsstiftung Landwirtschaft, in die Offensive zu gehen.
"Das Thema Welternährung ist nichts weiter als ein Deckmantel für Industrieinteressen", sagte der AbL-Vorsitzende und Grünen-Europaabgeordnete Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf am Montag. Der traditionellen Agrarlobby und den Chemiekonzernen gehe es nur um ihr Geschäft, nicht um die 963 Millionen Hungernden. Die Branchen wollten, dass die europäische Landwirtschaft immer mehr Produkte ins Ausland verkauft. "Sogar das Instrument der Exportsubventionen will sie wieder aktivieren. Politik und Öffentlichkeit dürfen darauf nicht hereinfallen", warnte Baringdorf. Die subventionierten Produkte aus dem Norden würden die Landwirtschaft in den Abnehmerländern im Süden zerstören.
Der Fokus auf Produktionssteigerungen bringe nichts, erklärte Benedikt Haerlin: "Rein vom Kalorienbedarf her hatten wir im vergangenen Jahr eine Überproduktion", sagte der Berliner Vertreter der Zukunftsstiftung. Nach einer UN-Prognose würden in diesem Jahr weltweit sogar 5,3 Prozent mehr Lebensmittel erzeugt, aber nur 0,1 Prozent mehr pro Einwohner zur Verfügung stehen. Der Grund: Gleichzeitig würden 11,8 Prozent mehr Agrarprodukte nicht als Essen, sondern vor allem als Agrarsprit benutzt.
Die industrialisierte Landwirtschaft mit Monokulturen lehnte der Experte auch aus Klimaschutzgründen ab. Schließlich brauche diese Wirtschaftsweise besonders viel Kunstdünger und Maschinen, die bei Herstellung und Gebrauch Treibhausgase freisetzten. Insgesamt verursache die Ernährung 30 bis 40 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen.
Haerlin forderte deshalb eine "radikale Wende". "Die Zukunft unserer Ernährung hängt von den Kleinbauern ab", sagte er. 85 Prozent aller Landwirte bewirtschafteten weniger als zwei Hektar. "Es geht also in erster Linie um Selbstversorgung." Kleinbauern müssten gefördert und vor dem Druck etwa von Agrospritkonzernen geschützt werden. Doch das ist nicht alles: Haerlin will auch, dass etwa die Europäer ihren Fleischverbrauch von derzeit jährlich 80 Kilogramm pro Person auf den weltweiten Durchschnitt von 30 Kilo senken. Denn um zum Beispiel für ein Rind genügend Futter zu produzieren, wird kostbare Ackerfläche belegt, auf der Lebensmittel erzeugt werden könnten. "Wir müssen jegliche Subventionen für diese Art der Getreideverwertung unterbinden", verlangte Haerlin. "Fleisch muss teurer werden." Essen sollte wieder als wertvoller gelten. Dann würde auch nicht mehr ein Drittel der in Europa produzierten Lebensmittel weggeworfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis